Bekräftigung für #IchBinHanna: Nun muss der Bund liefern!
Während sich in Deutschland an vielen Orten die Vorlesungszeit dem Ende zuneigt, läuft die Diskussion um #IchBinHanna zu neuen Höchstformen auf, denn zwei lange erwartete wichtige Dokumente zum Thema wurden jüngst veröffentlicht: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungsbeschwerde bezüglich der Anschlusszusage-Regelung im Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) lag am vergangenen Donnerstag vor; am gestrigen Montag kam dann auch noch das Positionspapier „Personalstrukturen im deutschen Wissenschaftssystem“ des Wissenschaftsrats (WR) hinzu. Welche Folgen ergeben sich daraus für die Debatte um #IchBinHanna und die anstehende Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG)? Darüber möchte ich heute schreiben, ehe sich dieser Newsletter für acht Wochen in die Sommerpause verabschiedet.
Das Bundesverfassungsgericht stellt klar: Der Bund ist am Zug
Was bedeutet das Urteil des BVerfG für #IchBinHanna? Für diejenigen Hannas, die aktuell in Berlin tätig sind oder mit dem Gedanken spielen, es zu werden, sind die unmittelbaren Konsequenzen gering. Denn die Anschlusszusage-Regelung, die Stein des Anstoßes war und versprach, dem Wissenschaftsstandort Berlin mit verlässlichen Perspektiven eine Vorreiter-Rolle im Kampf um qualifiziertes Personal zu verleihen, war zurückgezogen worden, ohne die Entscheidung des BVerfG überhaupt abzuwarten. Dennoch ist das nun vorliegende Urteil keineswegs irrelevant für #IchBinHanna. Im Gegenteil: Seine Auswirkungen schlagen sich sogar bundesweit nieder — weil es deutlich macht, dass die Gesetzgebungskompetenz und damit die Hauptverantwortung für entscheidende rechtliche Rahmenbedingungen der Arbeit in der deutschen Wissenschaft beim Bund liegt.
Wichtig ist zudem, dass das Urteil zur Rechtmäßigkeit von Anschlusszusage-Regelungen keine Aussage trifft. Um besser zu verstehen, warum das so ist, bedarf es eines Blicks auf die Verfassungsbeschwerde der HU Berlin, die zwei Argumentationslinien hat. Die erste betrifft die Gesetzgebungskompetenz: Berlin habe hier keine, da der Bund bereits mit dem WissZeitVG abschließend regele und hier auch zuständig sei. Es gilt: Arbeitsrecht ist Bundesrecht. Gemäß der zweiten Argumentationslinie erblickte die HU Berlin in der Anschlusszusage-Regelung des BerlHG eine Verletzung ihrer Wissenschaftsfreiheit.
Laut Urteil ist die erste Argumentationslinie zur Gesetzgebungskompetenz nun bereits hinreichend für Verfassungswidrigkeit der Anschlusszusage im BerlHG. Daher wird die zweite Argumentationslinie vom Gericht gar nicht geprüft. Aber Moment, da steht doch etwas vom Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit durch die Anschlusszusage-Regelung? Stimmt, aber ein Eingriff in ein Grundrecht ist nicht unbedingt verfassungswidrig, er kann auch gerechtfertigt sein — und bei gerechtfertigten Eingriffen in ein Grundrecht handelt es sich nicht um Verletzungen desselben. Dass ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit vorliegt, spielt für das BVerfG nur insofern eine Rolle, als sich daraus ergibt, dass es in der Angelegenheit überhaupt zuständig ist. Aus dem Urteil geht allerdings nicht hervor, dass wir es hier tatsächlich mit einer Verletzung dieses Grundrechts zu tun haben. Daher verbietet es sich, aus dem Urteil zu folgern, dass Anschlusszusage-Regelungen die Wissenschaftsfreiheit verletzen. Ein entsprechender Schluss lässt sich also auch mit Blick auf das WissZeitVG und dessen Reform mitnichten aus diesem Urteil ziehen. Damit beschränkt sich die Konsequenz des Urteils für die WissZeitVG-Reform darauf, deren Dringlichkeit zusätzlich zu bekräftigen: Der Bund ist zuständig und muss handeln — zu diesem Schluss kommen auch die juristischen Kommentatoren, s. z.B. hier. Aber: Was soll der Bund denn nun im Einzelnen tun? Dazu gibt der WR in seinem neuen Papier Aufschluss.
Der Wissenschaftsrat betont: Unbefristete Beschäftigung nach der Promotion muss in Deutschland zur Regel werden
Wer das 91 Seiten umfassende Papier „Personalstrukturen im deutschen Wissenschaftssystem“ liest, erkennt rasch die Kernforderungen unserer Initiative #IchBinHanna wieder, die darin nachdrücklich bekräftigt werden. In einem Statement für den Blog von Jan-Martin Wiarda haben wir das Papier gestern als „Best-of“ unserer Forderungen bezeichnet — aber auch Kritik daran geübt:
Das WR-Papier liest sich wie ein Best-of der Kernforderungen unserer Initiative #IchBinHanna: Der WR greift unsere Forderungen auf und unterstreicht die Notwendigkeit ihrer Umsetzung. Er spricht sich explizit für mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse und die Transformation hin zu Departmentmodellen aus. Für die Promotion sieht er Mindestvertragslaufzeiten vor, die die durchschnittliche Promotionsdauer im jeweiligen Fach abdecken, was unbedingt zu begrüßen ist. Auch die deutlich rigidere Begrenzung der maximalen Befristung nach der Promotion ist erfreulich, wobei es bei 2 Jahren bleiben sollte, statt die Möglichkeit von bis zu 3 Jahren auszureizen. Wer Wissenschaft als Beruf anschließend weiter ausüben möchte, soll nach dem Vorschlag des WR nach bis zu 3 Jahren Postdoc-Befristung zwar im Normalfall eine unbefristete Stelle erhalten, kann jedoch auch weiterhin befristet werden: etwa auf einer Entwicklungsstelle mit Anschlusszusage (Juniorprofessur mit TT o.ä.). Dann ergeben sich 2-3 Jahre Befristung in S2 plus i.d.R. 6 Jahre in S3 — und Weiterentwicklung wird weiterhin mit Befristung gekoppelt, statt sie auf unbefristeten Stellen zu ermöglichen. Nach der Promotion, die durchschnittlich im Alter von etwa 32 erfolgt, neun Jahre bis zur Übernahme auf eine unbefristete wissenschaftliche Stelle zu warten, was auf ein Durchschnittsalter von 41 Jahren hinausläuft, ist deutlich zu lang und verfehlt das Ziel attraktiver Karrierewege in der deutschen Wissenschaft.
Was sollte der Bund nun also tun, um die Empfehlungen des Wissenschaftsrats bestmöglich umzusetzen? Erstens sind neue Mindestvertragslaufzeiten für die Promotion erforderlich — die im Referentenentwurf der gescheiterten WissZeitVG-Reform der Ampel vorgesehenen drei Jahre greifen zu kurz. Zweitens muss die Empfehlung, die Postdoc-Phase zu verkürzen, umgesetzt werden: Eine Postdoc-Befristung darf demnach nur noch zwei Jahre betragen — und muss mit geeigneten Instrumenten für die anschließende verlässliche Übernahme in unbefristete Arbeitsverhältnisse hinterlegt werden. Hier bietet sich die Anschlusszusage als verlässliches Mittel an. Auch Befristungshöchstquoten sind ein aussichtsreicher Hebel, um die vom WR ausgegebene Zielsetzung der unbefristeten Stelle als Normalfall verlässlich zu erreichen.
Alle Augen richten sich auf die WissZeitVG-Reform
Die Forderungen von #IchBinHanna sind längst zu etablierten Zielsetzungen der deutschen Wissenschaftspolitik geworden. Nun geht es an die Umsetzung — und an der Maßgabe dafür lässt der WR keinen Zweifel: Der überwiegende Teil der Postdoc-Stellen muss zukünftig unbefristet sein. Wir als Wissenschaftscommunity werden die anstehende WissZeitVG-Reform daher gemeinsam mit den Medien nicht nur sehr genau beobachten, sondern auch daran messen, wie gut sie sich dazu eignet, dieses Ziel zu erreichen. Die Verantwortlichen tun ihrerseits gut daran, sich während der Sommerpause Gedanken zu machen, wie das gelingen kann — um die Reform dann im Herbst rasch mit einer sachgerechten Ausrichtung voranzutreiben!
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Allen Leser_innen wünsche ich einen schönen, erholsamen Sommer — hier geht es am 16.9. weiter!