Wer krank ist, ist krank – auch in der Wissenschaft
Die heutige Newsletter-Ausgabe fällt deutlich kürzer aus als üblich, denn ich bin krank. Nach über einem Jahrzehnt des Arbeitens in der Wissenschaft war mein erster Impuls wenig überraschend: „Das schaff ich trotzdem, ich zieh das durch und schreibe die geplante Ausgabe!“ Da es mir aber in diesem Newsletter nicht nur darum geht, die Probleme des Wissenschaftssystems zu thematisieren, sondern auch, ihnen etwas entgegenzusetzen, habe ich entschieden, das nicht zu tun und stattdessen nur diese kurze Krankmeldung zu verfassen: Gegen die Normalisierung von Arbeit in der Wissenschaft trotz Krankheit!
Wer auch diese Woche gern Ausführlicheres zum Thema Arbeit in der Wissenschaft lesen möchte: Ich empfehle diesen Text von Kristin Eichhorn über sogenannte Karriere-Highlights in der Wissenschaft. Der Text ist nicht nur für sich genommen lesenswert, es gibt mittelbar auch einen Bezug zum Thema Arbeit trotz Krankheit. Denn auf Bluesky haben viele Kolleg_innen den Text zum Anlass genommen, ihre wissenschaftlichen „Karriere-Highlights“ zu teilen — nicht wenige davon spielen sich in Krankenhäusern ab, wo trotz des gesundheitlichen Ausnahmezustands weitergearbeitet wird.
Die Härte und Unerbittlichkeit, die wir in der Wissenschaft gegen uns selbst aufbringen, um uns auch dann noch weiter zum Arbeiten zu zwingen, wenn wir eigentlich nicht mehr können: Damit müssen wir dringend aufhören. Erwarten wir das also nicht von anderen — und auch nicht von uns selbst. Gesundheit ist ein hohes Gut; wir sollten wissenschaftliche Arbeit nicht so hoch hängen, dass sie dieses Gut übertrumpft. Denn wenn die Praxis des Arbeitens trotz Krankheit im Einzelfall überhaupt einen nennenswerten Nutzen haben sollte (und selbst das lässt sich in vielen Fällen vermutlich in Frage stellen), dann steht der in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Preis, den wir individuell dafür zahlen. Deshalb: Setzen wir an die Stelle des toxischen Standards „Arbeit trotz Krankheit“ endlich das Auskurieren und Ausruhen und an die Stelle der unerbittlichen Härte gegen uns selbst die Sorge um uns und für uns selbst — und tragen wir so dazu bei, ein Wissenschaftssystem zu gestalten, das basale menschliche Grundbedürfnisse nicht weiter mit Füßen tritt!