Stimmen erheben für unsere Demokratie: Wissenschaft muss lauter werden!
Vor nunmehr 31 Monaten haben wir mit #IchBinHanna begonnen. Viel haben wir seitdem erreicht — alle gemeinsam, als starke, mutige, unglaublich engagierte, miteinander solidarisch agierende Community. Unsere wissenschaftspolitische Arbeit haben wir in unterschiedlichster Form getan — wir drei Initiator_innen hatten dabei keinen parteipolitischen Ausgangspunkt, standen aber stets im Austausch mit denen, die zu unseren Themen parteipolitisch aktiv sind. Der Boden, auf dem unsere Initiative entstehen und gedeihen konnte, ist der unserer Demokratie. Einer Demokratie, die sicherlich nicht immer rund läuft. In der auch in wissenschaftspolitischer Hinsicht stets aufs Neue um gute Ergebnisse gerungen wird und werden muss. In der einiges, das im Hinblick auf das Wissenschaftssystem politisch entschieden und getan wird, weit hinter den berechtigten Erwartungen zurückbleibt. Trotz allem ist es unsere Demokratie, ohne die die Initiative #IchBinHanna und alles, was wir damit erreicht haben, nicht möglich gewesen wären.
Ich habe mich, seit wir mit unserem Thema in der Öffentlichkeit stehen, äußerst selten politisch zu anderen Themen geäußert als zu solchen, die unmittelbar in den Bereich der Wissenschaftspolitik fallen. Aber ich habe in den 31 Monaten mit #IchBinHanna verstanden, dass mit der Lautstärke, die unsere Stimmen durch die mediale Verstärkung erhalten, der Resonanz unserer Arbeit in den Sozialen Medien und der Reichweite, die unsere Community unseren Inhalten gibt, auch eine große Verantwortung einhergeht. Eine Verantwortung, die in diesen Zeiten weit hinausgeht über Fragen, die die innere Organisation und Ausgestaltung des Wissenschaftssystems betreffen. Diese Fragen lassen sich überhaupt nur in der von uns praktizierten Weise stellen und diskutieren, weil der Rahmen unserer Demokratie uns das ermöglicht. Ist diese Demokratie bedroht, dann wackeln auch die Grundfesten unseres Wissenschaftssystems — und damit nicht zuletzt die Möglichkeit, es zum Guten zu verändern. Deshalb ist es höchste Zeit, genau darüber zu schreiben: Über den Wert unserer Demokratie und darüber, warum es jetzt auch an uns Wissenschaftler_innen, Wissenschaftsorganisationen und -institutionen ist, die Stimme zu erheben, um diese Demokratie zu erhalten und zu stärken. Genau das will ich in der heutigen Newsletter-Ausgabe tun.
Unsere Wissenschaft braucht Demokratie
Wir treiben Wissenschaft unter dem grundgesetzlich verbrieften Schutz der Wissenschaftsfreiheit. Diese Wissenschaftsfreiheit macht es uns möglich, Themen und Methoden gemäß wissenschaftlichen Kriterien frei zu wählen und die Qualität von Theorien und Argumenten wissenschaftsimmanent zu prüfen. Sie ermöglicht es uns (freilich mit Einschränkungen, die der Wissenschaft etwa durch Fehlanreize und die Unwucht der Drittmittelfinanzierung aufgebürdet werden), Forschung und Lehre so zu gestalten, wie wir es aus wissenschaftlichen Gründen für richtig halten. Ich mag mir nicht ausmalen, was es bedeuten würde, diese Freiheiten im Grundsatz zu verlieren.
Aber für die Wissenschaft steht mit der Gefährdung unserer Demokratie noch viel mehr auf dem Spiel als ein Verlust von Wissenschaftsfreiheit. Gute Wissenschaft braucht Vielfalt. Es ist schon jetzt ein Kampf, diese Vielfalt allen diskriminierenden und bestimmte Personen(gruppen) systematisch benachteiligenden Strukturen zum Trotz zu befördern und zu schützen — und zwar in erster Linie für diejenigen, die davon betroffen sind. Aber zumindest besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass genau das unser aller Ziel sein muss. Reicht diese Zielsetzung aus, um ein diverses Wissenschaftssystem zu etablieren? Sicherlich nicht, das wird ja jeden Tag aufs Neue offenbar. Aber es wäre verheerend, wenn dieses gemeinsame Ziel auch noch unter politischen Druck geriete. Wenn diejenigen, die unser Wissenschaftssystem mit Vielfalt bereichern — es sind nach wie vor viel zu wenige und sie tun es schon jetzt unter schlechten, teils unzumutbaren Bedingungen — ihrem Beruf fortan mit noch mehr Sorgen und noch größerer Angst nachgehen müssten als ohnehin schon. Wenn das, was wir im Hinblick auf faire Teilhabechancen bereits erreicht haben — und es ist längst noch nicht genug — politisch einkassiert zu werden drohte. All das dürfen wir als Wissenschaftscommunity nicht zulassen.
Unsere Demokratie braucht Wissenschaft
Aber es ist nicht bloß die Wissenschaft, die auf demokratische Strukturen angewiesen ist: Demokratie braucht auch Wissenschaft. Das fängt beim Fällen guter politischer Entscheidungen an: Hier kommt der Wissenschaft in unserer Demokratie eine wichtige Rolle zu. Und zwar einer Wissenschaft, die im von unserer Verfassung gesteckten Rahmen unabhängig und frei von politischen oder ideologischen Richtungsvorgaben agieren kann. Einer Wissenschaft, deren Mitglieder das, was sie für wissenschaftlich richtig halten, öffentlich äußern können, ohne Angst vor Repressionen. Evidenzbasierte Politik ist ohne eine in diesem Sinne freie Wissenschaft nicht sinnvoll denkbar. Denn wenn Wissenschaftler_innen gezwungen werden, nur politisch Opportunes öffentlich kundzutun und über anderes aus wissenschaftsfremden Gründen zu schweigen, verliert die Wissenschaft ihre wichtige Rolle als Korrektiv für politische Debatten und Entscheidungen. Und um auch das hier einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Wissenschaftsfreiheit in diesem Sinne bedeutet nicht, dass Wissenschaftler_innen sich auch in moralisch fragwürdiger Weise sollten äußern können, ohne dafür kritisiert zu werden. Die unerträglich fade Larmoyanz bezüglich einer vermeintlichen Cancel Culture steht in keinem Verhältnis zu dem, was uns bevorstünde, wenn unsere Demokratie wirklich den Bach runterginge.
Wissenschaft ist — allen Einschränkungen durch ein in Teilen dysfunktionales Wissenschaftssystem zum Trotz — eine im Kern unabhängige Stimme im gesellschaftlichen Gesamtgefüge. Und sie muss das auch bleiben, im Interesse einer wissenschaftlich aufgeklärten Gesellschaft und Politik. Erst eine unabhängige Wissenschaft, aus der heraus Wissenschaftler_innen ihre Einsichten ohne existenzielle Ängste in die Öffentlichkeit tragen können, befähigt Individuen, gesellschaftliche Institutionen und politische Akteur_innen zum Treffen informierter Entscheidungen. Im Interesse des Wohls unserer Gesellschaft dürfen wir das nicht aufs Spiel setzen.
Gemeinsam sind wir stark
Blicken wir auf die aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland, so fällt es schwer, zuversichtlich zu bleiben. Dennoch möchte ich zum Abschluss dieser ungewöhnlichen Newsletter-Ausgabe darüber schreiben, warum ich trotz allem eine vorsichtige Zuversicht behalte: #IchBinHanna hat gezeigt, wie viel wir erreichen können, wenn wir zusammenhalten. Wenn wir gemeinsam die Stimme erheben, bis die Summe der Stimmen einen Chor bildet, der nicht mehr zu überhören ist. Wenn wir zusammenstehen für gemeinsame Werte, wenn wir solidarisch miteinander sind, uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, wenn wir der Isolation und Vereinzelung eine starke Gemeinschaft entgegensetzen. Das war und ist nur möglich, weil sich Einzelne immer wieder unermüdlich unter #IchBinHanna äußern, sich öffentlich exponieren und dafür einsetzen, dass unser Wissenschaftssystem ein fairer Ort wird.
Es ist dieser Mut, den wir jetzt aufbringen müssen, um als deutsche Wissenschaft für unsere Demokratie auf- und einzustehen. Und damit meine ich uns Wissenschaftler_innen, aber auch die wissenschaftlichen Institutionen und Organisationen: Sie alle, Ihr alle, wir alle müssen jetzt laut sein für unsere Demokratie, und zwar wo immer uns zugehört wird. Das heißt nicht zuletzt, dass Wissenschaftler_innen, die sich nun öffentlich äußern und für unsere Demokratie stark machen, sich des Rückhalts durch ihre wissenschaftlichen Institutionen sicher sein müssen, damit sie das, was an Gegenwind, Anfeindungen und ähnlichem zu erwarten ist, nicht alleine aushalten müssen.
Viele von uns (mich eingeschlossen) haben sich allzu lange in der Sicherheit gewiegt, dass unsere Demokratie eine Selbstverständlichkeit ist. Dass es trivial ist, zu betonen, warum es sie braucht. Unnötig, sie öffentlich zu verteidigen, sie und ihre Relevanz für unser aller Leben, die offenkundig schien, überhaupt nur zu thematisieren. Die bittere Wahrheit aber ist: Diese Demokratie ist schon längst keine Selbstverständlichkeit mehr, die ein solches Schweigen erlaubt. Und es ist jetzt auch an uns als Wissenschaftscommunity, für sie das Wort zu ergreifen.
Am Wochenende wurde ich während einer Podcast-Aufnahme gefragt: Was wäre Dein Wunsch, wo Eure Initiative in fünf Jahren steht? Meine Antwort war nicht allein ein faires Wissenschaftssystem ohne Massenbefristung. Sondern auch, dass wir in fünf Jahren weiterhin in einer Demokratie leben, die eine Initiative wie die unsrige und alle Erfolge, die wir damit erzielen konnten, überhaupt erst ermöglicht. Liebe_r Leser_in: Wenn das auch Ihr/Dein Wunsch ist, dann sollten wir spätestens ab jetzt gemeinsam dafür kämpfen.