#IchBinHanna bewegt erneut einiges: Ein Rückblick auf 2023
2023 war ein ereignisreiches Jahr für #IchBinHanna: In der Diskussion ums WissZeitVG haben wir viel erreicht, und parallel laufen vielversprechende Initiativen und Diskussionen auch auf anderen Ebenen. Ehe dieser Newsletter sich in die Weihnachtspause verabschiedet, möchte ich im Rahmen dieses Jahresrückblicks ein paar wissenschaftspolitische Highlights teilen.
WissZeitVG und mehr: Effekte von #IchBinHanna in der Wissenschaftspolitik auf Bundesebene
Der ultimative Beschleuniger der seit geraumer Zeit anhaltenden Debatte um das WissZeitVG war das im März von der Bundesregierung veröffentlichte Eckpunktepapier zur Gesetzesreform, das wir mit #IchBinHanna und #ProfsFürHanna #ProfsFürReyhan innerhalb eines Wochenendes derart schlagkräftig kritisiert haben, dass es bereits am Sonntagabend vom zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär Jens Brandenburg zurückgezogen wurde.
In einer anschließend einberufenen Diskussionsrunde im BMBF (genau, das war die mit der Pflanze), an der ich für #IchBinHanna teilgenommen habe, betonte Brandenburg noch die vermeintliche Uneinigkeit der Wissenschaftscommunity bezüglich der Reform. Meine damalige Erwiderung, dass es sehr wohl eine grundsätzliche Einigkeit gebe — nämlich im Hinblick auf die Anschlusszusage als aussichtsreiches Instrument — hat erfreulicherweise Früchte getragen: Die Anschlusszusage fand anschließend Eingang in den vom BMBF vorgelegten Referentenentwurf. Allerdings bedarf die entsprechende Regelung nach wie vor einer Nachbesserung, denn ihre aktuelle Form (vier Jahre Befristung ohne Perspektive, optional zwei weitere mit Anschlusszusage) verspricht die ständige Personalrotation und damit einhergehende Verschwendung von Ressourcen und Expertise nicht zu stoppen. Umso erfreulicher, dass der Referentenentwurf von SPD und Grünen nicht mitgetragen wurde — ein starkes Signal der beiden Fraktionen, dass ihnen gute Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft am Herzen liegen!
Mit der jüngsten Diskussion um die Befristungshöchstquote ist erneut ordentlich Bewegung in die #IchBinHanna-Debatte gekommen. Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon und ich hatten über das enorme Potential einer solchen Quote letzte Woche in der FAZ geschrieben; lesenswert zum politischen Stand der Dinge in dieser Sache ist dieser Beitrag von Jan-Martin Wiarda. Eine klug ausgestaltete Kombination von Befristungshöchstquote und Anschlusszusage würde die Bedingungen in der deutschen Wissenschaft enorm verbessern — und damit zugleich die Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland retten, um die es derzeit alles andere als gut bestellt ist. Jetzt muss nur noch das BMBF seine Blockadehaltung eintauschen gegen die dringend gebotene Kompromissbereitschaft und den politischen Gestaltungswillen, die es für diese aussichtsreiche Lösung braucht.
Aber nicht nur die WissZeitVG-Diskussion lässt hoffen, was die angestoßenen Veränderungen auf Bundesebene betrifft — auch der Maßgabebeschluss, den der Haushaltsausschuss des Bundestags verabschiedet hat und der vom BMBF ein „Konzept für ein befristetes Programm zum Ausbau wissenschaftlicher Dauerstellen neben der Professur“ verlangt, zeigt, wie viel hier in Sachen #IchBinHanna in Bewegung ist.
Auch vorm Föderalismus macht #IchBinHanna nicht Halt: Initiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in einzelnen Bundesländern
Neben der bundespolitischen Debatte hat #IchBinHanna auch in einzelnen Bundesländern einiges bewegt. Zuletzt sorgte ein Bericht über die geplante Novellierung des Brandenburger Hochschulgesetzes für Aufsehen — die eingangs gegenüber dem Tagesspiegel getätigte Äußerung des Brandenburger Forschungsministeriums, „wissenschaftliche Mitarbeiter an Brandenburg[s] Hochschulen [sollten] grundsätzlich unbefristet eingestellt werden“, wurde zwar inzwischen revidiert. Aber es ist nicht zuletzt an dieser Äußerung abzulesen, wie sehr den Verantwortlichen im Wissenschaftssystem inzwischen daran gelegen ist, potentielle Mitarbeiter_innen nicht weiter zu vergraulen. Das ist angesichts des Fachkräftemangels auch gut so. Damit es gelingt, muss aber natürlich mehr geschehen als bloße Ankündigungen — wir werden uns deshalb sehr genau ansehen, was in Brandenburg weiter passiert.
Aus Hamburg bekamen wir in diesem Jahr die Hamburger Erklärung zu Hochschul-Karrierewegen in der Wissenschaft zu lesen. Die zeigt, dass auch den Hamburger Hochschulen inzwischen klar ist, dass einiges geschehen muss, um konkurrenzfähig zu bleiben — so ließ Hauke Heekeren im Interview mit Jan-Martin Wiarda zur Hamburger Erklärung das Folgende verlauten: „[W]ir spüren die Konkurrenz außerhalb der Wissenschaft, die dazu führt, dass einige der klügsten Köpfe den Hochschulen den Rücken kehren, weil sie sagen: Alle Flexibilität und Spielräume in der Forschung können nicht die Stabilität und die Bezahlung in der Wirtschaft aufwiegen.“ Nichtsdestotrotz bleibt auch in diesem Fall abzuwarten, was man in Hamburg daraus macht, denn die Erklärung als solche ist deutlich weniger ambitioniert als es wünschenswert wäre.
In Nordrhein-Westfalen sind gleich mehrere Dinge in Bewegung — so hat die Landesrektorenkonferenz mitgeteilt, dass sie eine Änderung an den unter #IchBinHanna immer wieder kritisierten verschränkten Abhängigkeitsverhältnissen plant: „Um die Lauterkeit des Wissenschaftssystems zu sichern, sollen Promotionen künftig durch unterschiedliche Personen betreut und begutachtet werden.“ Aber das ist nicht alles: Die Grünen und die CDU wollen in NRW „eine bessere Balance zwischen befristeten und unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen […] schaffen“, wie der WDR berichtet. Und der Bericht geht noch weiter: Auch die längst überfällige Anpassung der Semesterzeiten an die Schulferien wollen CDU und Grüne in Angriff nehmen. Eine erfreuliche Entwicklung: Im April hatte ich mich als Sachverständige für eine entsprechende Anpassung ausgesprochen, als das Thema auf Initiative der SPD-Fraktion im Landtag zur Debatte stand.
Wir sehen daran: Gute Argumente zahlen sich aus, auch in der Wissenschaftspolitik. Es lohnt sich, dass wir alle seit 2021 kontinuierlich dranbleiben. Und: Wer fortschrittliche Wissenschaftspolitik machen will, kommt längst nicht mehr umhin, den Argumenten von #IchBinHanna Gehör zu schenken und eine Umgestaltung des überkommenen deutschen Wissenschaftssystems voranzutreiben — das gilt für die Landesebene genauso wie für die Bundesebene und die einzelnen Einrichtungen.
#IchBinHanna wirkt an vielen Orten: Unser Aktivismus nach Twitter
Nicht zuletzt haben wir in diesem Jahr gesehen, dass die Initiative #IchBinHanna, die ihren Anfang auf Twitter nahm, sich inzwischen von dem, was von dieser Plattform noch übrig ist, emanzipiert hat. Wer sich gefragt hat, ob #IchBinHanna auch nach dem Untergang von Twitter weiter Bestand haben wird, kennt nun die Antwort: Durch die breite Etablierung auf verschiedenen Sozialen Medien, in den klassischen Medien und der Politik ist der Einfluss von #IchBinHanna auf wissenschaftspolitische Debatten längst unabhängig davon, was auf und mit X/Twitter passiert. Zwar bedeutet das Multi-Plattform-Posting eine Menge Mehrarbeit. Was früher primär auf Twitter stattfand, passiert nun parallel auf Bluesky, Mastodon, Instagram, Facebook, LinkedIn usw. — und in diesem Newsletter (dazu gleich mehr; zu unserer Suche nach Twitter-Alternativen habe ich hier übrigens ebenfalls geschrieben).
Aber die Arbeit zahlt sich aus, nicht zuletzt, weil wir dadurch auch neue Interessierte erreichen — mein Beitrag zu Frauen in der Wissenschaft etwa, den ich vergangenen Donnerstag auf LinkedIn veröffentlicht habe, hat dort einige Resonanz gefunden (bislang über 800 Reaktionen, und — ich gewähre hier ausnahmsweise einen Blick in die Statistik — bereits jetzt über 52.000 Impressions). Das Interesse an unserer wissenschaftspolitischen Arbeit ist ungebrochen, und kommt zunehmend auch aus Wirtschaft und Industrie, wo das Bewusstsein für die bestehenden Probleme und den drängenden Änderungsbedarf erfreulich ausgeprägt ist (was auch daran liegen dürfte, dass diejenigen, die dort unterwegs sind, nicht selten Wissenschaft als Beruf erwogen oder betrieben haben, aber angesichts der schlechten Bedingungen im deutschen System ausgestiegen sind; davon zeugen zahlreiche Kommentare, etwa unter diesem Post zum Drittmittelunwesen).
Und nun abschließend zum Newsletter selbst: 2023 war auch sein Geburtsjahr — der Anlass, mit dem Newsletter-Schreiben zu beginnen, war, dass ich eine von Twitter unabhängige Möglichkeit haben wollte, über Wissenschaftspolitik zu schreiben und die Wissenschaftscommunity zu erreichen. Umso glücklicher bin ich heute, dass dieser Plan aufgegangen ist — das zeigen mir jede Woche aufs Neue die stetig weiter wachsende Leser_innenschaft und die enorme Resonanz, die ich zu meinen Beiträgen erhalte. An dieser Stelle herzlichen Dank, liebe Leser_innen!
In diesem Jahr habe ich insgesamt 31 Newsletter-Ausgaben verfasst — zusätzlich gab es eine Ausgabe in bewährter Ko-Autor_innenschaft mit Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon sowie einen Gastbeitrag von Kristin Eichhorn mit einem Blick hinter die Kulissen unserer Zusammenarbeit zu dritt, über den ich mich besonders gefreut habe.
Für alle, die auch über die Feiertage weiter über Wissenschaftspolitik lesen wollen, hier vier Newsletter-Beiträge aus diesem Jahr, die besonders viel Resonanz gefunden haben:
Für eine Umgestaltung der Forschungsförderung habe ich gleich zweimal plädiert: Zum einen im Sinne einer Umwandlung von Drittmitteln in Grundmittel — zum anderen mit einem konkreten Vorschlag für eine effizientere Vergabe von Fördermitteln, die allen am Antrags(un)wesen Beteiligten eine Menge Arbeit sparen würde.
Dass KI in der Wissenschaft einiges ändern wird, dürfte unumstritten sein. Inwiefern das anders passieren sollte, als viele denken, hab ich hier aufgeschrieben. Wissenschaft braucht Risiko und Wettbewerb — im Oktober habe ich mir diese Behauptung einmal genauer angesehen und aufgeschrieben, welche Formen des Wettbewerbs und des Risikos der Wissenschaft tatsächlich förderlich sind und welche ihr sogar schaden.
Und damit wünsche ich Ihnen und Euch, liebe Leser_innen, eine erholsame Weihnachtszeit und einen guten Jahreswechsel — und zwar mit echten Pausen! Hier geht es dann ab dem 9. Januar weiter.