Wissenschaftsfreiheit in Gefahr – wen interessiert’s?!
Es ist Sommer. Vielerorten hat die vorlesungsfreie Zeit begonnen. Bundespolitisch ist Sommerpause. Aller ausgreifenden Arbeitstätigkeit in Wissenschaft und Politik zum Trotz sind sicherlich viele an Wissenschaftspolitik Interessierte gedanklich oder gar tatsächlich im Urlaub. Ein hervorragender Zeitpunkt, um ohne größeren Widerspruch an einer der zentralsten Grundfesten zu sägen, auf die unser Wissenschaftssystem gebaut ist: dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit. Man möchte jedenfalls glauben, dass es die Urlaubszeit ist, die die Lethargie erklärt, mit der Koalitionäre und Wissenschaftsorganisationen die Erosion dieses für die Wissenschaft so fundamentalen Grundrechts ohne größere Widerstände geschehen lassen. Andere mögliche Erklärungsansätze — politische Deals innerhalb der Ampel-Koalition, bei denen Wissenschaftsfreiheit im Tausch gegen anderes preisgegeben wurde, oder purer Opportunismus aufseiten der Wissenschaftsorganisationen, die sich im Gegenzug etwas vom FDP-geführten BMBF versprechen —, mag man sich lieber nicht ausmalen.
Was immer der Grund dafür sein mag, dass die innerpolitischen und institutionellen Reaktionen auf die Geschehnisse der Fördergeldaffäre so unverhältnismäßig verhalten ausfallen: Es ist ungeachtet aller berechtigten Urlaubspläne und Erholungsbedürfnisse schlicht und ergreifend vollkommen unverständlich, dass diese Geschehnisse keinen sehr viel deutlicher vernehmbaren Aufschrei nach sich ziehen. Denn es steht nicht weniger auf dem Spiel als die demokratische Basis, auf der in Deutschland Wissenschaft getrieben wird. Dazu kommt, dass die Attacke auf die Wissenschaftsfreiheit hier von Akteur_innen vorangetrieben und toleriert wird, die keineswegs außerhalb des demokratischen Spektrums agieren, sondern aus ihm heraus. Die deutsche Wissenschafts(politik)community sollte sich sehr genau überlegen, ob sie diese Dinge weiterhin geschehen lassen will — oder ob sie nicht lieber alles ihr Mögliche aufbietet, um diese erschreckenden Entwicklungen endlich zu stoppen.
SPD und Grüne, wo seid Ihr?
„Es darf nie auch nur der Anschein erweckt werden, als gebe es nicht wissenschaftsgeleitete Entscheidungen im Wissenschaftsministerium. Es muss immer klar sein, dass es keine politischen Entscheidungen gibt. Und insofern ist Vertrauen verlorengegangen. […] Mir wird bei dem Gedanken, dass [eine entsprechende Liste] im Haus einfach erarbeitet wird, ganz anders, um ehrlich zu sein. Weil das ist, glaube ich, schon ein schwerwiegender Vorgang. […] Ich hab jetzt verstanden, dass die Vertrauensbasis mit der ehemaligen Staatssekretärin nicht vorhanden war für eine weitere Zusammenarbeit. […] Welche weiteren Konsequenzen sind geplant, sowohl in personeller Hinsicht als auch in struktureller Hinsicht, um zu vermeiden, dass diese Vorgänge nochmal sich wiederholen können? Denn es waren ja auch mehrere Leute beteiligt an den ganzen Recherchen, die dort angestellt worden sind.“
Es ist ein erfreulich klares Statement inklusive berechtigter kritischer Nachfragen, das Oliver Kaczmarek (SPD) in der Sitzung des Bildungsausschusses am 26. Juni 2024 da an Ministerin Stark-Watzinger gerichtet hat. Zwei Aspekte aus dem hier zitierten Teil stechen besonders ins Auge: die Einordnung der Fördergeldaffäre als „schwerwiegender Vorgang“ — und die Forderung, sicherzustellen, dass sich Vergleichbares nicht erneut ereignen kann, indem einer solchen Wiederholung strukturell vorgebeugt wird, aber auch personell. Dafür, dass dieses Statement aus der Koalition kommt und nicht aus der Opposition, wurde es erstaunlich scharf formuliert und vorgetragen — der Sachlage durchaus angemessen.
Vor diesem Hintergrund kann es allerdings nur nachhaltig irritieren, dass die Ampel-Regierung der Ernennung von Roland Philippi als Döring-Nachfolger am 17. Juli zustimmte. Philippi ist gerade nicht der Nachfolger, der das Vertrauen der Wissenschaftscommunity stärken wird, dass ähnlich schwere Vorgänge sich zukünftig nicht wiederholen werden — im Gegenteil. Schließlich war bereits am 10. Juli dank einer Spiegel-Recherche bekannt geworden, wie Philippis Haltung zur Wissenschaftsfreiheit aussieht: Den vom Spiegel veröffentlichten Chat-Protokollen ist zu entnehmen, dass er im Austausch mit anderen Mitgliedern der BMBF-Leitungsebene eine Selbstzensur von Wissenschaftler_innen aus Angst vor dem Verlust von Fördergeldern für ihre Forschung ausdrücklich befürwortet.
Es ist vollkommen unverständlich, dass SPD und Grüne (von denen man zur Sache ohnehin wenig deutliche Worte hört) ausgerechnet dieser Personalie zustimmen. Denn damit ist der Angriff auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nicht mehr nur eine Sache des BMBF: Die Koalition hat ihn zu ihrer Sache gemacht. Wollen SPD und Grüne nicht jedes Vertrauen aus der Wissenschaft einbüßen, müssen sie nun dringend handeln. Die Beschädigung des Vertrauens dürfte nämlich gerade diesen Parteien durchaus wehtun, weil sie hier wirklich Wähler_innen zu verlieren haben.
Wissenschaftsorganisationen, es ist auch an Euch!
Ignoriert hat die Ampel bei ihrem Entschluss, Philippi zum Staatssekretär zu machen, auch das Entsetzen über seine Äußerungen, wie es von zahlreichen Mitgliedern der wissenschaftlichen Community in den Sozialen Medien und anderenorts artikuliert wurde. Selbst HRK-Präsident Walter Rosenthal bezog von institutioneller Seite eindeutig Stellung:
„Ich finde die Äußerungen [Philippis] sehr bedenklich. Das darf einfach nicht sein.“
Dennoch ist es erschreckend, dass die Wissenschaftsorganisationen sich in der Breite keineswegs mit der Vehemenz gegen die Geschehnisse im BMBF positionieren, wie es angesichts dessen, was hier auf dem Spiel steht, angemessen wäre. Es wird höchste Zeit, dass die Wissenschaftsorganisationen insgesamt sicht- und hörbar Farbe bekennen: Halten sie trotz der alarmierenden Chatbeiträge weiterhin daran fest, opportunistisch die Ministerin und ihre Gefolgsleute zu unterstützen, wie es der FAZ-Artikel von Patrick Bahners dokumentiert hat? Oder erinnern sie sich endlich daran, dass sie die Interessen der Wissenschaft zu vertreten haben — wozu im Kern gehört, die Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen?
Gerade jetzt brauchen demokratische Strukturen Schutz
Es ist schlimm, wenn Demokratiefeinde sich von außen daran machen, unsere demokratischen Strukturen zu zerstören. Aber es ist nicht weniger schlimm, wenn diese Strukturen von innen heraus demontiert werden. Genau das passiert aktuell durch die genannten Ereignisse, aber auch — wie Jan-Martin Wiarda überzeugend argumentiert hat — durch die vollkommen verkorkste Informationspolitik des BMBF. Denn dort weigert man sich, zur Aufklärung der Sachlage essentielle Chatnachrichten herauszugeben mit dem Argument, ein derartiger Kommunikationskanal mache alles darüber Ausgetauschte automatisch zur privater Kommunikation. Wiarda schreibt dazu treffend:
„Was in nüchternem Beamtendeutsch daherkommt, ist allerdings aus demokratietheoretischer Sicht hochproblematisch und gefährlich — bedeutet es doch, dass Ministerien, die so vorgehen, den tatsächlichen Weg jeder Entscheidungsfindung und der damit zusammenhängenden Verantwortlichkeiten fast beliebig verschleiern könnten. Weil sie alle Kommunikation, die sie geheimhalten wollten, einfach in vermeintlich private Chatnachrichten verlegen könnten. Und dabei selbst entscheiden würden, was privat ist und was nicht.“
Wenn derartige Transparenzverweigerung zum Vorbild wird und man damit immer wieder durchkommt, sieht es schlecht aus für unsere Demokratie, denn ihre Kontrollmechanismen werden außer Kraft gesetzt. Ich mag mir grundsätzlich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn in diesem Land Demokratiefeinde durch eine Regierungsbeteiligung an Macht gewinnen sollten. Dass aber demokratische Parteien mit Regierungsverantwortung der Abschaffung zentraler Elemente unserer Freiheitlich-demokratischen Grundordnung den Weg ebnen oder sie sogar selbst vorantreiben, ist derartig grauenvoll, dass ich abschließend nur an die Wissenschafts(politik)community appellieren kann: Wenn Ihnen und Euch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit im Speziellen und unsere Freiheitlich-demokratische Grundordnung im Allgemeinen nicht gleichgültig sind, dann sollten Sie und Ihr dafür mit Nachdruck das Wort ergreifen, bevor es zu spät ist.