‚Qualifikation‘ ins Nichts: Deutschlands dysfunktionale Postdoc-Phase
Mit dem Regierungswechsel geht #IchBinHanna zurück auf Los, so könnte man zumindest meinen: Während das für das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in der Tat gelten mag — ist die Ampel doch zerbrochen, ehe sie die begonnene Reform abschließen konnte —, ist es bezüglich des generellen Diskussionsstandes mitnichten der Fall. Denn es haben sich in den vergangenen Jahren einige Schwachstellen des deutschen Systems herauskristallisiert, die dringend ausgebessert werden müssen — darunter die Postdoc-Phase, die nicht ohne Grund monatelang im Zentrum der Debatte um die WissZeitVG-Reform stand. In der Reform-Diskussion ging es vor allem darum, wie diese Phase zukünftig im WissZeitVG geregelt werden soll (wir erinnern uns an die Vorschläge, von 3+3 über 4+2 bis hin zu 2+4). Dabei lässt sich der Umstand, dass Postdocs überhaupt einer sogenannten Qualifizierungsbefristung unterliegen, gar nicht sachgerecht begründen. Denn Postdocs sind mit der Promotion bereits abschließend qualifiziert: sie ist der letzte berufsqualifizierende Abschluss laut Europäischem Qualifikationsrahmen. Promovierte haben mit der Promotion nachgewiesen, dass sie eigenständig wissenschaftlich arbeiten können. Was danach kommt — sei es die Habilitation oder eine durch andere Anforderungen gekennzeichnete Postdoc-Phase — ist keine Qualifikation mehr, sondern vergleichbar mit dem, was man in anderen Bereichen tut, um von einer unbefristeten Stelle aus eine Leitungsposition anzustreben.
Das Problem in der Wissenschaft ist aber nicht nur, dass Postdocs weiter befristet werden mit dem vorgeschobenen Argument einer weiteren ‚Qualifizierung‘. Das Problem ist auch, dass diese vermeintliche Qualifizierung mit der Professur als Zielpunkt auf eine Leitungsposition in der Wissenschaft enggeführt wird, die die allermeisten, die sich habilitieren oder Vergleichbares tun, niemals erreichen werden. Stattdessen steht diesen Wissenschaftler_innen früher oder später eine erzwungene berufliche Umorientierung ins Haus — für die die Fixierung auf die Professur, zu der sie das aktuelle deutsche Wissenschaftssystem zwingt, alles andere als hilfreich ist. Das gilt nicht nur für die Postdocs, sondern auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt, der für leer ausgegangene Professuraspirant_innen keinen sinnvollen Platz vorsieht. Die deutsche Postdoc-Phase ist deshalb dringend reformbedürftig. Für den heutigen Newsletter möchte ich mir die Problematik einmal genauer ansehen — und Vorschläge machen, wie es anders geht.
Bitte auseinanderhalten: Stellen neben der Professur heißen nicht ohne Grund so!
Bemerkenswert an der Diskussion um die Befristung von Postdocs fand und finde ich vor allem, dass darin immer wieder zwei Dinge in einen Topf geworfen werden, die dringend auseinandergehalten werden müssen: die Frage nach den Voraussetzungen für eine Professur und die Frage nach den Voraussetzungen für eine unbefristete Stelle neben der Professur. Wer etwa eine der oben genannten Zahlenvarianten für die Postdoc-Befristung damit kommentiert, dass man sich unter diesen Voraussetzungen nicht habilitieren könne, hat bereits vermengt, was nicht zusammengehört: Eine wesentliche Pointe der #IchBinHanna-Diskussion ist ja gerade, dass es mehr unbefristete Stellen neben der Professur braucht. Während die Debatte darüber anhält, wie genau diese Stellen ausgestaltet werden sollten (Hinweise dazu gibt etwa das Papier der HRK und der Jungen Akademie), wäre es schräg, die Voraussetzungen für den Erhalt einer Professur einfach eins zu eins auf diese nichtprofessoralen Stellen zu übertragen.
Dass hier vermischt wird, was nicht vermischt werden sollte, liegt vermutlich an der Fixierung auf die (Voll-)Professur, die nicht von ungefähr kommt: Im deutschen Up-or-Out-System wird das Gros der Wissenschaftler_innen entweder Führungskraft — also Professor_in — oder fliegt mit dem Erreichen der Höchstbefristungsdauer (sowie ggf. nach wenigen befristeten Verlängerungsoptionen) aus der Wissenschaft. Wissenschaftler_innen, die ihren Beruf langfristig ausüben wollen, haben in Deutschland also keine Wahl: Sie müssen die Professur anstreben. Denn es gibt aktuell kaum unbefristete Alternativen dazu (und die wenigen, die es überhaupt gibt, sind nicht selten extrem unattraktiv, siehe z.B. Stellen mit irrsinnig hohem Lehrdeputat).
Nur: Die allermeisten Wissenschaftler_innen werden die Professur, auf die sie hinarbeiten, niemals erhalten. Und das, was sie tun, um eine Professur zu ergattern — ein zweites Buch schreiben, sich kumulativ habilitieren, Drittmittel einwerben, sich um Wissenschaftspreise und Auszeichnungen bemühen usw. — dürfte in vielen Berufsfeldern des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht gerade auf Begeisterungsstürme stoßen oder ist zumindest sehr stark übersetzungsbedürftig. Kurz: Postdocs sind in Deutschland gezwungen, ihr berufliches Fortkommen so zu gestalten, dass es ihnen primär in einem Berufsfeld nützen könnte — nämlich dem der Wissenschaft. Dort aber wird es ihnen voraussichtlich wenig nützen, weil auf zahlreiche exzellente Leute nur sehr wenige Professuren kommen. Wenn Postdocs sich schließlich außerhalb der Wissenschaft umorientieren müssen, weil sie zu den vielen gehören, die keine Professur erhalten haben, droht ihnen, als ‚über- und fehlqualifiziert‘ zu gelten. Das deutsche System investiert also ohne Ende öffentliche Gelder, um die Anstrengungen zahlreicher Wissenschaftler_innen zu finanzieren, Leitungspositionen zu erreichen, die es gar nicht gibt: Diese Leute ‚qualifizieren‘ sich ins Nichts, statt Zeit und Energie darauf zu verwenden, Dinge zu tun, die sie auch jenseits der Professur in angemessenem Umfang anschlussfähig machen würden.
Drum prüfe, wer sich ewig schindet: Schluss mit der immerwährenden Bewährungsprobe auf befristeten Stellen!
Aber warum macht man das überhaupt so? Nun, die Rede von der ‚Qualifizierung‘ nach der Promotion dient vor allem dazu, Postdocs weiter befristen zu können. Nur: Wie wir seit Jahren immer wieder betonen, ist es nicht überzeugend, die Postdoc-Phase als weitere Qualifikationsphase zu begreifen. Aber Moment: Sollten Leute, die Führungspositionen bekleiden, nicht besonders ausgewiesen sein? Klar, das bestreiten wir nicht. Aber: Die Weiterentwicklung auf eine solche Position muss mitnichten auf befristeten Stellen erfolgen. Da gibt es nämlich noch etwas, das ständig durcheinandergerät: die Bewährungsprobe dafür, unbefristet in der Wissenschaft zu arbeiten, und die dafür, eine unbefristete Führungsposition in der Wissenschaft innezuhaben. Wenn wir es ernst meinen mit dem dringend benötigten Kulturwandel, dann müssen wir beides trennen.
In der Praxis heißt das: Anforderungen definieren, die für den Erhalt unbefristeter Stellen neben der Professur erforderlich sind (was je nach wissenschaftlicher Disziplin und Profil der Stelle unterschiedlich ausfallen mag), ohne einfach die Anforderungen für Professuren zu übernehmen, die hier gar nicht passend sind. Und: Diese unbefristeten Stellen so ausgestalten, dass Wissenschaftler_innen sich von dort aus auf Professuren weiterentwickeln können (ohne durch ein gigantisches Lehrdeputat o.ä. davon abgehalten werden), das aber nicht tun müssen. Einige von uns wollen nämlich einfach gut ihre Arbeit machen, ohne zugleich eine Leitungsposition anzustreben. In Branchen jenseits der Wissenschaft kann man das schließlich auch tun, in anderen Ländern geht das sogar in der Wissenschaft selbst!
Das aktuelle System produziert reihenweise Leute, die schlecht aufgestellt sind für den allgemeinen Arbeitsmarkt, auf den sie gegen ihren Willen im Alter von Ende 30/Anfang 40 geworfen werden — und die sogar im Hinblick auf die Wissenschaft alles auf eine Nischenposition ausrichten mussten, die sie sehr wahrscheinlich nie erhalten. Sichern wir lieber deren Expertise innerhalb der Wissenschaft, stellen wir die Weichen hin zu mehr unbefristeten Positionen neben der Professur früher und ermöglichen wir denen, die das wollen, von dort aus eine Weiterentwicklung auf die Professur — das nützt den Beschäftigen und dem Wissenschaftssystem.
Und der allgemeine Arbeitsmarkt? Fehlen dem dann nicht die Leute? Nun, auch der dürfte profitieren, wenn die, die aussteigen wollen, sich nicht weiter auf die Professur fixieren müssen, sondern gezielt spezifische Tätigkeiten weiterentwickeln können, die auch jenseits von Professuren gebraucht werden. Mit der Unterstützung ihrer Institutionen, ich sage nur: Personalplanung und -entwicklung! Davon hätten alle etwas: die Wissenschaft, die Leute, die dort arbeiten, und der Rest unserer Gesellschaft. Höchste Zeit also, dass sich der Wissenschaftsstandort Deutschland nicht weiter durch eine Fixierung auf die Professur disqualifiziert!