Achtung, Brandstiftung! Antidemokratische Tendenzen im deutschen Wissenschaftssystem
von Amrei Bahr und Kristin Eichhorn
„Jahrzehntelang wurden hier universitäre Gremien entmachtet und Präsidien gestärkt, um ein zentrales Durchregieren zu erlauben. Diese Politik wird nun zur Gefahr.“
Worum geht es in diesem Zitat aus einem lesenswerten Gastbeitrag in der ZEIT? Richtig: Um die Universitäten in den USA. Während dort in großem Stil die Grundfesten wissenschaftlicher Arbeit demontiert werden, kann Deutschland sich noch in Sicherheit wiegen — schließlich sind wir von einem Schreckensszenario, wie es an den US-Unis mit einer immensen destruktiven Wucht und in schwindelerregendem Tempo ins Werk gesetzt wird, noch sehr weit entfernt. Oder etwa nicht? Leider wird bei näherer Betrachtung rasch deutlich, dass die Gewissheit einiger Mitglieder des deutschen Wissenschaftssystems hinsichtlich demokratischer Strukturen eine trügerische ist. Erstens ist dort, wo im Wissenschaftsbetrieb „Demokratie“ draufsteht, oftmals gar keine drin — jedenfalls nicht in einem Umfang, der diese Bezeichnung angemessen erscheinen ließe. Vielmehr haben wir es meist lediglich mit teil- oder scheindemokratischen Strukturen zu tun. Denn für bestimmte Mitglieder der deutschen Wissenschaft ist das System ein bisschen demokratischer als für andere: Die einen haben sehr viel Macht — die anderen haben prekäre Arbeitsbedingungen, die ihre Möglichkeiten zur Mitbestimmung und zur Durchsetzung eigener Interessen stark einschränken. Zweitens häufen sich auch hierzulande die Angriffe auf die Demokratie innerhalb und außerhalb der Wissenschaft — und sie kommen so unverhohlen und plump daher, dass man sich nur wundern kann, dass sie keinen größeren Protest auslösen.
Wir wollen uns heute einmal genauer ansehen, wie und wo demokratische Strukturen im Wissenschaftsbetrieb unter Druck gesetzt werden. Dabei lautet das Motto keineswegs „wehret den Anfängen“, denn wie sich zeigen wird, ist es dafür längst zu spät: Bereits jetzt haben sich Mitglieder des deutschen Wissenschaftssystems auf den Weg gemacht, um das, was es darin überhaupt an Demokratie gibt, mutwillig zu zerstören oder eine solche Zerstörung fahrlässig in Kauf zu nehmen — eine Entwicklung, die auch die Bedrohung der Demokratie über die Wissenschaft hinaus weiter befeuert.
Die Mittel heiligen das Durchregieren?! Demokratie opfern für die Exzellenz
Es ist kein Geheimnis, dass wir die Exzellenzstrategie (ExStra) kritisch sehen — und bekanntermaßen sind wir damit auch nicht allein. Diejenigen, denen die bisher vorgebrachten Punkte noch nicht überzeugend genug erschienen, erhielten in der FAZ vom vergangenen Mittwoch noch ein weiteres, durchaus bestechendes Gegenargument. Der ehemalige Präsident der Universität Hamburg, der sich schon vor zwei Jahren mit einem unfreiwillig komischen Take unter dem (in der Printausgabe auch als Titel verwendeten) Motto „Ich war Hanno“ zu #IchBinHanna geäußert hatte, trat dort am vergangenen Mittwoch in einem Gastbeitrag als Exzellenzerklärer auf. Seine Ausführungen hatten es in sich, nicht nur, weil sie in ihrem Ton unangenehm an den Erklärgestus des #IchBinHanna-Videos und der darauffolgenden BMBF-Kommunikation aus dem Jahr 2021 erinnerten. Sie zeugten auch von einer solchen Verachtung gegenüber den aus guten Gründen existierenden universitären Entscheidungsroutinen, dass man den Artikel leicht für Satire hätte halten können — wenn man es nicht aus Erfahrung mit diesem Autor längst besser wüsste.
Im Kern — so kann man den Text auf den Punkt bringen — seien mangelnde Exzellenzerfolge darauf zurückzuführen, dass die jeweilige Hochschulleitung nicht autoritär genug durchregiere und exzellenzskeptische Uni-Mitglieder und -Gremien so nicht in ihre Schranken weise. Die entscheidende Aufgabe der Präsident_innen und Rektor_innen sieht Lenzen nämlich nicht etwa darin, alle zentralen Akteur_innen der eigenen Institution mittels Argumenten vom Sinn der ExStra zu überzeugen. Er rät vielmehr explizit dazu, „negative Einflüsse von Gremien zu neutralisieren“. Was das heißt, wird im folgenden Absatz weiter ausgeführt:
Sollten sich Gegnerschaften gegen eine Wettbewerbsteilnahme rechtzeitig abzeichnen, tut eine Hochschulleitung gut daran, die ‚Renegaten‘ rechtzeitig ins Gespräch zu ziehen, um ihnen, besonders wenn sie diese nicht abschätzen können, die Bedeutung aufzuzeigen, die der Wettbewerb für insbesondere ‚unsere Universität‘ hat. Bei hartnäckigen Widerständen wird ein Präsident oder eine Präsidentin weitere Instrumente zeigen, die von einem Ressourcenentzug zu einem anderen Ressourcenentzug reichen, also schlicht von ökonomischen Ressourcen, aber auch von der Reputation als Ressource. Hochschulleitungen können auch Gremien gegeneinander ausspielen.
Man muss sich diesen Passus auf der Zunge zergehen lassen: Wenn es einmal nicht laufe mit der Exzellenz, dann liege das, so Lenzen, mitnichten an den Hochschulleitungen — sondern am aufmüpfigen Personal, das sich erdreistet, von seinem Mitbestimmungsrecht in Gremien Gebrauch zu machen. Gremien, daraus macht Lenzen keinen Hehl, sind von Allmachtsfantasien trunkenen Präsident_innen oder Rektor_innen ein Dorn im Auge, denn sie stören in die Exzellenzeinwerbung hinein. Lenzen fordert Führungspersonen schließlich sogar explizit zum Machtmissbrauch auf: Wenn Mitglieder der Universität, deren Zustimmung benötigt wird, Kritik an den Exzellenzambitionen äußern — etwa aufgrund der enormen Ressourcen, die eine Bewerbung verbraucht und die in der Regel durch Kürzungen an anderer Stelle kompensiert werden müssen —, sollten diese durch Drohungen so lange unter Druck gesetzt werden, bis sie kleinbeigeben. Mit anderen Worten: Man zeigt ihnen die zur Verfügung stehenden Folterinstrumente, damit sie sich ‚freiwillig‘ in die gewünschte Richtung bewegen.
Nun ist eine Kritik an universitären Gremien nicht neu — so schreibt schon Peter-André Alt in seinem 2021 erschienenen Buch Exzellent!? Zur Lage der deutschen Universität über die deutsche Gremienuniversität der 1970er Jahre:
„Die spezifische demokratische Verfasstheit der Universität, in der sich die vernünftige Debattenstruktur der Wissenschaft selbst spiegeln sollte, wurde im Elend der Gremienuniversität zu Grabe getragen.“
Aber bei aller Skepsis gegenüber Gremien macht Alt zugleich sehr deutlich, dass sie nicht einfach ignoriert oder übergangen werden können:
„Gewiss aber scheitern Universitätschefs, wenn sie verkennen, dass Gremien und Organen mit eigenen Entscheidungskompetenzen — Fakultätsräten, Akademischen Senaten, Hochschulräten — ein maßgebliches Gewicht bei allen Lenkungsprozessen zufällt. Wer das ignoriert, büßt auf kurze Sicht das Vertrauen und anschließend sein Amt ein.“
Und Alt wendet sich explizit gegen das Instrumentarium der Sanktionen, wie es Lenzen propagiert:
„Universitäten sind schwere Tanker, sie bewegen sich ungern in Richtungen jenseits der vertrauten Route. Wer sie steuern möchte, muss wissen, dass er nie alle Besatzungsmitglieder gleichermaßen für seinen Kurs gewinnen kann. Aber er muss versuchen, dass möglichst viele ihn bei Veränderungen unterstützen. Das gelingt allein durch gute Argumente, Begeisterungsfähigkeit, Elan, kaum mittels Sanktionen und Strafen.“
In der Tat muss man festhalten, dass Gremien im Wissenschaftsbetrieb ihre Versprechen demokratischer Mitbestimmung oftmals gar nicht erst einlösen: Bestimmte Statusgruppen haben hier systematisch das Nachsehen. Gremien aber faktisch weiter zu entmachten, wie Lenzens Anleitung zum Exzellenzerfolg es als zwingende Maßnahme vorsieht, würde gerade dieses Missverhältnis nicht beseitigen. Im Gegenteil: Damit entstünde mehr Machtkonzentration an der Spitze, während ein noch größerer Teil der Universitätsmitglieder ihrer Stimme beraubt würde. Das wäre das Ende der ohnehin noch lange nicht sachgerechten Mitbestimmungsstrukturen im Wissenschaftsbetrieb — dringend erforderlich ist aber gerade ein Ausbau, kein Abbau ihrer demokratischen Elemente.
Wir haben noch Kulturkampf zuhause: Brücken bauen zum Rechtsextremismus
Doch es ist bei Weitem nicht nur Dieter Lenzen, der es auf die Demokratie an Hochschulen abgesehen hat. In ein ähnliches Horn bläst auch der amtierende Präsident der Universität Potsdam, Oliver Günther, mit diversen Gastbeiträgen, Interviews und seinem neuen ‚Anti-Woke‘-Buch. Der Kern seiner Ausführungen: In den Universitäten sei zuletzt zu sehr „auf Diversität, Gleichstellung und Inklusion, auf DEI, geachtet“ worden. Damit habe man es „übertrieben“ und „Teile der Gesellschaft verschreckt“. Damit sei Trumps Angriff auf Harvard zu erklären, aber darin stecke auch eine Handlungsempfehlung für die deutsche Wissenschaft, die sich weniger mit ‚Diversität‘ befassen und den „Dialog mit allen Parteien“ (einschließlich der AfD) suchen solle.
Mit derartigen Äußerungen spielt Günther exakt nach dem rechtsextremen Playbook und übernimmt eins zu eins die Täter-Opfer-Umkehr der demokratiefeindlichen Akteure, die ganz bewusst demokratische und rechtsstaatliche Strukturen nutzen, um sie mittelfristig außer Kraft zu setzen. Dass Günthers Blick bei alledem ausgerechnet auf Diversitätsmaßnahmen fällt, die auch die Trump-Regierung in den USA als erstes Ziel ihrer unerbittlichen Attacken gegen die Wissenschaft ausgewählt hat, dürfte kein Zufall sein. So schützt man die deutsche Wissenschaft ganz bestimmt nicht vor amerikanischen Verhältnissen — man führt sie sehenden Auges mitten hinein.
Ohnehin arbeitet, wer Diversitätsmaßnahmen als bloßes Beiwerk zu Forschung und Lehre verzwergt, daran, die nach wie vor bestehenden und lediglich in Teilen durch solche Maßnahmen abgemilderten Benachteiligungen bestimmter Personen wieder in voller Härte zurückzuholen. Es überrascht wenig, dass diese Härte diejenigen, die gegen alles „Woke“ wettern, eher nicht trifft, sondern ihnen im Gegenteil unsachgemäße Vorteile verschafft. Die sogenannte Bestenauslese wird dann wieder stärker zu einer Privilegiertenauslese: Wer es in unserer Gesellschaft ohnehin leicht hat, weil er ohne eigenes Zutun bevorteilt wird, kommt dann auch in der Wissenschaft wieder ohne jeden Nachteilsausgleich für andere zum Zug.
Was Günther und andere anscheinend nicht verstehen wollen (oder ist es ihnen egal?): Wenn einzelne Wissenschaftler_innen von Benachteiligungen bedroht sind, sind es früher oder später wir alle. Wenn einzelne Fachdisziplinen oder Forschungsthemen angegriffen werden und wir uns diesen Angriffen nicht entgegenstellen, weiten sich die Angriffe früher oder später auf Wissenschaft als Ganzes aus. Und wer als Präsident demokratische Grundwerte an Hochschulen als verzichtbar ausweist, sägt damit fleißig an dem Ast, auf den er gewählt wurde.
Falsche Versprechungen: Was in der Wissenschaft „Demokratie“ heißt — und was es stattdessen heißen sollte
Dass Beiträge wie die Lenzens oder Günthers nicht längst einen größeren Aufschrei insbesondere vonseiten der Hochschulleitungen hervorgerufen haben, ist das eigentlich Bedenkliche. Man mag sich auf dem Argument ausruhen, dass es sich hier um radikale Einzelpositionen auf Seiten eines nicht mehr aktiven Universitätspräsidenten handelt oder dass ja alles gar nicht so schlimm kommen werde. Eine Entwicklung hin zur Erosion demokratischer Strukturen beobachten wir aber gesamtgesellschaftlich schon seit Jahren — und sie wiederholt sich gerade fast baugleich auf den wissenschaftlichen Leitungsebenen. Wenn das offene Zurschaustellen autoritärer Positionen und die Übernahme rechtsextremer Narrative nur noch ein Schulterzucken hervorrufen, bleiben die ganzen Bekenntnisse zu Demokratie und Vielfalt, die in den letzten Jahren plakativ ausgegeben worden sind, nichts als leere Worte.
Es ist eine Illusion, dass die Bedrohung der Demokratie immer nur von außen kommt. Universitäten sind ein Spiegel der Gesellschaft — nicht die per se moralisch überlegenen Instanzen, die sie sich gerne einbilden zu sein. Denn eine solche Position muss man sich zuerst durch Verhalten erarbeiten. Eine Hochschulleitung macht dann gute Arbeit, wenn sie allen Angehörigen ihrer Institution Achtung entgegenbringt und ihre Bereitschaft, sich auch mit kritischen Anmerkungen in die Gremienarbeit einzubringen, angemessen würdigt. Denn die Mitglieder einer Hochschule sind keine unmündigen Kinder, die man zu belehren oder auf Linie zu bringen hat, genauso wenig, wie Entscheidungsprozesse in Gremien lästige Hürden sind, die es aus dem Weg zu räumen gilt. Vielmehr ist es Aufgabe der Hochschulleitung, die Impulse produktiv aufzunehmen, statt sich selbst für die einzige kompetente Kraft zu halten, während man sich in der eigenen Selbstgerechtigkeit sonnt.
Wenn Gremien nur Prozesse zu verzögern scheinen, die ohne Mitbestimmung schneller gehen würden, dann liegt das nämlich oft daran, dass man sie ihrer eigentlichen Funktion — der tatsächlichen Mitbestimmung — bereits entkleidet hat und Fakultätsräte und Senat lediglich als Instanzen ansieht, die das Geplante nur noch abnicken. In Zeiten akuter Demokratiegefährdung müssen wir gerade das Gegenteil tun: Es gilt, Mitbestimmung an jeder erdenklichen Stelle zu stärken und auszubauen. Wie demokratisch die Prozesse an unseren Hochschulen ablaufen, ist nicht nur eine Frage der Strukturen. Es ist auch eine Frage des alltäglichen Handelns innerhalb dieser Strukturen, das Mitbestimmung ermöglichen, Nachteile ausgleichen und Machtkonzentration begrenzen sollte. Auch Hochschulpräsident_innen und -rektor_innen sind keine König_innen, die nach Belieben über die ihnen anvertrauten Hochschulen herrschen können — unbehelligt von deren Mitgliedern mitsamt ihrer Ansichten, Expertisen und Interessen. Die gesellschaftliche Verantwortung, die mit dem Amt einhergeht, gebietet Demut und Respekt vor demokratischen Prozessen — auch im eigenen Haus.