„Du musst Dir keine Sorgen machen, Du bist ja eine Frau.“ So kommentierte ein Kollege vor Jahren beim Kaffee meine Karrierechancen in der Wissenschaft. Was er damit indirekt auch sagte, war dies: Wann immer Du Erfolg hast, ist der nicht allein auf Dein Können zurückzuführen. Auf Deine harte Arbeit, Dein Talent, Deine Kreativität, Deine wissenschaftlichen Fähigkeiten. Nein. Du hast das, was Du bekommen hast, die Stelle, die Auszeichnung, die Möglichkeit, auf einer Konferenz zu sprechen, wesentlich auch deshalb, weil Du eine Frau bist. Niemand glaubt so fest an die Macht von Gleichstellungsmaßnahmen wie diejenigen Männer, die sich dadurch zu Unrecht benachteiligt fühlen.
In meiner Keynote beim Jahresempfang des SelmaMeyerMentorings an der Uni Düsseldorf habe ich am vergangenen Donnerstag einige sehr persönliche Erfahrungen zum Thema Gleichstellung geteilt. Im Sinne von „practice what you preach“ möchte ich vor dem Hintergrund meines Newsletters von letzter Woche einige dieser Erfahrungen hier noch einmal breiter teilen. Denn wenn wir echte Gleichstellung erreichen wollen, dann ist ein wichtiger erster Schritt, klar zu benennen, in welchen Punkten wir davon nach wie vor meilenweit entfernt sind.
Alles Quote, oder was?
„Das ist die Quotenfrau.“ Über Jahre haben männliche Kollegen von mir das Line-up für Tagungen, die Zusammensetzung von Podien und die Inhaltsverzeichnisse von Publikationen in meinem männerdominierten Fach so kommentiert. Inzwischen ist das weniger geworden. Vielleicht ein kleiner Erfolg, aber ich fürchte, viele denken das noch immer — sie sagen es nur nicht mehr so offen. Und was möglicherweise sogar noch schlimmer ist: Ich denke es oft selbst. Wenn ich eingeladen werde, in meinem Fach einen Vortrag zu halten, an einer Diskussionsrunde mitzuwirken oder einen Aufsatz beizusteuern, ist er sofort da, der gedankliche Reflex: Das hast Du doch sicher nur bekommen, weil Du eine Frau bist! Als Frau kickt das Imposter-Syndrom nochmal anders.
Während die Vorträge meiner männlichen Kollegen bei Workshops und Konferenzen inhaltlich kommentiert und diskutiert werden, achten andere Tagungsteilnehmer bei mir auch gern mal darauf, was ich anhabe, wie ich aussehe. Woher ich das weiß? Nun, gelegentlich kommentieren sie diese Dinge. Manche meinen es sicher nett. Aber es wäre mir doch lieber, wenn man meinem Vortrag zuhören würde, statt über mein Outfit nachzudenken oder über andere Elemente meiner äußeren Erscheinung. All das führt dazu, dass ich selber viel zu viel Zeit darauf verwende, über solche wissenschaftsfremden Dinge nachzudenken, während meine männlichen Kollegen einfach irgendetwas tragen und irgendwie aussehen — und in der Regel nur dann damit Aufmerksamkeit erregen, wenn sie es gezielt darauf anlegen. Bei Männern verstellen Äußerlichkeiten in der Regel nicht den Blick auf die Inhalte, bei Frauen ist das nach wie vor anders.
Frau und Mutter: Wann hören wir endlich auf, das automatisch zusammenzudenken?
Ich bin 38 und habe keine Kinder. Das hat viel mit den Rahmenbedingungen der wissenschaftlichen Karriere in Deutschland zu tun. Meine Sorge, von anderen abgehängt zu werden und deshalb meine ohnehin geringen Chancen auf eine dauerhafte Beschäftigung in der Wissenschaft noch weiter zu minimieren, war jahrelang zu groß. Dass ich das Thema Familiengründung hier zum Thema mache, ist meine freie Entscheidung. Aber das war und ist nicht immer so: Diverse männliche Kollegen haben bereits unaufgefordert meine Familienplanung kommentiert oder auch danach gefragt, „wann es denn bei mir mal so weit sei“. Mir wurde sogar vorgeschlagen, ich möge doch Kinder bekommen, um meine Höchstbefristungsdauer nach WissZeitVG zu verlängern.
Ich wüsste gern, wie viele meiner männlichen Kollegen in dieser oder anderer Weise ansatzlos auf ihre Familienplanung angesprochen werden. „Sie ist eine Frau, sie könnte schwanger werden“ scheint weiterhin ein automatischer Gedanke zu sein, der eine ganze Menge außer Acht lässt. Etwa, dass gar nicht alle Menschen, die schwanger werden können, das auch wollen. Und auch, dass es bei denen, die es wollen, nicht immer möglich ist. Im Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 ist zu lesen, dass vor allem Frauen ihren Kinderwunsch zugunsten der wissenschaftlichen Karriere zurückstellen. Und darin steht auch, dass Männer die Familiengründung oft noch nachholen, wenn endlich ein Ruf auf eine Professur erfolgt ist. Für Frauen ist der Zug dann oft abgefahren. Und wer als Frau keine Professur ergattert — nur 15% der Postdocs bekommen überhaupt eine —, steht oftmals ohne Karriere UND ohne Kinder da, denn für das Nachholen ist es dann teils schon zu spät.
Ob Wissenschaftler_innen Kinder haben oder nicht, ihre Familienplanung, die Art, wie sie Sorgearbeit leisten usw. werden ständig zum Thema gemacht. Und das oft in Verbindung mit zahlreichen Vorurteilen. Derweil forschen die Männer von solchen Diskussionen und Bemerkungen weitgehend unbehelligt weiter.
Wissenschaftlerinnen: Immer schön lieb sein
Wer sich jetzt aber darüber beschwert, oder überhaupt Ungleichbehandlungen zum Thema macht, stößt regelmäßig auf Abwehr. Bei allem gilt als Frau in der Wissenschaft sowieso immer: Bitte recht freundlich sein. Für Harmonie sorgen. Stets zugewandt auf andere zugehen, seien es Kolleg_innen oder Studierende. Selbst, wenn Frauen fachlich als gleich gut bewertet werden wie ihre männlichen Konkurrenten, reicht das längst nicht aus, um eine Stelle auch zu bekommen. Frauen werden nämlich auf dem Arbeitsmarkt gerade in männerdominierten Feldern wie der Wissenschaft gern aufgrund vermeintlicher sozialer Mängel aussortiert, etwa, weil sie als feindselig wahrgenommen werden. Hier spiegelt sich die gesellschaftliche Erwartung an Frauen, ihrem gesamten Umfeld empathisch und sorgend gegenüberzutreten. Diese Erwartung tritt auch zutage, wenn Studierende in Evaluationen weibliche Lehrende dafür kritisieren, kalt oder gefühllos zu sein oder nicht zu allen Studierenden persönliche Beziehungen aufzubauen. Männer müssen fachlich brillieren; Frauen müssen das auch, aber zusätzlich noch auf der persönlichen Ebene punkten.
In einem hochkompetitiven Arbeitsfeld, in dem sehr viele exzellent ausgebildete Wissenschaftler_innen um sehr wenige sichere Beschäftigungsverhältnisse konkurrieren, wird die Erwartung, dass Frauen zusätzlich zu ihren wissenschaftlichen Aufgaben emotionale Arbeit leisten, schnell zum Nachteil. Denn die zusätzlich zu erbringende emotionale Arbeit kostet Ressourcen und Energie, die zur Bewältigung anderer Anforderungen im Wissenschaftssystem fehlen, während Männer sich ganz auf diese Anforderungen konzentrieren können.
Was bei Männern als durchsetzungsstark gilt, ist bei Frauen: anstrengend. Frauen, die nicht das tun, was andere gerne hätten, gelten gern als kompliziert. Auch hier greifen völlig andere Standards als für Männer. Bitte lächeln, liebe Wissenschaftler_innen — auch bei den natürlich völlig ironisch gemeinten sexistischen Witzen. Wie oft habe ich in solchen Situationen geschwiegen, weil ich nicht als humorlose Frau gelten wollte, und mich anschließend darüber geärgert? So manches Männernetzwerk stabilisiert sich eben auch durch die Ausgrenzung von Frauen, und das fängt im Kleinen an, mit sexistischen Sprüchen beim Mittagessen. Dass es bis hin zu Übergriffen geht, wissen viele von uns Frauen nicht nur aus den furchtbaren Medienberichten der letzten Monate.
Mit sexistischem und übergriffigem Verhalten kommen diejenigen Männer, die es an den Tag legen, immer noch viel zu oft durch. Frauen hingegen werden für alles Mögliche kritisiert, auch für Dinge, die gar nicht kritikwürdig sind. Mitunter werden sogar vermeintliche Sachargumente als Waffe eingesetzt, um Frauen zu diskreditieren. Das haben wir zuletzt an den Plagiatsvorwürfen gegen die Journalistin Föderl-Schmid gesehen, die ein sogenannter Plagiatsjäger im Auftrag des rechtspopulistischen Portals NIUS erhoben hatte: Föderl-Schmid habe in ihrer Dissertation plagiiert, so der Plagiatsjäger. Vorwürfe, die sich jüngst als unberechtigt erwiesen haben, wie die Universität Salzburg bekannt gab. Ein perfider Schachzug, sie auf dieser vermeintlichen Sachebene anzugreifen, aber etwas, das Frauen, die erfolgreich sind, schnell passieren kann. Wir sehen es auch an einem neueren NZZ-Artikel über die TU-Berlin-Präsidentin Geraldine Rauch, der auf derart hanebüchene Weise Kritik an ihr zu üben versucht, dass er an Absurdität kaum noch zu überbieten ist.
Ungleichbehandlung summiert sich
Es mag zwar vielfältige Bestrebungen geben, Frauen „bei gleicher Qualifikation bevorzugt“ zu berücksichtigen — für Stellen, Preise und dergleichen mehr. Aber weil eben Forschungsthemen und Profile vielfältig sind, eröffnet diese Maßgabe erhebliche Spielräume. Und Spielräume gibt es auch bei der Anerkennung und Kompensation von Sorgearbeit und anderen Anforderungen. Wie stark fällt es etwa tatsächlich ins Gewicht, dass Wissenschaftlerinnen mit Kindern in der Pandemie zusätzliche Sorgearbeit in krassem Ausmaß geleistet haben? Abgesehen von der Kompensation für Sorgearbeit u.ä. zieht sich die Ungleichbehandlung von Frauen nun einmal durch ihre Karrieren. So kann sie sich aufsummieren zu einem wissenschaftlichen Profil, das mit dem der männlichen Konkurrenz vermeintlich nicht mithalten kann. Aber wer rechnet eigentlich ein, wie viele Kämpfe Frauen auf ihrem akademischen Weg ausfechten mussten, von denen Männer gar nichts ahnen?
Sogar, wenn Frauen es endlich auf die Lebenszeitprofessur geschafft haben, setzt sich die Ungleichbehandlung fort. Da gibt es dann etwa den Gender Pay Gap. Und auch vorher arbeiten Frauen und Männer zu unterschiedlichen Konditionen: Teilzeitstellen haben in der Wissenschaft häufig Frauen inne — und wir alle wissen (und sehen es auch in den Statistiken), dass auf Teilzeitstellen in der Wissenschaft in der Regel deutlich mehr gearbeitet wird, oftmals sogar Vollzeit.
Paritätisch besetzte Gremien an Unis sind ungemein wichtig. Aber in Fächern, in denen es wenige Frauen gibt, sitzt jede von ihnen dann plötzlich in zig Gremien. Die Männer stehen nicht unter diesem Druck. Sie forschen munter weiter, während die Frauen Kommissions- und Gremienarbeit leisten. Man kann sich vorstellen, wie sich das nachher auf den Lebensläufen und Publikationslisten macht.
Gleichstellung: Wie weiter?
Wissenschaftlerin sein ist aus diesen und weiteren Gründen gar nicht selten: ermüdend. (Und für diejenigen Wissenschaftlerinnen, die außerdem noch andere Formen der Diskriminierung erfahren, muss das umso mehr der Fall sein — dasselbe gilt für nichtbinäre Wissenschaftler_innen, für deren Situation es oftmals nicht einmal ein Bewusstsein gibt.) Nun ist Müdigkeit keine optimale Ausgangsbasis, um eine Veränderung eines Wissenschaftssystems hin zu mehr Gerechtigkeit anzupacken. Aber wir sollten das trotzdem tun. Und zwar im besten Fall Hand in Hand mit denen, die im System hellwach ihren Aufgaben nachgehen können, ohne sich mit derlei Zeug herumzuschlagen. Lasst uns alle gemeinsam dafür kämpfen, dass es in der Wissenschaft wirklich um Inhalte, Fähigkeiten und Leistungen geht — und dass Nachteile angemessen kompensiert werden. Für ein faireres Wissenschaftssystem. Denn, lieber Männer in der Wissenschaft: Es will doch niemand von Euch denken müssen, dass Ihr es vor allem so weit geschafft habt, weil Eure weibliche Konkurrenz auf diversen Ebenen immer wieder ausgebremst wurde — oder?