HRK-Dauerstellen: Eine Chance für NRW (und andere)
Seit geraumer Zeit weisen wir immer wieder darauf hin, inzwischen schlägt er sich auch deutlich sichtbar in Studien nieder: Der Fachkräftemangel in der Wissenschaft ist längst da. Er zeigt sich etwa in den Daten des Hochschul-Barometers: Nur noch jede fünfte Hochschule bewertet ihre Personal- und Rekrutierungssituation als „(eher) gut“. Dass es schon lange nicht mehr leicht ist, qualifiziertes Personal für die Wissenschaft zu gewinnen, spiegelt sich zugleich in Befragungen des potenziellen wissenschaftlichen Personals selbst: Nur noch 16% der Promovierenden streben eine Professur an, die bekanntermaßen gegenwärtig praktisch die einzige Option ist, langfristig in der deutschen Wissenschaft zu arbeiten. Aber auch die, die bereits im deutschen Wissenschaftssystem arbeiten, sind alles andere als zufrieden dort: Mehr als die Hälfte der Wissenschaftler_innen hat in den letzten zwei Jahren einen Ausstieg aus der Wissenschaft erwogen. Kein Wunder: Arbeit in der deutschen Wissenschaft geht in aller Regel mit prekären Arbeitsverhältnissen ohne realistische Perspektive auf eine dauerhafte Beschäftigung einher. Diese fragwürdigen Bedingungen, auf die man sich einlassen muss, um in Deutschland den Beruf als Wissenschaftler_in zu ergreifen, haben wir mit #IchBinHanna so deutlich in den Fokus gerückt, dass niemand mehr wegsehen kann. Längst ist klar: Es muss sich etwas ändern. Umso erfreulicher, dass sich am morgigen Woche Mittwoch auf Initiative der SPD-Fraktion der Wissenschaftsausschuss des Landtags in Nordrhein-Westfalen der Thematik annimmt, auf der Grundlage der Leitlinien für unbefristete Stellen neben der Professur von HRK und Junger Akademie (über die Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon und ich direkt nach deren Veröffentlichung auch schon in diesem Newsletter geschrieben haben). Ich werde im Ausschuss als Sachverständige dabei sein und habe dazu bereits eine Stellungnahme eingereicht. Im heutigen Newsletter möchte ich einige Gedanken dazu teilen, warum das Bundesland NRW bestens geeignet ist, in Sachen Beschäftigungsbedingungen mit Perspektive durch ein Aufgreifen der HRK-Stellentypen ins novellierte Hochschulgesetz als Vorbild voranzugehen — und warum das auch nötig ist, will das Land seine eigenen Absichtsbekundungen ernst nehmen.
Vertrag über gute Beschäftigungsbedingungen und Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht
Wer sich fragt, was NRW bereits unternimmt, um Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu verbessern, stößt schnell auf den 2016 geschlossenen Vertrag über gute Beschäftigungsbedingungen (VgB). Die Erhöhung des Anteils unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse wird hier gleichwohl allenfalls indirekt erwähnt, wenn zu Beginn des Vertrags auf das unbefristete Arbeitsverhältnis als Normalarbeitsverhältnis verwiesen wird:
„Nach geltendem deutschem Arbeitsrecht und dem Recht der Europäischen Union ist das unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnis das Normarbeitsverhältnis. Da die Beschäftigungsbedingungen maßgeblich von den gesetzlichen und tariflichen Regelungen und den finanziellen Ressourcen bestimmt werden, ist die Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen eine besondere Herausforderung. Die Vertragspartner stellen sich dieser Herausforderung und wollen insbesondere im Bereich der Befristungen von Arbeitsverhältnissen eine deutliche Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen erreichen.“
Klingt erstmal recht vielversprechend, aber NRW hat die Herausforderung bislang allenfalls im Hinblick auf die Laufzeiten befristeter Verträge angenommen, die laut Evaluation des VgB tatsächlich zugenommen haben. Was hingegen nicht in nennenswerter Weise stattgefunden hat: die überbordende Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse zugunsten der Schaffung von mehr unbefristeten Stellen einzudämmen. In der Evaluation des VgB heißt es dazu:
„An den Universitäten ist in der Personalgruppe der wissenschaftlichen Mit-arbeiter:innen landesweit der Anteil unbefristeter Arbeitsverhältnisse zwischen 2015 und 2020 von 11 % auf 13 % gestiegen.“
13 Prozent sind ohne Frage äußerst überschaubar — und ein Zuwachs von 2 Prozentpunkten in fünf Jahren ist es ebenfalls. Na gut, ließe sich einwenden, der VgB zielt ja auch gar nicht direkt auf die Einrichtung von mehr unbefristeten Stellen, er will halt einfach nur gute Beschäftigungsbedingungen sicherstellen, also, auf befristeten Stellen. Nun, wie gut Beschäftigungsbedingungen sein können, wenn ihnen eine angemessene Perspektive auf langfristige Beschäftigung fehlt, darüber darf sich der_die Leser_in gern selbst eine Meinung bilden. Gleichwohl gibt es aber noch eine andere Initiative, die anders als der VgB explizit auf die Schaffung von mehr Dauerstellen zielt und die auch NRW betrifft: Gemeint ist der Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken (ZSL), bei dem es sich um eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern handelt. Auf der Website des BMBF ist dazu zu lesen:
„Mit der dauerhaften Förderung ab 2021 soll insbesondere unbefristetes, mit Studium und Lehre befasstes Hochschulpersonal ausgebaut werden. Darin sehen Bund und Länder einen wesentlichen Faktor für die Verbesserung der Qualität von Studium und Lehre.“
Zum ZSL gäbe es eine Menge zu sagen. Unter anderem ist interessant, dass der Bund sich darüber inzwischen auch an der Grundfinanzierung beteiligt, die eigentlich Ländersache ist. Nicht minder interessant ist aber, wie unterschiedlich die einzelnen Länder mit den Geldern umgehen. Während die Gelder in Baden-Württemberg beispielsweise in die Grundfinanzierung fließen (man könnte auch sagen: darin unbesehen versickern), ist die Verteilung in NRW durchaus elaboriert. Aber: Lässt sich damit auch tatsächlich das Ziel des ZSL erreichen, dass im Land mehr Dauerstellen in der Wissenschaft eingerichtet werden? Schauen wir uns das Ganze einmal genauer an.
ZSL und unbefristete Beschäftigung in NRW: Alles kann so bleiben wie es war
NRW hat mit seinen Hochschulen die sogenannten Sonder-Hochschulverträge zum ZSL geschlossen, zu denen es für jede Hochschule außerdem ein gesondertes Ergänzungs-Dokument gibt. Was steht da jeweils drin? Nun, in den Sonder-Hochschulverträgen wird zunächst unter Ziffer 8 festgelegt, dass an den Hochschulen die ZSL-Mittel „für den Ausbau von dauerhaften, unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen beim hauptberuflichen Lehrpersonal genutzt werden“ sollen. So weit, so passend zum BMBF-Zitat. Aber: Was heißt hier eigentlich „Ausbau“? Um wie viele zusätzliche unbefristete Stellen geht es? Auch darüber geben die Sonder-Hochschulverträge unter Ziffer 8 Auskunft (hier exemplarisch der meiner ehemaligen Uni, der HHU Düsseldorf):
„Als Bemessungsgröße wird […] der laut amtlicher Personalstatistik für das Jahr 2019 bestehende Befristungsanteil beim hauptberuflichen wissenschaftlichen Personal (Kopfzählung) ohne medizinische Einrichtungen, ohne Finanzierung aus Drittmitteln und ohne laufendes Qualifikationsverfahren zugrunde gelegt. Dieser Wert ist die Referenz für die Feststellung der nachfolgenden Veränderungen beim Befristungsanteil. Je nach Berechnungsergebnis verpflichtet sich die HHU, den Referenzwert mindestens zu halten oder zu unterschreiten.“
Mit anderen Worten: Sofern der Befristungsanteil dem entspricht, den die Hochschulen 2019 (!) hatten, ist alles fein. Denn es gilt eben, diesen Anteil mindestens zu halten. Das Verständnis des Wortes „Ausbau“, das dahintersteht, lässt mich ratlos zurück. Denn hier wird dann ja rein gar nichts ausgebaut. Es wird stattdessen ein Status quo in Beton gegossen, der schon einige Jahre alt ist. Ja, da steht auch der Zusatz „oder zu unterschreiten“, der aber etwa so zu bewerten ist wie das Argument, dass Hochschulen auch jetzt schon unbefristete Stellen schaffen könnten — könnten sie in der Tat, aber sie tun es halt ungern und selten. Ein Anreiz, es zu tun, ist mit dem „mindestens zu halten“ dann auch schnell vom Tisch gewischt.
HRK-Stellenprofile im NRW-Hochschulgesetz: Ein Standortvorteil mit Zukunftspotential
Es zeigt sich also: Allen Selbstverpflichtungen zum Trotz bleibt NRW hinter dem selbstgesteckten Ziel, mehr unbefristete Stellen in der Wissenschaft zu schaffen, weiterhin um Längen zurück. Hier bieten die in den HRK-Leitlinien ausbuchstabierten Stellenprofile einen aussichtsreichen Anknüpfungspunkt, um das Ziel dann doch noch zu erreichen. In meiner Stellungnahme rege ich daher folgende Maßnahmen an:
1) Die HRK-Leitlinien schlagen drei Kategorien von unbefristeten Stellen vor: Lecturer, Researcher, Academic Manager. Diese Kategorien sollten explizit im novellierten Hochschulgesetz aufgegriffen werden — ein naheliegender Ort dafür ist § 44. Durch die Einführung eines entsprechenden Passus wird dreierlei erreicht: Erstens gewinnen die unbefristeten Stellen, die laut Bericht der Landesregierung in NRW ausgebaut werden sollen, damit auch hinsichtlich ihrer konkreten Ausgestaltung an der nötigen Kontur. Zweitens wird durch das Aufgreifen des HRK-Vorschlags, eine Anschlusszusage einzuführen, eine Verbindlichkeit für wissenschaftliche Beschäftigte und Hochschulen geschaffen, die die Attraktivität von Wissenschaft als Beruf am Wissenschaftsstandort NRW deutlich erhöht. Drittens sendet die explizite Benennung der Kategorien das Signal an potenzielle Beschäftigte, dass dem Land NRW gute Beschäftigungsbedingungen seines wissenschaftlichen Personals tatsächlich am Herzen liegen.
2) Es sollten Regelungen zu Befristungshöchstquoten in das novellierte Hochschulgesetz aufgenommen werden, um so effektiv sicherzustellen, dass die nach wie vor allzu ausufernde Befristungspraxis an den Hochschulen in NRW eingedämmt wird und stattdessen ausreichend unbefristete Stellen neben der Professur geschaffen werden.
NRW hat die Chance, inmitten des um sich greifenden Fachkräftemangels in der Wissenschaft ein Zeichen zu setzen und als Wissenschaftsstandort deutlich an Attraktivität zu gewinnen, indem es die Schaffung attraktiver Stellen mit Entfristungsperspektive vorantreibt. Ergreift das Land diese Chance, wird davon nicht allein die Wissenschaft vor Ort profitieren, sondern die gesamte Gesellschaft: Forschung unter guten Bedingungen schafft die Grundlage dafür, fakten- und evidenzbasiert zu handeln. Das ist wichtig, damit bei der Bewältigung aktueller und zukünftiger Krisen die besten Mittel zum Einsatz kommen können. Und: In einem Wissenschaftssystem, das gute Arbeitsbedingungen bietet, sind zugleich auch die nötigen Voraussetzungen geschaffen, um akademische Fachkräfte möglichst gut auszubilden. Die stärken dann später alle Bereiche, in denen sie arbeiten: Schulen, Bildungseinrichtungen, Kultur, Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Industrie … Es ist zu hoffen, dass NRW diese Chance ergreift — und damit zugleich zum Vorbild wird mit einem starken, zukunftsfähigen Wissenschaftssystem, für das das Land nicht nur ambitionierte Ziele formuliert, sondern sie auch tatkräftig umsetzt.