#HannaWählt2025: Unsere Forderungen zur Wahl
von Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon
Wissenschaft: ein zentrales politisches Thema unserer Zeit. Dass ihr Stellenwert im Wahlkampf und anschließend auch als Handlungsfeld der neuen Bundesregierung gar nicht überschätzt werden kann, dürfte unstreitig sein. Entscheidend ist dafür auch, wie Arbeit in der Wissenschaft zukünftig organisiert und rechtlich geregelt wird. Diesbezüglich ist insbesondere für das nicht-professorale Personal aktuell noch eine ganze Menge Luft nach oben — das zeigt eindrücklich die #IchBinHanna-Debatte der letzten Jahre. Machen wir uns nichts vor: Ehe sie durch das Ende der Ampel ganz zum Erliegen kam, war die WissZeitVG-Reform zuletzt von einer einigermaßen festgefahrenen Diskussion geprägt. In deren Zentrum stand vor allem die Frage, wie die Postdoc-Befristung im WissZeitVG geregelt werden sollte. Zeitweise konnte man sich vorkommen wie in einer Mathestunde — es entstand der Eindruck, es gehe plötzlich nur noch darum, unter allerlei Zahlenkombinationen (4+2, 2+4 usw.) eine auszuwählen, wobei die Gründe dafür, für eine bestimmte Kombination zu votieren, zunehmend in den Hintergrund gerieten.
Wir #IchBinHanna-Initiator_innen haben die WissZeitVG-Reform ab dem ersten Tag intensiv begleitet und dabei immer wieder auf die beiden Absätze im Koalitionsvertrag der Ampel verwiesen, die unsere Kernforderungen enthielten. Wir haben uns dabei durchaus offen gezeigt gegenüber politischen Kompromissvorschlägen, wie etwa dem der SPD, die Postdoc-Phase mit einer Anschlusszusage nach zwei Jahren zu regeln (also in der Variante 2+4). Gleichwohl mussten wir immer wieder feststellen, dass die Suche nach Kompromissen den Blick verstellt auf das eigentliche Problem, auf das wir bereits im Sommer 2022 in einem Gastbeitrag im Wiarda-Blog hingewiesen hatten: Postdocs sind bereits fertig qualifiziert, eine Befristung zum Zwecke der Qualifikation deshalb schlicht und ergreifend nicht sachgerecht. Sogar Kompromisslösungen wie 2+4, die die gravierenden Folgen der perspektivlosen 6-Jahres-Prekarität für Arbeit und Leben der Postdocs lediglich abgemildert hätten, wurden von den Arbeitgebervertretern (die über dieses enorme Entgegenkommen eigentlich hätten froh sein können, hätte die Lösung doch die Postdoc-Befristung nach WissZeitVG weiter ermöglicht) vehement abgewehrt.
Das zeigt: Die Kompromissbereitschaft aufseiten der Arbeitgebervertreter ist gleich Null. Will die Politik der Problematik gerecht werden, muss sie dieser Stimme also deutlich weniger Gewicht geben, als das bislang der Fall war. Zwischen der grundsätzlichen Richtungsentscheidung für eine Verbesserung der Situation einerseits und einem Votum für den Status quo andererseits gibt es keinen Kompromiss, der sich ausrechnen ließe. Das dürften die endlosen Verhandlungen der drei Parteien zur Genüge gezeigt haben. Es braucht also mehr Entschlossenheit, wirklich neue Wege zu gehen und sich vom Gewohnten zu verabschieden.
Denn: Die Arbeitgebervertreter sind nicht bereit, sich zugunsten der Rettung unseres bereits massiv unter Druck stehenden Wissenschaftssystems auch nur um Millimeter von ihren Maximalforderungen zu entfernen. Und das, obwohl viele von ihnen längst feststellen, dass die Perspektivlosigkeit im deutschen Wissenschaftssystem immer mehr qualifizierte Kräfte abschreckt, mit verheerenden Folgen für den Wissenschaftsstandort Deutschland. Dass im permanenten Wechsel des befristeten Personals das größte Innovationshemmnis gesehen wird und dadurch langfristige Grundlagenforschung erschwert bis unmöglich gemacht wird, hat für ausgewählte Fächer eine Studie des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung bereits vor Jahren belegt. Was also ist nun wissenschaftspolitisch zu tun? Was sollte die neue Bundesregierung im Hinblick auf die Postdoc-Befristung und darüber hinaus umsetzen, um das deutsche Wissenschaftssystem zukunftsfähig aufzustellen? Wir #IchBinHanna-Initiator_innen haben sechs Forderungen an die Politik, die wir im heutigen Newsletter näher erläutern.
1. Postdocs sind abschließend qualifiziert und müssen folglich raus aus dem WissZeitVG
Die gescheiterte WissZeitVG-Reform der Ampel hat gezeigt: Die Diskussion über Kompromisse bei der Postdoc-Befristung führt zu nichts. 4+2, 2+4 und so weiter: Dieses Thema hat die WissZeitVG-Debatte monatelang dominiert — leider ohne Resultate. Was es daher jetzt braucht, ist ein echtes Umdenken, das die Rolle der Postdocs würdigt, statt sie mit vorgeschobener Qualifizierungsbegründung wie unmündige Azubis zu behandeln. Die Promotion ist der letzte berufsqualizierende Abschluss nach Europäischem Qualifikationsrahmen (EQR). Eine Qualifikationsbefristung für das promovierte wissenschaftliche Personal ist sachlich nicht gerechtfertigt und dient nur zur Umgehung des geltenden Arbeitnehmerschutzes. Deshalb fordern wir: WissZeitVG auf die Promotion beschränken!
2. Ausufernde Befristung erfolgreich eindämmen mit Befristungshöchstquote
Deutschland hat es mit seiner ausufernden Befristung in der Wissenschaft zu zweifelhafter Berühmtheit gebracht. Während eine Befristung zu Qualifikationszwecken in der Promotion sachgerecht ist, ist sie es in der Postdoc-Phase nicht mehr — und wird in dieser Phase dennoch in erschreckendem Ausmaß fortgesetzt. Laut Barometer für die Wissenschaft des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) liegt die Befristungsquote unter Postdocs derzeit bei 61%. Das schadet Wissenschaft in Deutschland massiv. Die ausufernde Befristung hat ihren Preis: Der Fachkräftemangel in der deutschen Wissenschaft ist längst da, was wesentlich auch an den mangelnden Perspektiven auf eine unbefristete Stelle liegt. Das Barometer für die Wissenschaft betont die Unzufriedenheit befristet beschäftigter Forschender mit ihren beruflichen Perspektiven. Dass Wissenschaft in Deutschland kein attraktiver Beruf mehr ist, merken auch die Hochschulen, wie das Hochschul-Barometer 2024 erneut eindrücklich zeigt: Demzufolge fällt es den „Hochschulen […] zunehmend schwer, passende Fachkräfte zu finden“. Es gibt ein Instrument, das diesen Missstand effektiv behebt und über das wir bereits vor einer Weile in der FAZ geschrieben haben: Die Befristungshöchstquote, die die maximale Zahl befristeter Stellen festlegt, die eine Hochschule im Verhältnis zu den unbefristeten Stellen vergeben kann. Wir fordern daher: Befristungshöchstquoten für promoviertes wissenschaftliches Personal!
3. Flexible Personalkategorien neben der Professur mit Anschlusszusage auf unbefristete Beschäftigung
In der deutschen Wissenschaft gilt bislang weitgehend das Prinzip: Entweder Du wirst Prof oder Du fliegst raus. Auch das DZHW hält fest: „zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Wissenschaft“ bedürfe es „erfahrener Forscher*innen mit gesicherten arbeitsvertraglichen Perspektiven“, Postdocs seien „eine wesentliche Stütze eines funktionierenden Wissenschaftssystems“. Wir plädieren deshalb erneut für die Schaffung neuer Personalkategorien, die eine Weiterentwicklung und eine Professionalisierung der Tätigkeiten durch Karriereperspektiven in den Feldern Lehre, Forschung, Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsmanagement ermöglichen. Als Diskussionsgrundlage können hier die Leitlinien für unbefristete Stellen an Universitäten neben der Professur der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Jungen Akademie dienen, die Stellenprofile neben der Professur auch inhaltlich konturieren. Wichtig: Der Vorschlag aus den Leitlinien, die Stellen mit einer Anschlusszusage auf unbefristete Beschäftigung zu versehen, muss umgesetzt werden. Nur so werden diese Stellen für potentielle Beschäftigte attraktiv!
4. Einführung von Departmentstrukturen
„Vier von fünf Hochschulleitungen sehen […] die hierarchische Struktur des Hochschulwesens als belastend an“ — so das Hochschulbarometer 2024. In den letzten Jahren sind zahlreiche Fälle von Machtmissbrauch im Hochschulkontext in den medialen Fokus gerückt. Es braucht daher einen Abbau von Hierarchien und Abhängigkeiten. Die Einführung von Departmentstrukturen leistet einen solchen Abbau, indem sie das formal längst abgeschaffte, aber weiterhin nachwirkende Lehrstuhlprinzip durch eine zeitgemäße Organisation von Arbeitsbeziehungen ersetzt. Aus diesem Grund fordern wir eine Einführung von Departmentstrukturen und gesetzliche Rahmenbedingungen, die diese Strukturen bestmöglich befördern!
5. Vier Jahre Mindestvertragslaufzeit für Promovierende
Wir alle wissen es, die Statistiken zeigen es: Promovieren braucht Zeit. Im Schnitt 5,7 Jahre, wenn man Promotionen in der Medizin nicht mitzählt. Erstverträge für Promovierende müssen deshalb eine Laufzeit von mindestens vier Jahren haben. Anschließend kann zum Abschluss des Promotionsverfahrens eine Verlängerung um weitere zwei Jahre gewährt werden. Promotionen müssen regulär auf 100-Prozent-Stellen erfolgen; Teilzeit sollte nur auf eigenen Wunsch möglich sein. Damit wird auch der Ungleichbehandlung von Promovierenden unterschiedlicher Fächer endlich ein Ende gemacht, die nicht zuletzt durch das berühmte DFG-Hinweispapier zu Stellenumfängen provoziert wird: Wer in der Informatik promoviert, kann das laut DFG auf 100%-Stellen tun, während für eine Promotion in der Biologie eine 65%-Stelle ausreichend ist. Hier ist wohlgemerkt nicht das Argument, dass man in der Informatik mehr arbeitet als in der Biologie, sondern Grund für die Diskrepanz ist laut DFG die „Wettbewerbssituation in den jeweiligen Fächern“, also: In der Informatik verdienen die Leute in der freien Wirtschaft so viel, dass man ihnen 100%-Stellen geben muss, damit sie überhaupt an die Uni kommen. In anderen Fächern kann man sie mit weniger abspeisen. Dass oftmals dennoch Vollzeit-Arbeit erwartet wird, ist allgemein bekannt. Diese Ungleichbehandlung ist ungerecht, wertet einige Fächer systematisch ab und unterwandert den Tarifvertrag. Deshalb fordern wir: Volle Stellen mit vier Jahren Mindestlaufzeit für den Erstvertrag über alle Fächer hinweg!
6. Überführung der Exzellenzmittel und eines Großteils der DFG-Mittel in die Grundfinanzierung der Hochschulen
Es ist völlig unklar, ob positive Effekte der Exzellenzstrategie die zahlreichen bekannten Nachteile überwiegen. Umfängliche Antragstellung, Begutachtung und Administration: die Exzellenzstrategie frisst Arbeitszeit und Ressourcen in irrsinnigem Umfang. Ob das überhaupt etwas bringt, ist unklar: Wie HRK-Präsident Rosenthal neulich in der FAZ zugab, beginnt die Evaluation der Exzellenzstrategie schließlich erst 2027! Gleichzeitig fehlt es den Hochschulen massiv an dringend benötiger Grundfinanzierung. Da sollte auch ein Großteil der DFG-Mittel hineinfließen. In deren Satzung heißt es schließlich: „Die DFG fördert Forschung höchster Qualität“ und „Die DFG handelt in allen ihren Verfahren wissenschaftsgeleitet“. Uns sind keine wissenschaftlichen Belege dafür bekannt, dass Forschung höchster Qualität allein durch zeitlich befristete Projektforschung erfolgen kann. Wir fordern: Alle Exzellenzmittel und einen Großteil der DFG-Mittel zu Grundfinanzierung umwandeln!
Kaum jemand bestreitet heute noch, dass das deutsche Wissenschaftssystem hinsichtlich seiner Beschäftigungs- und Finanzierungsbedingungen einen dringenden Änderungsbedarf hat. Es wird nun darauf ankommen, ob die Parteien, die die neue Regierung stellen, den nötigen Gestaltungswillen mitbringen, um das System als Ganzes grundlegend zu verändern. Kosmetische Änderungen und das Herumdoktern an einzelnen Stellschrauben mit unvorhersehbaren Sekundäreffekten sind nicht die Lösung. Stattdessen braucht es mutige Schritte, um das System so umzugestalten, dass es den Krisen unserer Zeit gewachsen ist, zu deren Bewältigung beitragen kann und auch im internationalen Vergleich (in dem Befristung ohne Perspektive rasch als größter Nachteil des deutschen Systems erkennbar wird) mithalten kann. Für den Wahlkampf heißt das auch: #IchBinHanna bleibt ein zentrales Thema — nicht zuletzt, weil Promovierende, Postdocs, Professor_innen, Studierende, Verwaltungspersonal und all deren Angehörige wählen. Sie alle haben ein Interesse an einem krisenfesten deutschen Wissenschaftssystem, genauso wie alle Mitglieder unserer Gesellschaft, denen der Wert einer handlungsfähigen Wissenschaft besonders in diesen politisch stürmischen Zeiten klar vor Augen steht. Es ist nun an den Parteien im demokratischen Spektrum, für ein solches Wissenschaftssystem eine Vision zu entwickeln, die sie im Falle einer Regierungsbeteiligung tatkräftig umsetzen. Wir leisten mit #IchBinHanna auch bei dieser Wahl gern einen Beitrag — und laden alle aus der Wissenschaftscommunity ein, sich uns anzuschließen!