Lehrstuhl oder Schleudersitz? Wir brauchen mehr Optionen!
Wer in Deutschland Wissenschaft als Beruf langfristig ausüben möchte, muss das in der Regel auf einer Professur tun. Zwar gibt es auch unbefristete Mittelbau-Stellen — aber sie sind rar gesät und obendrein nicht selten äußerst unattraktiv ausgestaltet. Einige dieser Stellen etwa umfassen ein derart hohes Lehrdeputat, dass fraglich ist, wie es mitsamt der Abnahme von Prüfungen, der Betreuung von Abschlussarbeiten, administrativen Tätigkeiten usw. überhaupt im Rahmen der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zu schaffen sein soll — von Forschung einmal ganz zu schweigen. Stellen im Wissenschaftssystem so zu konzipieren, dass ihre Aufgabenbeschreibung grundsätzlich nur mit Überstunden zu bewältigen ist, schadet nicht nur denen, die sie innehaben: Darunter leidet auch die Wissenschaft.
Zwischen den Stühlen
Werden befristet beschäftigte Wissenschaftler_innen in Deutschland nach ihren beruflichen Zukunftsplänen gefragt, können sie in Anbetracht der wenigen, oft nicht sonderlich attraktiven unbefristeten Stellenoptionen neben der Professur also kaum anders als zu antworten: „Ich möchte Professor_in werden.“ Das ist allerdings aus zwei Gründen eine Antwort, die doch etwas seltsam anmutet. Zum einen bleibt die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zukunftsplan aufgeht, trotz allem, was dafür individuell investiert wird, ausgesprochen überschaubar: Höchstens 15% der Postdocs erhalten eine Professur, die restlichen 85% gehen leer aus. Von einem Plan lässt sich vor diesem Hintergrund kaum sprechen. Es ist eher eine Hoffnung, an die sich die Betreffenden klammern. Für nicht wenige ist es vor allem die Hoffnung, weiter in ihrem erlernten Beruf arbeiten zu können. Denn zum anderen wollen gar nicht alle befristet beschäftigten Wissenschaftler_innen zwingend eine Professur mitsamt all ihrer Aufgaben inklusive Führungsverantwortung. Einige wollen schlicht und ergreifend weiter Wissenschaft machen: Sie wollen forschen und lehren, aber eben nicht auf dem befristeten Schleudersitz, sondern mit der beruflichen Sicherheit des unbefristeten Arbeitsverhältnisses, wie sie in vielen anderen Branchen selbstverständlich ist (insgesamt haben in Deutschland über 91% der Beschäftigten einen unbefristeten Arbeitsvertrag).
Lehrstuhl endlich alle machen
Um die Zuspitzung „Professur oder nichts“ endlich aufzubrechen, müssen neue, attraktive Profile für unbefristete Stellen neben der Professur entstehen, die Forschung und Lehre miteinander kombinieren. Mit der Konzeption entsprechender Stellen allein ist es aber nicht getan: Es braucht außerdem ein neues Verständnis der Professur. Gewiss, das Lehrstuhlprinzip ist formal längst abgeschafft. Gleichwohl wirkt es weiterhin fort, solange Stellen von wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen als Ausstattung von Professuren gehandhabt werden – und damit auch als Verhandlungsmasse in Berufungsverfahren.
Dieses Verständnis von Professur, Stellen im Mittelbau und ihrem Verhältnis zueinander blockiert einen echten Wandel hin zu einem modernen Wissenschaftssystem. Sind Mittelbau-Stellen einer Professur zugeordnet, dürfte sich vielerorts die Auffassung fortsetzen, bei Neuberufungen müsse die_der Neuberufene die zugeordneten Stellen auch nach eigenen Vorstellungen neu besetzen können — ein Argument, das immer wieder gegen unbefristete Stellen ins Feld geführt wird. Unabhängige Forschung wird in diesem System nur den Inhaber_innen von Professuren zugestanden. Und das, obwohl jedenfalls die promovierten Mitarbeiter_innen ihre Befähigung zur eigenständigen Forschung durch ihre Promotion längst nachgewiesen haben. Dass sie unabhängig forschen, scheitert also nicht daran, dass es ihnen an entsprechenden Fähigkeiten mangelt, sondern daran, dass sie systematisch miteinander verquickten Abhängigkeiten ausgesetzt sind: Durch die befristete Beschäftigung einerseits und die Zuordnung zur Professur andererseits. Die gute Nachricht ist aber: Beides lässt sich ändern — man muss es nur wollen.
Was fehlt: Konzepte für unbefristete Stellen neben der Professur
Die Diskussion um Arbeitsverhältnisse in der deutschen Wissenschaft muss endlich einen entscheidenden Schritt weitergehen: Hin zu den Fragen, wie unabhängige unbefristete Stellen neben der Professur unter Berücksichtigung der jeweiligen Fachkulturen im Einzelnen ausgestaltet werden sollten, wie ein zeitgemäßes Konzept der Professur als solcher aussieht und wie beides sinnvoll miteinander in Einklang gebracht werden kann. Um diesen Schritt zu machen, muss die Fixierung auf die Habilitation bzw. Berufungsfähigkeit als Voraussetzung für unbefristete Arbeitsverhältnisse in der deutschen Wissenschaft endlich ein Ende haben, auch in der Diskussion um das WissZeitVG. Eine Pointe der Debatte um #IchBinHanna ist schließlich, dass der unwahrscheinliche Zukunftsplan, Professor_in zu werden, für die, die Wissenschaft als Beruf dauerhaft ausüben wollen, nur innerhalb des aktuellen Systems einigermaßen alternativlos ist. Das muss nicht so sein: „Professur oder nichts“ ist schließlich kein Naturgesetz. (Wer das nicht glauben mag, darf gern einen Blick ins Ausland werfen.)
Eine echte Reform braucht die mutige Einsicht, dass sämtliche Parameter des Systems, die unbefristete Beschäftigung vermeintlich blockieren, ihrerseits veränderlich sind — und den Willen, ein neues System zu gestalten, das Möglichkeiten unbefristeter Beschäftigung auch neben der Professur schafft, statt diese Möglichkeiten weiterhin ohne Not zu beschneiden.