Eine Krankschreibung bis Freitag, mehrere Schachteln mit verschriebenen Medikamenten im Gepäck und die deutliche ärztliche Ansage, mich zu schonen: Damit bin ich in die vergangene Woche gestartet. Daran, dass Kranksein in der Wissenschaft eine Sache für sich ist, hatte mich kurz zuvor mein Gespräch mit meiner Ärztin erinnert, als es um die Dauer der Krankschreibung ging: Der Freitag nach dem Feiertag sei doch sicher ein Brückentag, sagte sie zu mir — und war sichtlich verwundert angesichts meiner Antwort. Die lautete, dass der Freitag bei uns keineswegs Brückentag ist und selbstverständlich sehr viele erwarten, dass ich dann arbeite, ebenso wie am Feiertag auch. Und genau das war eines der Probleme, mit denen ich letzte Woche zu tun hatte: die Erwartungshaltung, dass Wissenschaftler_innen immer arbeiten. Sogar dann, wenn sie krank sind. Aber es war nicht das einzige Problem. Ein weiteres: Kranksein ist in der Wissenschaft auch insofern nicht vorgesehen, als es praktisch kein kommunikatives Sicherheitsnetz gibt — und oft auch keinerlei Vertretungsregelungen. Wer krank ist, muss meist selbst organisieren, dass alle, die betroffen sind, davon Kenntnis erlangen. Und schließlich: Das meiste von dem, was ich letzte Woche krankheitsbedingt nicht geschafft habe, wird mich in diese und die kommenden Wochen verfolgen. Mit der in großen Teilen verlorenen Arbeitswoche wird aus einem kaum noch schaffbaren ein einigermaßen erschlagendes Arbeitspensum für die nächste Zeit. Aber ich möchte es nicht bei dieser abstrakten Beschreibung der Problemlage belassen: Was folgt, ist ein kleiner Wochenbericht darüber, der exemplarisch illustriert, worin die genannten Probleme des Krankseins in der Wissenschaft im Einzelnen bestehen.
Krank genug, um absagen zu müssen — aber nicht krank genug, um die Absagen nicht noch selbst zu schreiben
Am Montag der vergangenen Woche ging es mir einigermaßen bescheiden. Zurück von der Ärztin, ging es für mich dennoch sofort an den Schreibtisch, denn in der Wissenschaft ist man nicht einfach krank und darf sich ausruhen. In der Wissenschaft hat man das eigene Kranksein gefälligst selbst zu organisieren. Mit blutendem Herzen hatte ich bereits am Wochenende meinen Abendvortrag im Freiburger FRIAS zu Wissenschaft und Demokratie und einen #IchBinHanna-Workshop im Anschluss abgesagt (große Erleichterung: beides kann nachgeholt werden). Aber für die Woche standen noch einige andere Termine an, u.a. ein weiterer auswärtiger Vortrag am Mittwoch und Termine, die ich in meiner Funktion als Prüfungsausschussvorsitzende gehabt hätte. Meine Lehre fällt auf den Donnerstag, hier waren also dank des Feiertags die Studierenden nur darüber zu informieren, dass meine Sprechstunde am Mittwoch ausfällt. Insgesamt aber habe ich allein am Montag über eine Stunde mit dem Schreiben von E-Mails zugebracht. Und: Mit E-Mails allein war es noch nicht getan. Denn ich hatte auch noch eine Deadline (zunächst eine — es sollte noch eine weitere hinzukommen, dazu gleich mehr).
Ehe Du nicht tot bist, sollst Du sie einhalten: Die Unerbittlichkeit von Deadlines
Mit Deadlines ist es so eine Sache: Nicht zuletzt, weil in der Wissenschaft alle chronisch überlastet sind, ist es keineswegs ungewöhnlich, sie auch mal zu reißen. Aber es gibt eben Deadlines, bei deren Nicht-Einhaltung die investierte Arbeit aller Beteiligten umsonst gewesen zu sein droht, und genau so eine Deadline hatte ich letzte Woche Montag. Nein, es war dieses Mal keine rigide Antragsfrist (für die diese Beschreibung in der Regel auch gilt) — es ging um einen Aufsatz von mir, und weil die Deadline sich in eine Zeitschiene fügte, die ohnehin absolut auf Kante genäht war, möchte ich diese Zeitschiene hier einmal niederschreiben. (Es geht mir hier wohlgemerkt nicht um das Shaming eines einzelnen Journals. Es steht außer Frage, dass alle am Prozess Beteiligten, Herausgeber_innen und Reviewer_innen eingeschlossen, fantastische Arbeit geleistet haben, für die ich sehr dankbar bin. Es geht mir vielmehr darum, das unerbittliche Zeitregime in der Wissenschaft und seine Normalisierung hier einmal exemplarisch zu notieren — wir sollten uns nämlich alle fragen, ob wir das wirklich weiter so praktizieren wollen.)
Mein Aufsatz sollte ursprünglich am 10. Februar eingereicht werden. Inmitten der turbulenten Endphase des Wintersemesters hatte ich die Info zu einer Vorverlegung der Deadline auf den 5. Februar übersehen, weshalb ich zunächst die Beteiligten darüber informiert hatte, nun doch keinen Aufsatz beisteuern zu können. Ich bekam dann aber freundlicherweise noch eine Verlängerung bis zum 14. Februar und habe meinen Beitrag an diesem Datum tatsächlich fristgemäß eingereicht. Es passierte dann einige Wochen nichts mehr; am 30. März aber kamen die Gutachten aus dem Peer Review. Die Frist für die Überarbeitung auf ihrer Grundlage lag auf dem 14. April: Ab der Ankündigung hatte ich zwei Wochen, und diese Nachricht erreichte mich in der fordernden ersten Woche der Vorlesungszeit.
Ich hielt auch diese Frist — „resubmit“ erfolgte kurz vor Mitternacht am besagten 14. April (es war übrigens ein Sonntag). Zwei weitere Wochen später, am 1. Mai, kamen dann neue Reviewer_innen-Kommentare mit der Ansage, ich möge ihnen baldmöglichst Rechnung tragen, damit die Reviewer_innen genau eine Woche später — am 8. Mai — endgültig entscheiden könnten, ob mein Beitrag zur Publikation angenommen wird. Ich habe zurückgefragt, was die genaue Deadline für mich sei, schließlich ließ sich für mich u.a. nicht absehen, wann die Reviewer_innen überhaupt die Zeit finden würden, meinen Beitrag erneut zu prüfen. Die Rückmeldung: Spätestens am Montagabend (also am 6. Mai) müsse mein erneut überarbeiteter Beitrag vorliegen. Nun war also dieser besagte Montag. Und ich war krank. Ich hatte bereits zahlreiche E-Mails in die Welt geschickt, um mein Kranksein kundzutun. Jetzt sollte ich also auch noch den neuen Review-Kommentaren Rechnung tragen, bis zum Ende des Tages. Und all das, obwohl ich alles andere als fit war.
Jetzt hätte ich — auch im Lichte des oben beschriebenen Umgangs mit Fristen, wie ihn viele in der Wissenschaft pflegen (mich teilweise eingeschlossen) — einfach sagen können: Klappt nicht mit der Frist, Pech gehabt! Aber hier stand zu viel auf dem Spiel. Ich hatte bereits einiges an Arbeitszeit in diesen Beitrag investiert. Die Vorstellung, ihn bei einem anderen Journal einzureichen, mit anderen Rahmenbedingungen und einem Review-Prozess, der bei Null beginnt und möglicherweise zu ganz neuen Auflagen für die Überarbeitung (oder gar der Ablehnung des Beitrags) geführt hätte, war mir zu risky. Nicht zuletzt hatten Herausgeber_innen, Reviewer_innen usw. ja auch schon sehr viel Arbeit in diesen Text gesteckt. Und im Text geht es um KI im Wissenschaftssystem — und darum, die Weichen in der Diskussion darüber schnellstmöglich anders zu stellen. Ein Thema, das hochaktuell ist, in einem Feld, das sich überaus rasant entwickelt. Ein Zeitverzug durch Journal-Wechsel wäre auch inhaltlich nicht wünschenswert gewesen (zumal — und das muss ich wirklich anerkennen — auch Journal, Herausgeber_innen und Reviewer_innen bereits ordentlich Gas gegeben hatten, um eine schnelle Publikation zu gewährleisten). Was also tun?
Ich schrieb zunächst das Journal an mit einer Krankmeldung. Was mir immerhin eine Verlängerung der Deadline um einen Tag einbrachte — und die Information, dass eine spätere Publikation des Beitrags in einem anderen Heft desselben Journals möglich wäre (was mir zumindest die Sorge nahm, den Beitrag für ein anderes Journal anpassen zu müssen und auf Rückmeldungen ganz neuer Reviewer_innen angewiesen zu sein).
Dennoch habe ich es dann aber durchgezogen und meinen Aufsatz noch am Montag überarbeitet. Arbeit in der Wissenschaft besteht (jedenfalls in meinem Fall) regelmäßig darin, sich zu treten, wenn eigentlich nichts mehr geht. Dieses zugegebenermaßen kaputte Arbeitsethos sitzt tief. Immerhin hat es sich insofern gelohnt, als mein Aufsatz im Laufe der vergangenen Woche dann tatsächlich endgültig angenommen wurde — aber nicht, ohne dass ich nicht noch einmal hätte aktiv werden müssen — dazu gleich mehr, Stichwort Wochenendarbeit (again).
Die eigene Abwesenheitsnotiz ernst nehmen, damit es auch die anderen tun
Über meine Lehre musste ich mir wegen des Feiertags zum Glück keine Gedanken machen, aber mir war sehr bewusst, dass allein die zahlreichen E-Mails, die ich letzte Woche dringend hätte beantworten müssen, sich überwiegend nicht von selbst erledigen würden. Und es kamen beständig neue E-Mails dazu (auch unabhängig vom Kranksein frage ich mich zunehmend, ob es nicht an der Zeit ist, dem Umstand Einhalt zu gebieten, dass inzwischen ein immens großer Teil unserer Arbeitszeit nur noch fürs E-Mails-Bearbeiten draufgeht). Am Dienstag ging u.a. eine E-Mail zu einer Vortragsreihe ein, und auch sie enthielt eine Frist: Ich solle spätestens bis zum Feiertag (!), also zwei Tage später (!!), einen Vortragstitel dafür liefern.
Das habe ich tatsächlich nicht getan — warum, ging schließlich aus meiner Abwesenheitsnotiz hervor. Abgesehen davon, dass ich hustend und mit dickem Kopf nicht in Topform war, was das Ersinnen von Vortragstiteln anbelangt, habe ich meinem ersten Impuls, trotzdem etwas zu schicken, nicht nachgegeben. Denn was ist meine Abwesenheitsnotiz noch wert, wenn ich anderen signalisiere, dass ich sie nicht einmal selbst ernst nehme und einfach munter weiter E-Mails beantworte? Und was sendet das generell für ein Signal, was Kranksein in der Wissenschaft betrifft?
Wenn ich weiterarbeite, obwohl ich krank bin, trage ich genau zu dem bei, was mir letzte Woche ordentlich auf die Füße gefallen ist: der Normalisierung von Arbeit trotz Krankheit. Ja, mir ist bewusst, dass ich das allein schon durch meine E-Mails von Montag bereits getan hatte. Nur: Hätte ich diese Mails nicht geschrieben, hätte das niemand getan. Ich habe keine Vertretung. Unser Institut (vier Professuren, mehr als doppelt so viele Mitarbeiter_innen) hat genau eine Sekretärin, die anderes zu tun hat als Leute über meine Krankheit zu informieren (und allein sie darüber zu informieren, wer zu informieren ist, hätte mich einige Zeit gekostet). Kranksein ist in der Wissenschaft schlicht nicht vorgesehen. Es gibt keine etablierten Maßnahmen, um damit so umzugehen, dass die, die krank sind, auch tatsächlich entlastet werden, sich erholen und gesund werden können. Solange wir noch genug Kraft haben, die Tastatur unseres Laptops oder unser Handy zu bedienen (und sei es im Liegen), wird genau das von uns erwartet — egal, wie es um unseren Gesundheitszustand bestellt ist.
Nochmal gut gegangen?! Warum wir es darauf nicht mehr anlegen sollten
Die Woche nahm irgendwie doch noch ein gutes Ende: Vor dem Wochenende kam die finale Version meines Aufsatzes zur Autorisierung — bis Sonntag. Ich habe auch das durchgezogen. Immerhin ein Punkt auf der To-do-Liste, der abgehakt werden kann, und der mich nicht in diese Woche verfolgt. Viel wichtiger aber (und bezeichnend, dass es mir erst nachgelagert in den Sinn kommt): Es ging mir gesundheitlich besser. Bin ich noch einmal davongekommen trotz Arbeit und Krankheit in Kombination? Ganz ehrlich: Ich möchte es nicht mehr darauf anlegen (müssen), dass das auch beim nächsten Mal so klappt (zumal es auf Dauer nicht gesund sein kann, trotz Krankheit weiterzuarbeiten).
Was wir im Wissenschaftssystem dringend brauchen, sind Zeitpläne, die nicht sofort zusammenbrechen, wenn jemand krankheitsbedingt (oder aus anderen Gründen) ausfällt. (Für den Aufsatz hätte in meinem Fall wohlgemerkt schon eine Woche Komplettausfall von mir gereicht, um den gesamten Zeitplan für alle Beteiligten zu zerschießen.) Wir sollten im Zuge dessen auch darüber nachdenken, wie wir das für Beiträge zu Themen wie KI hinbekommen können, bei denen schon die technische Entwicklung von wenigen Wochen eine grundlegende wissenschaftliche Überarbeitung erforderlich machen kann. Wie können wir hier sinnvoll mit der Dauer von Qualitätssicherungsverfahren umgehen, ohne dass der Zeitdruck von den Beteiligten individuell abgefedert werden muss?
Wir benötigen außerdem kommunikative Sicherheitsnetze und Vertretungsregelungen, wo immer das möglich ist. Und wir brauchen echte Erholungszeiten, die als solche anerkannt und respektiert werden — und das nicht erst, wenn Leute krank sind, sondern schon vorher. Denn auch, wer gesund ist, droht durch die Erwartung, ständig erreichbar zu sein und zu arbeiten, sogar an Wochenenden und Feiertagen, auf Dauer krank zu werden. Wissenschaft verlangt im aktuellen Wissenschaftssystem ohnehin viel zu viele Opfer von den Menschen, die sie betreiben. Es wird Zeit, Arbeit in der Wissenschaft gemeinsam so zu gestalten, dass Gesundheit und Wohlbefinden nicht mehr zu diesen Opfern gehören!