The Thrill Is Gone: Wie prekäre Beschäftigung die Liebe zur Wissenschaft zerstört
Schier grenzenlos scheinende Begeisterung für mein Fach und große Hoffnungen auf eine wissenschaftliche Karriere: Wenn ich an mich selbst zurückdenke am Ende des Bachelor-Studiums und zu Beginn der (via Fast-Track direkt angeschlossenen) Promotion, waren das sicher die zwei Faktoren, die mich hauptsächlich angetrieben haben. Anlässlich eines Vortrags war ich kürzlich in Wien, wo ich während des Studiums in dieser begeisterungsreichen und hoffnungsfrohen Phase ein Erasmus-Semester verbracht habe. Der jüngere Aufenthalt dort reihte sich ein in eine Reihe von Tätigkeiten, die Erinnerungen an diese Zeit weckten — darunter auch das Aussortieren von Unterlagen, teils noch aus meinem Studium, teils aus den Semestern, in denen ich dann selbst meine ersten Seminare gegeben habe. Und jetzt? Was ist von alledem übriggeblieben? 12 Jahre sind seit Beginn meiner Promotion verstrichen. Sollte ich jetzt in einem Wort eine Bestandsaufnahme machen, so lautete das Wort: ernüchtert. Die großen Hoffnungen sind längst aufgebraucht (zumal, seit ich meine bescheidenen Karrierechancen durch die #IchBinHanna-Arbeit noch realistischer einschätzen kann). Aber auch meine inhaltliche Begeisterung hat die vergangenen Jahre nicht unbeschadet überstanden.
All das macht mich wütend. Und zwar nicht allein wegen der Einschränkungen, der Entbehrungen, der Unsicherheit, der Zukunftssorgen und Existenzängste, mit denen die prekäre Beschäftigung diese 12 Jahre meines inzwischen 38-jährigen Lebens geprägt hat und noch immer prägt — kurz: wegen der Dinge, die wir mit #IchBinHanna seit Jahren öffentlich anprangern. Sondern auch, weil diese prekäre Beschäftigung etwas beschädigt, ja, in Teilen wohl sogar unwiederbringlich zerstört hat, das mir wirklich am Herzen lag: die Liebe zu meinem Fach, der Philosophie. Ja, das mag pathetisch klingen und zugleich überdramatisierend. Aber diejenigen, die eine solche Liebe schon einmal selbst empfunden haben oder noch empfinden, werden ziemlich genau wissen, was gemeint ist. Im heutigen Newsletter mache ich mich auf die Suche nach dieser Liebe — und versuche nachzuvollziehen, wo sie geblieben ist.
Du kommst hier nicht rein: Der schwierige Einstieg in die Wissenschaft
Das deutsche Wissenschaftssystem hält denen, die in ihm tätig sein wollen, nicht gerade die Tür auf. Ganz im Gegenteil: Es hat eine der härtesten Türen überhaupt, mit einer Phalanx von unerbittlichen Türstehern. Da sind die intellektuellen Ansprüche, die einem dauernd Hürden in den Weg legen, die man nur mit großer Mühe überwinden kann (wenn überhaupt), und dabei jeden Schritt kritisch beobachten: wer den Ansprüchen nicht genügt, ist ganz schnell wieder draußen. Da ist die akademische Arbeits(un)moral, die klingt wie ein Fußballtrainer auf zu viel Kokain und beständig Anfeuerungsrufe brüllt, auch nachts, auch am Wochenende, und im Urlaub sowieso. Da ist das Imposter-Syndrom, das einem immer wieder ins Ohr zischt, man habe hier doch gar nichts zu suchen, und das in spöttisches Gelächter ausbricht, nachdem es angekündigt hat, dass man sicherlich schon bald auffliegen wird. Da sind all die guten Gründe, statt Wissenschaft als Beruf etwas anderes zu machen: verlässliche Perspektiven, besser bezahlt, mehr Freizeit usw. Und da sind noch viele andere Türsteher, die mich angesichts meiner Privilegien (weißes Akademikerkind usw.) zwar durchgewinkt haben, die sich aber anderen von uns vehement — und auf überaus unfaire Weise — in den Weg stellen.
Nun mag man paradoxerweise gerade an dieser Konstellation der vielfältigen Eingangsbeschränkungen etwas finden, das den Einstieg in die Wissenschaft irgendwie interessant macht. Ist es nicht ein Ausweis der eigenen intellektuellen Fähigkeiten, wenn es gelingt, all diesen Erschwernissen zum Trotz einen Fuß in die Tür zu bekommen? Ist das nicht eine enorme Anerkennung für die eigene Leistung, da überhaupt mitmachen zu dürfen, bei dieser großen Sache, die sich Wissenschaft nennt? Ich will nicht verhehlen, dass solche Aspekte für mich auch eine Rolle gespielt haben. Aber das allein war natürlich nicht der Grund, warum ich reinwollte in dieses Wissenschaftssystem. Ausschlaggebend war, dass mir das, was es darin zu tun gab — anregender Austausch mit tollen Leuten sowie immer wieder Neues lernen und verstehen — einfach unheimlich viel Spaß gemacht hat.
Academia von innen betrachtet: Erst Glück, dann Resignation
Nachdem es mir dank einer Mischung aus Privilegien, Glück und Können gelungen war, an den Türstehern vorbeizukommen, war ich plötzlich drin und fortan ein Teil des Wissenschaftssystems. Ich verbrachte zu Beginn enorm viel Zeit mit dem Lesen, Diskutieren und Schreiben philosophischer Texte. Ich lernte, mithilfe von Logik und Argumentationstheorie Argumente zu bewerten, fundiert zu kritisieren, ihre Sollbruchstellen aufzuspüren und auszubessern. Wurde besser darin, philosophischen Gedankengängen zu folgen und selber welche zu entwickeln. Zwei Dinge sind es, die mir daran besonders gefallen haben: das produktive Diskutieren mit anderen Leuten (das leider angesichts kompetitiver, teils toxischer Diskussionspraktiken in meinem Fach nicht die Regel ist — aber wenn es passiert, ist es großartig). Und das Verstehen. Ich kann dieses Gefühl schwer beschreiben, das sich einstellt, wenn ich nach teils tagelangem Nachdenken, gedanklichem Herumpuzzlen und zahlreichen Versuchen, es zu durchdringen, ein philosophisches Problem endlich verstanden, ja, vielleicht sogar Ansatzpunkte für dessen Lösung gefunden habe. Es macht dann irgendwie Klick. Und das ist pures Glück, anders kann ich das nicht sagen. Ein Glück, das es so nicht zweimal gibt: Verstehensglück ist eine Glückssorte sui generis, scheint mir.
Ohne den Austausch mit anderen und dieses Verstehensglück wäre ich längst aus-, sehr wahrscheinlich sogar nie eingestiegen. Aber: Es sind eben auch genau diese Glücksfaktoren, die in den vergangenen Jahren zunehmend auf der Strecke geblieben sind. Überwog am Anfang die Freude darüber, einen Arbeitsalltag zu haben, in dem ihnen eine zentrale Rolle zukommt, wurde dieser Alltag nach und nach von ganz anderen Faktoren durchsetzt, bis die endgültig überhandnahmen. Zwar tausche ich mich nach wie vor mit tollen Leuten aus, aber philosophische (oder allgemeiner: fachliche) Inhalte spielen dabei in den meisten Fällen nur noch eine Nebenrolle. Stattdessen geht es vor allem um Drittmittelakquise, Administratives, Gremiengedöns und Strategisches. Und selbst wenn es doch mal um Inhalte geht: Über allem schwebt die Forderung, mich mit dem, was ich da inhaltlich mache, zu profilieren, das Inhaltliche strategisch auszubeuten, damit ich meine minimalen Karrierechancen etwas aufbessere. Ja, ich führe gelegentlich noch Gespräche mit Kolleg_innen, die fachlich anregend sind. Aber es vergeht selten mehr als eine halbe Stunde, bis ich selbst oder andere die Frage aufwerfen, „was man daraus machen könnte“. Gemeint ist dabei sowas wie ein Drittmittelprojekt, für das ein größerer Antrag geschrieben werden könnte, eine gut sichtbare Konferenz oder eine Publikation, die uns karrieretechnisch weiterbringt.
Früher hatte ich einen Kloß im Hals bei dem Gedanken, nicht weiter akademisch Philosophie treiben zu können, weil mich das Wissenschaftssystem früher oder später ein für alle Mal vor die Tür setzt. Heute ist der Kloß im Hals immer noch da, aber aus anderen Gründen: Weil ich fürchte, mit Anfang 40 zum beruflichen Neuanfang gezwungen zu werden. Weil ich mir Sorgen mache um meine unklare Zukunft. Und weil ich mich frage, ob der Preis für die wenigen Jahre, in denen die Glücksfaktoren des Austauschs und Verstehens noch deutlich präsent und alltäglich spürbar waren, nicht doch viel zu hoch war.
Wenn vom Glück kaum noch was übrigbleibt, ist es ein schlechter Deal
Gelegentlich passieren Dinge, die mich daran erinnern, wie es war, mit dieser Euphorie Philosophie zu machen. Letzte Woche etwa, als ich mich mit einem Kollegen über seine Forschung ausgetauscht habe, und wir von dort auch zu philosophischen Fragen kamen, die mich schon lange umtreiben. Da gab es diese Klickmomente, und es gab sie in der allerbesten Variante, weil sie mit dem Glück des produktiven Austauschs einhergingen: als gemeinsame Momente des Verstehens, die das (vorläufige) Ende eines Prozesses markieren, in dem man einander zunächst ebenso mühelos wie anregend Argumente und Einwände zugeworfen hat, dabei zusammen gedanklich immer weitergekommen ist und das Problem schließlich um einiges klarer umreißen konnte, ja, sogar den Ansatz einer Lösung im Blick hat. „Ach ja, deshalb habe ich das alles überhaupt angefangen“, ging mir dabei durch den Kopf. Ganz kaputt ist meine Fähigkeit zur Begeisterung für die Philosophie also wohl noch nicht — aber sie hat in den letzten Jahren sehr gelitten, viel ist davon nicht mehr übrig.
Jetzt ließe sich sagen: Alles klar, das ist Jammern auf verdammt hohem Niveau. Andere Leute gehen beruflichen Tätigkeiten nach, die überhaupt nie auch nur ein bisschen glücklich machen. Ist es nicht anmaßend, einzufordern, dass Glücksfaktoren den beruflichen Alltag in der Wissenschaft langfristig prägen — sowie ganz schön elitär und unangemessen, sich zu beschweren, wenn sie auf der Strecke bleiben? Ich glaube: nein. Denn erstens ist der Umstand, dass andere Menschen unter schlechten Bedingungen Arbeit verrichten, die kein bisschen erfüllend ist, noch kein Grund, sich damit abzufinden und das zum Standard für alle zu erklären. Statt zu sagen „anderen geht es schlechter“ spreche ich mich dafür aus zu sagen: „allen sollte es so gut gehen wie nur möglich“. Und zweitens ist das mit den Glücksfaktoren doch gerade der Deal, den uns das listige Wissenschaftssystem anbietet, wenn es sagt: „hier, Du musst zwar endlos Überstunden schieben, bekommst zig befristete Kettenverträge, bist zwischendrin arbeitslos und fliegst nach 12 Jahren höchstwahrscheinlich raus — aber immerhin hast Du, solange Du drin bist, eine geile Zeit!“ Das, liebes Wissenschaftssystem, ist eine glatte Lüge. Ich bestreite nicht, dass wissenschaftliches Arbeiten glücklich machen kann. Aber so, wie das Wissenschaftssystem ausgestaltet ist, tut es alles dafür, dieses Glück zu torpedieren. Denjenigen, die sich von den falschen Glücksversprechungen nicht mehr einlullen lassen und gar nicht erst ins Wissenschaftssystem einsteigen, mögen einige Glücksmomente verloren gehen. Aber zumindest müssen sie sich nicht eines Tages fragen, ob die es wert waren, das Lebensglück in vielerlei anderen Hinsichten dafür preiszugeben.
Die Wissenschaft täte gut daran, dasjenige, was sie gern als ihren Markenkern vor sich herträgt — das große persönliche Glück, das das Ausüben wissenschaftlicher Tätigkeiten mitunter mit sich bringt — zukünftig zu befördern, statt es durch prekäre Bedingungen immer weiter zu erodieren. Denn: Es mag sein, dass Wissenschaft irgendwie auch ohne glückliche Beschäftigte auskommt. Aber: Ganz ohne Beschäftigte wird es schwierig — und viele von denen, die es in Betracht ziehen, in die Wissenschaft einzusteigen, haben zumindest eines längst verstanden: Solange das versprochene Glück unter prekären Bedingungen begraben wird, bis es zu ersticken droht, ist das alles einfach nur ein schlechter Deal.