Wissenschaft steht in den USA derzeit unter enormem Druck. Die deutsche Wissenschaftscommunity reagiert geschockt, teils aber auch euphorisch: Immer wieder wird die Hoffnung geäußert, Wissenschaftler_innen aus den USA nun nach Deutschland abwerben zu können. Warum diese Idee zu kurz greift, legt Kristin Eichhorn in ihrem heutigen Newsletter-Gastbeitrag dar.
Die beispiellosen Angriffe auf Wissenschaft, die sich in den USA gerade abspielen und dort den gesamten Hochschulbetrieb in Unsicherheit stürzen, werden auch in Deutschland diskutiert. Allein die Abwicklung der U. S. A. I. D. hat zur Folge, dass nicht nur Entwicklungshilfemittel weltweit entfallen und ohnehin leidende Menschen in armen Ländern nun verstärkt von Hunger und Krankheiten bedroht sind. Sie führt auch zur Entlassung von zahlreichen Wissenschaftler_innen und zum Abbruch von wissenschaftlichen Studien. Die Overheadmittel der US-Universitäten sind radikal zusammengekürzt worden. Wichtige Forschung zur Krebsheilung und zu Herzkrankheiten steht auf einmal vor dem Nichts. Programme zu Diversität, Gleichstellung und Inklusion werden ausgesetzt. Forschung, die (vermeintlich) diese Themen behandelt, wird nicht mehr finanziert.
Wie soll man auf diese Entwicklung reagieren? Der aktuelle Übergangsminister im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) hat dazu unlängst ein Interview gegeben, in dem er die prekäre Lage der US-Wissenschaft auf den Punkt bringt und zahlreiche bedenkenswerte Aspekte anspricht, was die Auswirkungen auf Deutschland und mögliche Reaktionen betrifft. Zu Recht sieht er die amerikanische Entwicklung als Anlass dafür, dass wir hierzulande „weiter ein Leuchtturm für die freie Wissenschaft“ sein müssen. Dafür benötige „der Wissenschaftsstandort Deutschland ein Update“, konkret „attraktive Rahmenbedingungen für Forschende: Kinderbetreuung, Jobmöglichkeiten für die Partner, Wohnungsmarkt“. Der Satz im Interview, der aber am meisten für Aufsehen gesorgt hat (weil das BMBF ihn für ein Sharepick wählte), betrifft eine Idee, die vor Özdemir schon der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Patrick Cramer sowie der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Wolfgang Wick ins Spiel gebracht hatten: „Wenn Spitzenforscher in den USA keine Möglichkeiten mehr für sich sehen, frei dort zu forschen, sind sie in Deutschland willkommen.“
Hindernisse für den individuellen Umzug
Nun hat sich in den Sozialen Medien recht schnell eine Diskussion darüber entwickelt, dass das ja alles gar nicht so einfach sei. Zum einen ist ein Umzug von einem Kontinent auf den anderen auch unter verschärften Bedingungen für viele keine leichte Aufgabe — neben sprachlichen Hürden haben schließlich auch in den USA tätige Wissenschaftler*innen Familien sowie andere sie an den Ort bindende soziale Beziehungen und Verpflichtungen. Zudem ist angesichts der diversen Unsicherheiten keinesfalls klar, ob es nicht formale Ausreisehindernisse geben kann (etwa, weil das bisher im Pass stehende Geschlecht inzwischen offiziell nicht mehr existiert oder der Flugverkehr aufgrund von Massenentlassungen entsprechenden Fachpersonals nicht mehr zuverlässig funktioniert). Hier ist eine Reihe von Problemen denkbar, die aktuell nicht vorhergesagt werden können.
Zum anderen wurde das auf der Hand liegende Argument vorgebracht, dass die Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft weiterhin wenig attraktiv sind und man sich angesichts der jüngsten Einsparbestrebungen einiger Bundesländer durchaus die Frage stellen kann, ob es denn überhaupt freie Stellen für amerikanische Forscher_innen gibt. Eine gezielte Abwerbeaktion, um Wissenschaftler_innen aus den USA nach Deutschland zu holen, plane man beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) jedenfalls nicht, ließ sein Präsident Joybrato Mukherjee letzte Woche im Research.Table verlauten. Es sei wichtiger, „über transatlantische Solidarität und Unterstützung der Institutionen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA [zu] sprechen, die massiv unter Druck stehen.“
Es braucht auch Infrastruktur!
Dem ist definitiv zuzustimmen, wenngleich die Frage bislang völlig offen bleibt, welche konkreten Maßnahmen jenseits einer vorläufigen Aufrechterhaltung der internationalen Zusammenarbeit aus einer solchen Forderung folgen sollen. Tatsächlich ist es riskant, den Blick zu exklusiv auf die Lage individueller Wissenschaftler_innen zu richten, denen man als Ausweg eine Position in einem anderen Land anbieten kann. Abgesehen davon, dass auch bei uns wissenschaftsfeindliche Kräfte in Regierungsverantwortung kommen könnten (womit niemandem geholfen wäre), verursachen die Eingriffe in den USA auch strukturelle Probleme, die weit über kompensierbare Einzelschicksale hinausgehen. Denn: Die USA sind eben nicht irgendein Land, sondern beheimaten traditionell zahlreiche Einrichtungen, auf deren Zuarbeit und Daten man sich international bisher verlassen konnte und verlassen hat. Zwar ist die wichtige Literaturdatenbank PubMed nach einer Störung am ersten Märzwochenende inzwischen wieder erreichbar. Allerdings zeigt der Ausfall, dass wir in Zeiten leben, in denen aus den USA gehostete wissenschaftliche Datenbanken und Webseiten (darunter auch Nature und Google Scholar), an deren Nutzung wir gewöhnt sind, jederzeit verschwinden, eingeschränkt oder manipuliert werden können.
Das bedeutet: Wir brauchen eine eigene wissenschaftliche Infrastruktur, die als Backup und Ersatz fungieren kann. Nicht nur für uns, sondern auch für die Kolleg_innen in den USA, die — sofern sie noch in ihrem eigenen Land tätig sein können — unkompromittierte Daten und Informationen benötigen. Im digitalen Raum gibt es diese Infrastruktur zum Teil bereits. Doch die Problematik geht weit über das Digitale hinaus: Nicht jedes Speziallabor, das aufgrund von Mittelstreichungen sein Personal entlassen und kein Material mehr bestellen kann, ist von heute auf morgen anderswo in der Welt wiederzuerrichten. Dasselbe gilt für Bibliotheken und Archive, von denen durchaus nicht alle vollständig digitalisiert sind. Die Expertise zu uns reisender Wissenschaftler_innen allein nützt wenig ohne Materialien und Umgebungen, auf die sie für ihre Arbeit angewiesen sind. Auch dafür müssen, wenn man es ernst meint, Mittel einkalkuliert werden. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt zum Sparen.
Aber nur die Besten bitte!
Neben diesen — durchaus immerhin in Teilen zu bewältigenden — praktischen Herausforderungen komme ich aber nicht umhin, mich an einer anderen Sache zu stoßen, wenn ich die Diskussion um den Wechsel von Wissenschaftler_innen nach Deutschland verfolge: An wen genau richtet sich das Angebot (so es denn einmal konkret wird)? Man kann es eigentlich fast erraten. Genau: an „Spitzenforscher“ (Cramer), „kluge Köpfe“ (Wick) und „die besten Köpfe“ (Özdemir).
Insbesondere die beiden Vertreter aus der Wissenschaft machen in ihren Verlautbarungen sehr deutlich, dass es bei ihrem Anliegen vor allem darum geht, Deutschland einen internationalen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen und Forschende zu gewinnen, von deren Umzug man bisher nur träumen konnte (solche, bei denen Cramer „funkelnde Augen“ bekommt). Dafür stellt man in der MPG offenkundig fleißig Gelder bereit und begibt sich auf just die Abwerbetour, der Mukherjee für den DAAD eine Absage erteilt. Und auch bei Wick scheint eine gewisse Euphorie durch, wenn er in der Katastrophe, die sich in den USA gerade entfaltet, eine Chance sieht, dass endlich die nötigen Reformen in Europa angestoßen werden könnten:
„Die EU Kommission [sic] will nun unter anderem in KI-Fabriken investieren, Zukunftstechnologien stärken sowie Regularien abbauen und Start-ups fördern. Das alles hilft, um für internationale Spitzenkräfte und private Investitionen deutlich attraktiver zu werden. Europa ist mit seinem gigantischen gemeinsamen Wissenschafts- und Innovationsraum wie ein schlafender Riese, der endlich wach geküsst wurde. Dass dies ausgerechnet durch Donald Trump geschieht, ändert nichts daran, dass darin eine gute Nachricht steckt.“
Also ist das der Punkt? Endlich haben sich die USA selbst als bisher kaum einholbarer Konkurrent aus dem Rennen genommen, sodass wir eine echte Chance haben, aufzuholen und „internationale Spitzenkräfte“ anzuziehen?
Ein Votum für echte Resilienz
Um es klar zu sagen: Die Forderungen nach Reformen im (deutschen) Wissenschaftssystem, die damit einhergehen, sind in vieler Hinsicht begründet. Wir ruhen uns schon deutlich zu lange auf vergangenen Lorbeeren aus und vernachlässigen fundamentale Grundlagen der Arbeit in der Wissenschaft, darunter Bausubstanz, Arbeits- und Studienqualität. Aber: Dass unser System so ausbluten konnte, liegt ja gerade in den Grundüberzeugungen, die mit solcher Wettbewerbs- und Exzellenzrhetorik einmal mehr reproduziert werden. Um ‚Leuchttürme‘ und ‚Spitzenforschung‘ zu fördern, haben wir Finanzmittel im Wissenschaftssystem von unten nach oben umverteilt. Weil wir auf Drittmittel und Erfolge in der Exzellenzstrategie setzen und renommierte Professor_innen teuer abwerben, reicht das Geld nicht für Tariferhöhungen und Grundausstattung, sind befristete Stellen unentbehrlich geworden, um finanzielle Engpässe flexibel kompensieren zu können bzw. den ‚besten Köpfen‘ Deutschland als Wirkungsort durch die Möglichkeit der eigenständigen Personalauswahl schmackhaft zu machen, Stichwort ‚Ausstattung‘.
Wenn wir also jetzt angesichts der akuten Angriffe auf die Wissenschaft in den USA nur die alte Rhetorik der vermeintlichen Bestenauslese wieder aus der Mottenkiste holen, dann schützen wir unsere Wissenschaftsfreiheit keineswegs. Wir verstärken im Gegenteil Systemeffekte, die sich längst negativ auf die Arbeit von Wissenschaftler_innen auswirken: Es werden Abhängigkeiten von Geldgebern und Vorgesetzten erzeugt, die zu Anpassung führen und eben gerade deshalb eine Gefahr für die Resilienz unseres Wissenschaftssystems darstellen. In den letzten Wochen kam oft die Frage auf, warum man aus der US-Wissenschaft so wenig Widerspruch hört. Wäre die Situation in Deutschland eine ähnliche: Wie laut wären unsere Wissenschaftsinstitutionen? Jan-Martin Wiardas Vermutung lautet nicht ohne Grund, dass hiesige Einrichtungen Angriffen, die denen in den USA vergleichbar sind, wenig entgegenzusetzen hätten.
Es hilft alles nichts: Wenn wir derartigen Entwicklungen vorbeugen und den Wert der Wissenschaft gerade jetzt hochhalten wollen, brauchen wir ein solidarischeres und gerechteres Wissenschaftssystem, das Forschung und Lehre in der Breite ausfinanziert und ohne die Selbstausbeutung seiner Mitglieder auskommt. Denn nur dann können wir uns wirklich mit Recht auf die Schulter klopfen und sagen: Wir haben es besser gemacht. Andernfalls kann es nach der kurzzeitigen Freude über die neue Wettbewerbsfähigkeit auch hierzulande bald ein sehr böses Erwachen geben.