Das WissZeitVG kann einiges - auch unbefristete Stellen schaffen
In der Debatte um die Reform des WissZeitVG wird den berechtigten Erwartungen, die die Bundesregierung nicht zuletzt durch ihre Versprechungen im Koalitionsvertrag geweckt hat, von verschiedenen Beteiligten gerne mit einer Art Erwartungsmanagement begegnet: Vom Gesetz werde viel mehr erhofft, als es einlösen könne. Eine Variante dieser Form des Erwartungsmanagements ist die Behauptung, das Gesetz könne keine Dauerstellen schaffen. Aber stimmt das so?
Die Stellen, um die es geht, sind bereits da
Zunächst: Niemand behauptet, dass eine Gesetzesnovelle eine wundersame Vermehrung der absoluten Zahl an Stellen verursacht. Es ist selbstverständlich nicht zu erwarten, dass durch ein reformiertes Gesetz plötzlich zahlreiche zusätzliche Stellen entstehen werden. Aber das ist ja auch gar nicht der Punkt. Denn wenn es um die unbefristete Besetzung von Stellen geht, sprechen wir in erster Linie über Stellen, die längst vorhanden sind und deren Finanzierung ohnehin auf Dauer gestellt ist, nämlich Haushaltsstellen. Diese Stellen können bereits jetzt unbefristet vergeben werden. Es wird nur nicht gemacht, u.a. weil wissenschaftliche Arbeitgeber Gefallen an der Flexibilität finden, die Befristung für sie bedeutet. Daran, dass Haushaltsstellen nicht weiter in dieser Weise für die Personalrotation in der Postdoc-Phase benutzt werden (können), kann ein reformiertes WissZeitVG sehr wohl etwas ändern: Es kann die Möglichkeiten der Befristung eindämmen, um Druck zu erzeugen, diese Stellen zu entfristen. Dazu dienen auf individueller Ebene eine nach maximal zwei Jahren erfolgende Anschlusszusage, die für die einzelnen Beschäftigten Klarheit über die Bedingungen einer Entfristung schafft, und auf institutioneller Ebene eine Befristungshöchstquote, die die Möglichkeiten der Arbeitgeber zur ausgreifenden Befristung einhegt.
Befristungsrecht soll ausgreifende Befristung eindämmen, nicht ermöglichen
Genau das ist Sinn und Zweck des Befristungsrechts: Es dient dazu, Befristung einzudämmen. Erwägungsgrund Sechs der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge — Grundlage der Befristungsrahmenrichtlinie 1999/70/EG – sagt ausdrücklich: „Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses.“ Das Normalarbeitsverhältnis ist also unbefristet — und es ist anhand objektiver Gründe legitimationsbedürftig, davon abzuweichen (Erwägungsgrund 7). Dass das gegenwärtige WissZeitVG eine sachgerechte Eindämmung der Befristungen in der Wissenschaft nicht zu leisten vermag, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Umso wichtiger ist es, dass eine Reform die Konstruktionsfehler des jetzigen Gesetzes nicht wiederholt. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt eindrücklich: Wissenschaftliche Arbeitgeber befristen in dem Umfang, in dem es ihnen rechtlich erlaubt ist. Sollen mehr Stellen unbefristet besetzt werden, wird das nur geschehen, wenn dieser Umfang durch taugliche Instrumente wie eine frühzeitige Anschlusszusage und eine klare Befristungshöchstquote begrenzt wird.
Wer heute spart, steht morgen ohne Personal da
Aber kosten unbefristete Wissenschaftliche Mitarbeiter_innen nicht mehr, weil sie sukzessive die Stufen des TV-L hochklettern? Ja. Allein: Das kann wohl kaum ein Argument gegen die nachhaltige Sicherung von Expertise sein, wenn die Alternative ist, in immer mehr Feldern bald ganz ohne Expert_innen dazustehen. Denn auf der individuellen Ebene ist Wissenschaft als Beruf nach wie vor unberechenbar — und das bliebe so, wenn der Referentenentwurf des BMBF Gesetz würde. Weiterhin müssten Postdocs vier Jahre lang darum bangen, ob sie eine Perspektive erhalten. Wer das nicht will, wird sich von Wissenschaft als Beruf in Deutschland fernhalten und lieber Alternativen suchen, sei es in anderen Branchen oder im Ausland. Wer nicht über die persönlichen Voraussetzungen verfügt, über Jahre diese anhaltende Unsicherheit abzufedern, ebenso. An einer Umwandlung der befristeten Haushaltsstellen in Dauerstellen zu sparen, wird sich deshalb für Deutschland nicht auszahlen. Im Gegenteil: Der zu erwartende Schaden ist groß, weil der Pool nachrückender Postdocs in Zeiten des Fachkräftemangels angesichts unattraktiver Arbeitsbedingungen im Wissenschaftssystem eben nicht unbegrenzt groß ist, sondern immer weiter schrumpfen wird. So in den Wettbewerb mit dem deutlich zahlungskräftigeren allgemeinen Arbeitsmarkt zu gehen, kann sich weder die deutsche Wissenschaft leisten noch unser Land, das ohne kompetente Lehrende und Forschende vor immensen Problemen steht. Schließlich bilden diese Lehrenden alle Fachkräfte mit akademischen Abschlüssen aus – und diese Forschenden tragen wesentlich zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen bei.
Potentiale des WissZeitVG nicht kleiner machen, als sie sind
Statt immer wieder zu betonen, was das WissZeitVG nicht kann, sollten wir deshalb lieber anerkennen, welches immense Potential in diesem Gesetz steckt, um die Weichen zu stellen hin zu einem nachhaltigen deutschen Wissenschaftssystem. Zu diesem Potential zählt, dass das WissZeitVG für eine unbefristete Besetzung von Haushaltsstellen sorgen und in diesem Sinne sehr wohl mehr unbefristete Stellen schaffen kann. Wird mittels einer Befristungshöchstquote der Befristungsanteil nach und nach gesenkt, lässt sich innerhalb dieses Strukturwandels auch der Übergang sinnvoll gestalten, damit zukünftige Generationen ebenfalls etwas von der längst überfälligen Umgestaltung der Stellenstruktur haben. Darin liegt die Chance, Expertise und Kompetenz nachhaltig an das deutsche Wissenschaftssystem zu binden. Diese Chance sollte im nun anstehenden Gesetzgebungsverfahren beherzt ergriffen werden: für einen zukunftsfähigen deutschen Wissenschaftsstandort.