Verantwortlich sind immer die anderen: Eine Forschungsministerin duckt sich weg
Es hat in Deutschland einen unsäglichen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit gegeben — und er kam ausgerechnet aus der Leitungsebene des für Wissenschaft zuständigen Bundesministeriums: Seit wir vor genau einer Woche dank der Berichterstattung von John Goetz und Manuel Biallas im NDR davon erfahren haben, war dies zu Recht DAS wissenschaftspolitische Thema der letzten Tage. Inzwischen hat das BMBF eine Schuldige gefunden: Staatssekretärin Sabine Döring soll es gewesen sein. Mitten in der Nacht am letzten Sonntag ließ Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger vermelden, dass Döring ihren Job im BMBF los ist — nachdem diese auf X bereits etwas kryptisch entsprechende Andeutungen gemacht hatte. Seitdem überschlägt sich die journalistische Auseinandersetzung mit der Sache, und auch in den Sozialen Medien wird intensiv darüber diskutiert. Ich will heute nicht über die vielfach geäußerten Zweifel daran schreiben, dass sich die Angelegenheit tatsächlich so zugetragen hat, wie jetzt von Stark-Watzinger dargestellt. Denn unabhängig davon, was genau geschehen ist, ist das Agieren der Forschungsministerin symptomatisch: Es zeigt einmal mehr, dass Bettina Stark-Watzinger sich lieber wegduckt, als ihrer Verantwortlichkeit als Ministerin nachzukommen.
Es heißt Ministerinnenverantwortlichkeit, nicht Staatssekretärinnenverantwortlichkeit
So wiederholt Ministerin Stark-Watzinger durch ihr Handeln ein bereits aus der WissZeitVG-Reform altbekanntes Muster. Dort, wo für den Wissenschaftsstandort Deutschland sehr viel auf dem Spiel steht, wälzt sie ihre Verantwortung auf andere ab — und beschädigt damit zugleich das Vertrauen aus der Wissenschaft, auf das sie als Forschungsministerin dringend angewiesen ist. Wir wissen bisher nicht, was genau sich im BMBF abgespielt hat: Wer hat den Prüfauftrag bezüglich einer möglichen Sanktionierung Forschender durch Entzug von Fördermitteln veranlasst, der im Ministerium von Bearbeitenden-Seite zum Glück schnell und deutlich als „irritierend“ eingeordnet und zurückgewiesen wurde? Letztlich gibt es drei Möglichkeiten: Die erste ist, dass Stark-Watzinger den Auftrag selbst erteilt hat (oder hat erteilen lassen). Die zweite, dass die Initiative nicht von ihr ausging, sie davon aber Kenntnis hatte. Beides würde zu den Einlassungen der Ministerin in der BILD passen. Darin hatte sie die im Mailverkehr zum möglichen Fördermittelentzug erneut aufscheinende Thematik, ob die Wissenschaftler_innen, um deren Sanktionierung es hier ging, „auf dem Boden des Grundgesetzes“ stünden, bereits vorweggenommen. Die dritte Möglichkeit ist schließlich, dass Stark-Watzinger so, wie sie es in der Pressemeldung von Sonntagnacht behauptet, (ungeachtet der Kontinuität zwischen den Äußerungen in der BILD und dem Mailverkehr zur Frage des Fördermittelentzugs) von alledem überhaupt nichts wusste.
Egal, was davon wahr ist: In allen drei Fällen lässt sich ein klares Versagen der Forschungsministerin konstatieren. In den ersten beiden Fällen läge dieses Versagen darin, einen Angriff auf das durch unsere Verfassung garantierte Recht der Wissenschaftsfreiheit mutwillig durchzuführen oder billigend in Kauf zu nehmen. Im dritten Fall träte ein eklatantes Führungsversagen zutage, sollten eine derart problematische Anfrage und deren Bearbeitung zunächst ohne jede Kenntnis der Ministerin erfolgt und ihr dann erst einen knappen Monat später durch die Berichterstattung des NDR bekannt geworden sein. Es liegt in der Verantwortung einer Ministerin, ihr Ministerium so zu führen, dass sie nicht erst aus der Presse davon erfährt, wenn aus ihrer Leitungsebene Versuche unternommen werden, ein Grundrecht massiv zu beschädigen.
Wissenschaftsfreiheit wird dieser Tage nicht selten mit Füßen getreten — dass diese Füße teils auch aus dem BMBF kommen, dem für die Wissenschaft zuständigen Bundesministerium, ist bestürzend. Bettina Stark-Watzinger hat in dieser Angelegenheit vergleichsweise spät reagiert, und selbst, wenn sie dem Prüfauftrag nicht eigenhändig initiiert oder wissentlich ermöglicht hat, werden viele Wissenschaftler_innen teilen, was u.a. Jan-Martin Wiarda sowie Miriam Olbrisch und Armin Himmelrath schreiben: Die bisherige Reaktion der Ministerin reicht längst nicht aus. Sie genügt nicht, um die inzwischen eingetretenen gravierenden Schäden zu heilen. Die Schere im Kopf vieler in Deutschland tätiger Wissenschaftler_innen bleibt. Gerade in diesen Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus ist es wichtig, dass Wissenschaftler_innen sich öffentlich zu Wort melden. Sie stattdessen einzuschüchtern ist das Letzte, was wir brauchen. Ein derart autoritäres Gehabe zerstört nicht nur den Ruf des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Es beschädigt auch unsere Demokratie als Ganzes, wenn die Verachtung eines Grundrechts ausgerechnet aus einem Bundesministerium kommt. Kurz: Mit ihrer Reaktion ist die Forschungsministerin weit davon entfernt, ihrer ministerialen Verantwortlichkeit nachzukommen und mit der Reparatur dessen zu beginnen, was hier angerichtet wurde.
Dass Bettina Stark-Watzinger gerne versucht, ihre Verantwortung auf andere abzuschieben, kennen wir bereits aus der WissZeitVG-Reform: Dort ist sie seit geraumer Zeit praktisch unsichtbar — und schickt stattdessen ihren Staatssekretär Jens Brandenburg vor. Das WissZeitVG regelt einen beachtlichen Teil des Arbeitsrechts in der deutschen Wissenschaft, sehr viele Wissenschaftler_innen sind von diesem Gesetz und seinen Auswirkungen betroffen. Es ist ein wichtiger arbeitsrechtlicher Rahmen, der auch die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Deutschland wesentlich beeinflusst. Dieses Thema als Ministerin nicht selbst zu bearbeiten, zeugt von einer folgenreichen Fehleinschätzung — nicht nur, was seine Tragweite betrifft, sondern auch hinsichtlich der eigenen Rolle. Und es ist erneut eine solche Fehleinschätzung, die das Agieren der Ministerin in der aktuellen Angelegenheit prägt.
Verantwortung für den desaströsen Eindruck trägt in jedem Fall die Ministerin selbst
Möglicherweise werden wir noch mehr darüber erfahren, was im BMBF in dieser Sache vor sich gegangen ist. Fest steht aber schon jetzt: Sollte die Forschungsministerin von der Anfrage gewusst oder sie gar veranlasst haben, hat sie sich spätestens mit ihrer Pressemeldung politisch ihr eigenes Grab geschaufelt. Schließlich heißt es dort so treffend:
„Der entstandene Eindruck ist geeignet, das Vertrauen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in das BMBF nachhaltig zu beschädigen.“
Aber auch, wenn sie die Vorgänge nicht kannte, ist der „entstandene Eindruck“ nicht vom Himmel gefallen. Er ist — wie schon das Versagen in der WissZeitVG-Reform, das sich unter ihrer Führung allen Interventionen durch die Koalitionspartner_innen zum Trotz seit Monaten hinzieht — ihr zuzurechnen. Der Eindruck, den das Ministerium hier macht, fällt selbstverständlich in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich seiner Ministerin. Denn diese Vorgänge haben sich unter ihrer Leitung in ihrem Haus ereignet.
Bei einem derart einschneidenden Vorfall reicht es nicht, mit dem Finger auf die Staatssekretärin zu zeigen und mit demselben Finger anschließend so rasch wie möglich den Knopf zu drücken, der selbige per Schleudersitz aus dem Ministerium entfernt. Es ist die Leitungsebene des BMBF, die den hier in Rede stehenden, für Deutschlands Wissenschaft und Demokratie desaströsen Eindruck erweckt hat. Kurzerhand eine Staatssekretärin zu feuern und damit allen erneut die eigene Weigerung zur Übernahme von Verantwortung vor Augen zu führen wird diesen Eindruck sicherlich nicht ausräumen. Im Gegenteil.