Wissenschaft: Mehr als ein Job?!
Arbeit in der Wissenschaft ist mehr als ein Job — so die Auffassung vieler, die in der Wissenschaft tätig sind. Wer das so sagt, will damit vermutlich eher selten darauf hinaus, dass Arbeit in der Wissenschaft immer wieder ganz ohne Job, also ohne Arbeitsvertrag und ohne sonstige Vergütung erfolgt (obgleich das durchaus der Fall ist). Auch die enormen Summen an Überstunden, die in der Wissenschaft zusammenkommen und die die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit für den Job als Wissenschaftler_in deutlich überschreiten, sind damit wahrscheinlich nur am Rande angesprochen. Gemeint ist vielmehr, dass Arbeit in der Wissenschaft denen, die sie leisten, in besonderer Weise am Herzen liegt (ich schrieb letzte Woche darüber, wie diese Bedeutung von Wissenschaft durch prekäre Bedingungen beschädigt wird). Dass diese Arbeit intrinisch motiviert ist. Dass sie denen, die sie leisten, oft mehr bedeutet als bloß das Konto mit Geld zu füllen, um die eigenen Lebenshaltungskosten (oft mehr schlecht als recht) bestreiten zu können. Einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können, die nicht immer, aber doch oft erfüllend ist, klingt erst einmal großartig. Dennoch tue ich mich schwer mit der Behauptung, Wissenschaft sei mehr als ein Job. Warum? Darum geht es im heutigen Newsletter.
Motiviert bis ans Limit und darüber hinaus: Brennen für die Wissenschaft bis zum Burnout
Man kann niemandem vorwerfen, im eigenen Beruf aufzugehen, ihn als identitätsstiftend und sinnvoll zu empfinden — ganz im Gegenteil, das ist für sich genommen eigentlich wunderbar. Denn es ist zunächst einmal erfreulich für diejenigen, die es betrifft. Und auch die Arbeitsergebnisse werden davon aller Voraussicht nach profitieren — jedenfalls dann, wenn es Rahmenbedingungen gibt, unter denen die Motivation der betreffenden Personen und mit ihr auch deren wissenschaftlicher Output wachsen und gedeihen kann. Allein: Das deutsche Wissenschaftssystem tut so ziemlich das genaue Gegenteil davon. Wer in Deutschland Wissenschaft machen möchte, muss in Kauf nehmen, dass Arbeitsverhältnisse notorisch unsicher und langfristige Perspektiven äußerst limitiert sind. Unter die ganze Motivation mischen sich also rasch Existenzängste und Zukunftssorgen, die zugleich den Blick verstellen auf die wissenschaftlichen Inhalte, die die Motivation allererst hervorbringen. Das ist ein verhängnisvoller Mix, denn im Versuch des Systems, die Motivation der Individuen auszubeuten, liegt zugleich der Grund dafür, dass diese Motivation immer weiter schwindet — oder jedenfalls von anderen Faktoren so überschattet wird, dass sie ihre positive Wirkung nicht mehr entfalten kann.
Das Paradoxe: Wer aus Liebe zur Wissenschaft alles tun möchte, um die eigene Beschäftigung im Wissenschaftssystem längerfristig zu erhalten, ist gezwungen, allerlei Dinge zu machen, die mit Wissenschaft a) wenig zu tun haben und b) ihr teils sogar schaden. Bewerbungs- und Berufungsverfahren setzen auf viele Publikationen und umfangreiche Drittmittelerfolge. Gut für die Wissenschaft wäre es, könnten wir uns stattdessen Folgendes fragen: Braucht es dieses Paper wirklich? Sollte ich nicht besser mehrere Aufsätze zu einem einzelnen zusammenfassen, weil das der Sache inhaltlich eher gerecht wird? Oder: Ist es wirklich nötig, Ergebnisse so zurechtzubiegen, dass sie wie ein Erfolg aussehen, obwohl der ursprüngliche Plan des Forschungsvorhabens faktisch nicht aufgegangen ist und es besser wäre, genau das auch zu publizieren? Gut für die Wissenschaft wäre es auch, wenn wir ernsthaft folgende Überlegungen anstrengen dürften: Was wäre ein wissenschaftliches Thema, das sich wirklich zu verfolgen lohnt, und zwar aus wissenschaftlichen Gründen, jenseits von aktuellen Trends und thematisch ausgerichteten Förderlinien? Wie lange würde so ein Projekt sinnvollerweise dauern, welches Budget bräuchte es dafür? Stattdessen zäumen wir das Pferd fortwährend von hinten auf, indem wir den vorhandenen Förderlinien Vorrang einräumen und das, was wir machen wollen, irgendwie in das Korsett zu pressen versuchen, das sie dafür bereitstellen. (Hier habe ich aufgeschrieben, dass und wie Forschungsförderung anders ginge.)
Weil wir unsere Beschäftigung in der Wissenschaft retten wollen, die uns so am Herzen liegt, machen wir also alle möglichen Dinge — aber die Dinge, derentwegen wir überhaupt Wissenschaft als Beruf ergriffen haben, sind kaum noch darunter (und wenn, dann oft nur in verzerrter Form). Mehr als ein Job ist Arbeit in der Wissenschaft dann plötzlich nicht mehr, sondern sie ist auf einmal nichts als ein Job — und das ist traurig und nützt weder der Wissenschaft noch denen, die in ihr tätig sind.
Was mehr als ein Job ist, macht erpressbar
Aber solange noch etwas von der intrinsischen Motivation übrig ist, und sei es auch nur ein Fünkchen, gilt weiterhin: Diese Motivation, diese Liebe zum Fach, diese Begeisterung für die wissenschaftliche Tätigkeit macht Menschen erpressbar. Sie lassen sich auf Bedingungen ein, bei denen andere nur lächelnd abwinken würden. Kurze Vertragslaufzeiten, Überstunden, Dauerstress, Dauerdruck, Wissenschaftler_innen halten den ganzen Laden am Laufen und kompensieren Systemfehler auf eigene Kosten. Die Studierenden etwa brauchen gute Betreuung, also wird zu wenig geschlafen und nicht richtig ausgeruht, sondern es wird betreut und geprüft und korrigiert bis zum Umfallen, denn aktuelle Betreuungsschlüssel sind für die Tonne (zu viele Studierende kommen auf eine Lehrperson, u.a. dank des dringend überholungsbedürftigen Kapazitätsrechts). Überstunden gehören selbstverständlich dazu, so wird Wissenschaftler_innen immer wieder weisgemacht — wer einfordere, nur so viel zu arbeiten, wie sie_er bezahlt bekommt, habe etwas fundamental nicht verstanden. Unglaublich, wie blind solche Ansagen sind gegenüber den Exklusionsmechanismen, die das Glorifizieren von Überarbeitung perpetuiert: Nein, nicht alle können immer arbeiten, und es ist im Übrigen auch gesund, das gar nicht erst zu wollen. Die intrinsische Motivation auf diese und andere Weisen auszubeuten ist für sich genommen schon schäbig. Das gilt einmal mehr, wenn dazu noch ein Verweis auf das vermeintliche Privileg erfolgt, das es sei, Wissenschaft als Beruf auszuüben. Kristin Eichhorn hat diesen Verweis in ihrem Beitrag zu unserem 95-Thesen-gegen-das-WissZeitVG-Buch im Büchner-Verlag einmal so in Worte gefasst:
„Wissenschaft gilt nicht als ›normale Arbeit‹, sondern als ›Chance‹ oder Privileg — als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung einzelner Genies, die darauf hoffen, aber nicht damit rechnen sollten, dauerhaft von ihrer Arbeit leben zu können.“
Und dieser Idee kommt eine beachtliche systemstabilisierende Funktion zu, so schreibt Kristin Eichhorn weiter:
„[Das] Bild der Wissenschaft als ›Chance‹, für die man alles andere aufzugeben bereit sein müsse und lange Phasen des Verzichts in Kauf zu nehmen habe, [zielt] letztlich darauf, Menschen zur Akzeptanz eigentlich inakzeptabler und z. T. rechtswidriger Arbeitsbedingungen zu bringen.“
Arbeitsbedingungen, die (gelegentlich) Motivation und Erfüllung im eigenen Tun erlauben oder gar befördern, sollten nicht als Privilegien apostrophiert werden, die allenfalls ausgewählten Arbeitenden zukommen, sondern als wünschenswerter Standard für Arbeit generell.
Intrinsische Motivation hegen und pflegen, statt sie zu zerstören
Das Wissenschaftssystem hat von sogenannter extrinsischer Motivation wenig zu bieten. Neulich saß ich auf einem Podium zu KI und vor mir berichtete ein Herr aus der Wirtschaft darüber, dass der primäre Fokus von Unternehmen aktuell die Frage sei, wie man mit KI Geld verdienen könne. Dann war ich dran — und sagte, ich sei Philosophin, und wie man mit KI Geld verdienen könnte, sei eher nicht mein Thema, denn wenn es mir ums Geldverdienen gegangen wäre, hätte ich andere Lebensentscheidungen treffen müssen. Das Publikum lachte. Nur: Ich denke oft darüber nach, wie gut ich anderswo verdienen könnte (und ja, es gibt Menschen in meinem Umfeld, die sehr viel besser verdienen als ich aktuell — und ich verdiene mit der W1 in Baden-Württemberg ja nach den Maßstäben des Wissenschaftssystems schon vergleichsweise sehr gut —, und das zum Teil auch ohne Promotion). Denn seien wir ehrlich: Die intrinsische Motivation für die Wissenschaft hilft nicht gegen Altersarmut. Sie wird auch nicht meine Miete bezahlen, wenn es für mich nach Auslaufen meiner W1 ohne Tenure Track in der Wissenschaft nicht mehr weitergehen sollte. Die intrinsische Motivation ersetzt nicht die Rücklagen, die andere mit akademischen Abschlüssen in meinem Alter — ich bin 38 — bereits in beachtlichem Umfang ansammeln konnten. Die intrinsische Motivation wird nicht da sein, wenn es plötzlich mal teuer wird, weil ich oder mir nahestehende Menschen Hilfe welcher Art auch immer brauchen, die es eben nicht immer umsonst gibt. (Auch bei Wissenschaftler_innen gehen Dinge kaputt, auch Wissenschaftler_innen haben Angehörige, die krank oder pflegebedürftig werden können, auch Wissenschaftler_innen selbst sind gegen alle diese Dinge keineswegs gefeit.)
In der Summe, wenn wir all das gegeneinander aufrechnen, ist Wissenschaft dann keineswegs mehr als ein Job, sondern auf einmal viel, viel weniger. Denn selbst, wenn er mitunter nervt und anstrengend ist und wir ihn nicht immer gern tun, sollte ein Job doch zumindest eines leisten: Uns ermöglichen, unseren Lebensunterhalt einigermaßen verlässlich zu bestreiten. Das aber kann Wissenschaft als Beruf den allermeisten Wissenschaftler_innen im deutschen Wissenschaftssystem schlicht nicht bieten. Soll Wissenschaft wirklich auch zukünftig von intrinsischer Motivation profitieren, muss sich das dringend ändern. Wissenschaft zu lieben und in der Lage sein zu wollen, mit dem eigenen Beruf langfristig Miete und sonstige Lebenshaltungskosten begleichen zu können, sind offenkundig keine Gegensätze. Denn im vermeintlichen Ideal, selbst basalste menschliche Grundbedürfnisse dem wissenschaftlichen Arbeiten unterordnen zu müssen, steckt nichts als eine falsch verstandene Aufopferung, die am Ende weder denen nützt, die sie betreiben, noch der Wissenschaft selbst.