#LauteWissenschaft: Nächste Schritte
Vor zwei Wochen habe ich hier im Newsletter die deutsche Wissenschaft dazu aufgerufen, sich angesichts der aktuellen Bedrohung unserer Demokratie öffentlich für deren Schutz starkzumachen. Seitdem haben erfreulicherweise einige Wissenschaftsinstitutionen das Wort ergriffen und entsprechende Statements veröffentlicht, darunter u.a. die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Ein wichtiger Schritt, der auch uns Wissenschaftler_innen den Rücken stärkt, wenn wir uns öffentlich für unsere Demokratie einsetzen. Am vergangenen Samstag gab es in der Live-Sendung von Campus & Karriere im Deutschlandfunk ein Gespräch zum Thema, moderiert von Stephanie Gebert, bei dem Walter Rosenthal (HRK-Präsident), Jutta Günther (Rektorin der Uni Bremen) und ich darüber diskutiert haben, wo die deutsche Wissenschaft dieser Tage steht, während Millionen Menschen für unsere Demokratie auf die Straße gehen.
Klar ist: Die immer zahlreicher werdenden Statements aus der Wissenschaft mit ihren klaren Bekenntnissen zu Demokratie und Vielfalt (sowie teils Aufrufen zur Mitwirkung an den Demonstrationen) sind gut und wichtig und es dürfen gern noch mehr werden. Aber dabei allein kann und darf es nicht bleiben: Den Worten müssen Taten folgen. Und damit meine ich nicht nur solche, die nach außen wirken. Die Bekenntnisse der Institutionen zu Demokratie und Vielfalt müssen auch nach innen Wirkung zeigen. Die deutsche Wissenschaft kann und sollte daran mitwirken, auf der Grundlage unserer Verfassung positive Visionen für unser demokratisches Zusammenleben zu entwerfen, die menschenfeindlichen Zielen und Narrativen ein starkes Gegengewicht entgegensetzen. Als kollektiv organisierte Gemeinschaft kann sie nicht nur Erkenntnissuche bestreiten und Erkenntnisse vermitteln, sondern auch ihre Fähigkeiten einsetzen, um unsere demokratische Gesellschaft produktiv mitzugestalten. Im heutigen Newsletter möchte ich in diesem Sinne einige Überlegungen dazu teilen, wie es jetzt weitergehen kann und sollte mit dem, was Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon und ich gemeinsam mit der wissenschaftlichen Community unter dem Hashtag #LauteWissenschaft bündeln.
Wissenschaft braucht Haltung und gelebte Demokratie
Die Statements der wissenschaftlichen Institutionen lassen ebenso wie die starken Äußerungen einzelner Wissenschaftler_innen erkennen, dass auch in der deutschen Wissenschaft das Bewusstsein darüber wächst, dass politische Zurückhaltung in diesen Zeiten längst keine Option mehr ist. Wir können es uns jetzt, da unsere Demokratie mitsamt den Grundwerten unserer Verfassung auf dem Spiel steht, längst nicht mehr leisten, aus einer falsch verstandenen Neutralität heraus keine Haltung für diese Demokratie zu zeigen. Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind nun gefragt, sich als politische Akteure (die sie ohnehin sind und immer schon waren) neu aufzustellen, um so ihrer Mitverantwortung für die Wahrung unserer Demokratie gerecht zu werden.
Das heißt auch, demokratische Prozesse innerhalb dieser Institutionen so zu gestalten, dass sie eine angemessene Beteiligung sämtlicher Mitglieder ermöglichen: für eine gelebte Demokratie, die im Innen wie im Außen ihre Wirkung entfalten kann. Wir wissen um die steilen Hierarchien und damit einhergehenden Abhängigkeitsverhältnisse, die in der deutschen Wissenschaft wirken. Ein Großteil der Wissenschaftler_innen bangt auf befristeten Verträgen ständig um die eigene Weiterbeschäftigung. Das führt dazu, das sogar bei gravierenden Formen des Machtmissbrauchs bis hin zu sexualisierter Gewalt viele Betroffene schweigen — aus Angst, keinen Folgevertrag zu erhalten. (Das Argument von Walter Rosenthal im DLF-Gespräch, es handle sich hier wohl um Einzelfälle, weil sich ihm in seiner Zeit als Präsident der Uni Jena kaum jemand anvertraut habe, ist offenkundig gerade nicht geeignet, diesen Missstand in Frage zu stellen: Wenn von Übergriffen Betroffene sich nicht trauen, sich dazu zu äußern, ist es eben kein Wunder, dass Herr Rosenthal dazu wenig gehört hat. Zu folgern, dass es dort, wo sie nicht gemeldet werden, auch keine entsprechenden Fälle gibt, verkennt das Problem in seinem Kern.) Die starken Abhängigkeiten, die Wissenschaftler_innen sogar bei derartigen Übergriffen daran hindern, sich zu äußern, wirken auch im Kontext demokratischer Prozesse innerhalb von Gremien und akademischer Selbstverwaltung. Es ist offensichtlich, dass eine Atmosphäre der Angst, wie sie durch diese Abhängigkeiten provoziert wird, sich immer wieder auch auf diese Prozesse kontraproduktiv auszuwirken droht. Zugleich ist es für Äußerungen, die abhängig beschäftigte Wissenschaftler_innen in der Öffentlichkeit tätigen, ebenfalls nicht gerade förderlich, ständig Sorgen um die eigene berufliche Zukunft haben zu müssen. Das betrifft nicht zuletzt die Beteiligung an öffentlichen Debatten, wie sie nun bezüglich der Zukunft unserer Demokratie geführt werden müssen. Schweigen aus Angst blockiert also in vielerlei Hinsicht die Möglichkeiten demokratischer Mitwirkung für diejenigen, die prekär beschäftigt sind. All das sind gute Gründe dafür, Hierarchien zu verflachen, indem an die Stelle von Kettenbefristungen ausreichend lange Verträge für die Promotion und mehr unbefristete Stellen neben der Professur gesetzt werden.
Aber damit allein ist es nicht getan. Auch aus den begrüßenswerten Bekenntnissen zu Diversität ergeben sich Erfordernisse für das Handeln der Institutionen. Es ist ohne Frage richtig, dass eine Vielfalt von Perspektiven die Wissenschaft enorm bereichert. Aber wir dürfen nicht bei diesem funktionalen Argument stehenbleiben: Diversität ist nicht bloß gefordert, weil sie der Wissenschaft nützt. Es ist eine basale Mindestanforderung der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit, dass es faire Zugangs- und Teilhabechancen für alle Menschen gibt — auch in der deutschen Wissenschaft. Gerade jetzt, wo diese Chancen für einige Menschen zusätzlich bedroht sind, müssen wir uns im Wissenschaftssystem besonders nachdrücklich dafür einsetzen, sie zu realisieren. Und zwar noch sehr viel intensiver, als das bislang der Fall war.
Mit breiten Bündnissen und Visionen unsere Demokratie stärken
Kritik ist ein elementarer Bestandteil von Wissenschaft. Sie kann produktiv wirken und den gemeinsam vorangetriebenen Erkenntnisgewinn enorm befördern. Aber sie kann auch zu Abgrenzungen und Lagerbildung führen. Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen sind wir auch in der Wissenschaft (und über sie hinaus) jetzt gefordert, Differenzen zu überwinden, um jedenfalls in dieser einen Sache an einem Strang zu ziehen: Bei der Verteidigung unserer Demokratie. Wir sollten hier in erster Linie das betonen, was uns verbindet — nicht das, was uns trennt. Das heißt nicht, dass Kritik plötzlich ausgesetzt sein sollte. Aber sie sollte uns nicht davon abhalten, gemeinsam für die gute Sache zu streiten und denen, die unsere Demokratie und Grundrechte abschaffen wollen, als Verbündete entgegenzutreten: Verbündete, die in vielen Fragen unterschiedlicher Meinung sein mögen, aber vereint sind im Bekenntnis zu unserer Verfassung.
Als Verbündete, die wir uns in den Details austauschen und mit Argumenten um gute Lösungen ringen, während wir für das große gemeinsame Anliegen der Verteidigung unserer Demokratie zusammenstehen, können wir in der deutschen Wissenschaft auch wichtige konzeptionelle Arbeit in den bestehenden und noch folgenden gesellschaftlichen Debatten leisten. Statt demokratie- und verfassungsfeindliche Talking points, Framings und Narrative zu reproduzieren — und sei es zum Zweck der Abgrenzung —, sollten wir uns noch stärker darauf konzentrieren, eigene Themen zu setzen sowie ermächtigende und demokratiestärkende Narrative und Visionen eines guten Lebens für alle Menschen zu entwickeln.
Den Weg gemeinsam weitergehen
Alle diese Aktivitäten brauchen eine Menge Energie und Durchhaltevermögen, individuell wie kollektiv. Der Einsatz für den Erhalt unserer Demokratie ist kein kurzer Sprint, sondern ein Dauerlauf. Wir werden dafür einen langen Atem brauchen. Das gilt einmal mehr, da Wissenschaftler_innen in Anbetracht der Inflation von Anforderungen und Aufgaben und der großen Masse der von ihnen ohnehin schon geleisteten unbezahlten Überstunden ohnehin meist mehr als ausgelastet sind. Unser Engagement für den Schutz unserer Demokratie tritt nun auch noch zu diesem fordernden Programm hinzu.
Aus eigener Erfahrung mit der Kombination aus Vollzeit-Plus-Beruf in der Wissenschaft und wissenschaftspolitischer Arbeit für #IchBinHanna kann ich sagen: Es geht nur gemeinsam. Es braucht eine solidarisch agierende Community, die zusammen in dieselbe Richtung läuft — die Richtung nämlich, die die Vision eines guten Lebens für alle Menschen uns vorgibt. Eine Community, die diejenigen, die auf dem Weg verständlicherweise müde werden und eine Pause brauchen, über diese Phasen hinwegträgt. Solange immer einige von uns weiterlaufen und die, die gerade nicht mehr können, dabei mitnehmen, machen wir Fortschritte auf unserem gemeinsamen Weg. Es ist gut, dass wir als deutsche Wissenschaft begonnen haben, diesen Weg miteinander zu beschreiten — nicht nur als Individuen, sondern auch als Institutionen. Und falls uns doch einmal die Sorge beschleichen sollte, das Ziel aus den Augen zu verlieren, so können wir uns einer Sache sicher sein: Die Werte unserer Verfassung geben uns eine gute Richtung vor — auch wenn die Details unserer Route noch nicht feststehen und im Austausch untereinander sowie mit anderen gesellschaftlichen Bereichen ausgehandelt werden müssen. Nun ist es an uns allen, nicht stehenzubleiben oder umzukehren, sondern zusammen weiterzugehen: Es wird ein langer Weg, aber ich bin zuversichtlich, dass wir ihn gemeinsam bewältigen können.