Wir schreiben ein Jahr in einer nicht allzu fernen Zukunft — vielleicht zehn, vielleicht nur fünf oder gar drei Jahre vom Jetzt entfernt. Das deutsche Wissenschafts- und Bildungssystem befindet sich in einer tiefen Krise, die bereits katastrophale Auswirkungen auf andere gesellschaftliche Bereiche entfaltet hat. In ganz Deutschland fehlen gut ausgebildete akademische Fachkräfte — an den Schulen, in den Krankenhäusern, in Journalismus und Medien, im Kulturbetrieb, im Öffentlichen Dienst, in der Wirtschaft, kurz: an allen Orten, an denen Menschen arbeiten, die ein Studium absolviert haben. Deutschlands mangelhafte Studienbedingungen mit ihren miserablen Betreuungsverhältnissen haben sich längst auch international herumgesprochen: Studierende aus dem Ausland nehmen inzwischen mehr und mehr Abstand davon, für ein Studium nach Deutschland zu kommen — das zahlt zusätzlich auf den Fachkräftemangel ein, denn wer nicht hier studiert, wird auch nicht bleiben. Zugleich hat die deutsche Wissenschaft im internationalen Vergleich massiv an Konkurrenzfähigkeit eingebüßt. Hochschulen und Forschungseinrichtungen suchen händeringend nach Personal, um wichtige Forschungsvorhaben umzusetzen — und bleiben dabei immer häufiger erfolglos. Es sieht schlecht aus für die Bewältigung aktueller und zukünftiger Krisen, für die wir auf eine starke Wissenschaft angewiesen sind.
Flächenbrand statt Nischenthema
In diesem Jahr, in der nicht allzu fernen Zukunft, denkt eine hier nicht näher bezeichnete Person, die in der früheren Ampel-Regierung wissenschaftspolitische Verantwortung trug, an den Novellierungsprozess des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes zurück. Ein Prozess, für den die Ampel bereits in ihrem am 24. November 2021 veröffentlichten Koalitionsvertrag klare Versprechen gegeben hatte:
„Gute Wissenschaft braucht verlässliche Arbeitsbedingungen. Deswegen wollen wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf Basis der Evaluation reformieren. Dabei wollen wir die Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Postdoc-Phase deutlich erhöhen […].“
Es war ein Prozess, der vor allem eines war: unglaublich zäh. Das im März 2023 veröffentlichte Eckpunktepapier hatte einigen Gegenwind aus der wissenschaftlichen Community hervorgerufen — etwas, das unsere ehemals wissenschaftspolitisch verantwortliche Person zu jener Zeit als äußerst anstrengend empfunden hatte, von dem sie aber heute rückblickend mit etwas Abstand fand, dass daraus doch auch einige produktive Diskussionen und Lösungsvorschläge erwachsen waren. Anschließend jedoch passierte über Monate: nichts. Damals konnte man sich als Wissenschaftspolitiker_in der Bundesregierung sagen, dass man bereits viel getan habe für diese Gesetzesreform, dass die Einigungsprozesse in der Regierung auch in anderen Bereichen hakten und dass es am Ende vielleicht halb so wild wäre, wenn die Reform scheitern sollte. Denn war Wissenschaft nicht letztlich doch nur ein Nischenthema? Wären da nicht die lauten #IchBinHanna-Aktivist_innen gewesen, die das Thema immer wieder auf die mediale Agenda brachten (auch das fand unser_e Wissenschaftspolitiker_in mitunter ziemlich anstrengend), dann hätte sich darum doch eh niemand geschert. Für die Anerkennung der eigenen politischen Arbeit, sei es der Partei oder der einzelnen Politiker_innen, und damit auch für den Wahlkampf war das Thema doch ohnehin allenfalls zweitrangig.
Ein fataler Irrtum, wie unser_e Wissenschaftspolitiker_in inzwischen weiß. Denn einiges war bei dieser Fehleinschätzung aus dem Blick geraten. Dass zum Beispiel nicht nur die Studierenden sich über die kolossal verschlechterten Studienbedingungen ärgern würden, die mit der versäumten WissZeitVG-Reform einhergingen — sondern auch deren Eltern und Großeltern und damit eine ganze Menge wahlberechtigter Personen. Dass auch diejenigen, die im Beruf oder im Alltag mit akademischen Fachkräften zu tun hatten oder sogar auf deren Arbeit angewiesen waren, immer ungehaltener darüber wurden, dass es von diesen Fachkräften einerseits deutlich zu wenige gab und die vorhandenen andererseits sehr viel schlechter ausgebildet waren als erforderlich. Die unterbesetzten Hochschulen konnten nicht im Ansatz die Bedingungen liefern, die es für eine optimale Ausbildung ihrer Studierenden gebraucht hätte. Das Resultat war eine Erosion zahlreicher gesellschaftlicher Bereiche, die in der Gesellschaft zunehmend für Frustration sorgte. Und weil die lauten #IchBinHanna-Aktivist_innen nicht müde wurden, die Verantwortlichen für diese Misere klar zu benennen, war auch bekannt, wie es dazu kommen konnte.
Keine Forschung ohne Forscher_innen
Aber es waren nicht bloß die Auswirkungen der gescheiterten WissZeitVG-Reform auf Studium und Bildung, die auf fatale Weise nachwirkten. Die mangelnde Wertschätzung wissenschaftlicher Arbeit, die in der gescheiterten Reform zum Ausdruck kam, hatte sich herumgesprochen. Wissenschaft als Beruf war in Deutschland äußerst unattraktiv — das war inzwischen allgemein bekannt unter all denen, die diesen Beruf in Betracht zogen. Es handelte sich um einen Beruf, der mit extrem viel Arbeit verbunden war. Das war zwar nicht neu, aber je mehr Leute sich davon abschrecken ließen, desto mehr Arbeit wurde es für die, die überhaupt noch im System blieben oder dort einstiegen — durch den Fachkräftemangel an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen war die Zahl der Überstunden regelrecht explodiert. Zugleich war durch die missglückte Reform ein wesentliches Problem des deutschen Wissenschaftssystems nicht ausgebessert worden, und das fiel Deutschland jetzt mit Wucht auf die Füße: Wer in der deutschen Wissenschaft arbeitete, musste Jahre bis Jahrzehnte der beruflichen Unsicherheit aushalten, und für die allermeisten gab es dort anschließend keine dauerhafte Perspektive. Wie schon die internationalen Studierenden hatten auch internationale Forschende zunehmend kein Interesse mehr, unter solchen Bedingungen zu arbeiten. Wer forschen wollte, tat das lieber im Ausland oder in der freien Wirtschaft. Die sogenannten „besten Köpfe“ konnten angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen im deutschen Wissenschaftssystem nur müde lächeln, bevor sie sich aussichtsreicheren Berufsfeldern zuwandten. Die Folge: die deutsche Wissenschaft wurde zunehmend abgehängt. Und das hatte einen hohen Preis. Unser_e Wissenschaftspolitiker_in nahm mit Schrecken die Hilferufe der wissenschaftlichen Arbeitgeber zur Kenntnis — bereits im Jahr 2023 hatte nur noch ein Fünftel der Hochschulen angegeben, mit der Personal- und Rekrutierungssituation zufrieden zu sein. Im Vergleich zum Status quo erschien das schon fast wie ein luxuriöser Zustand.
All das, so musste sich unser_e Wissenschaftspolitiker_in eingestehen, wäre vermeidbar gewesen — mit einer WissZeitVG-Reform, die die über Monate auf dem Tisch liegenden tragfähigen Lösungsvorschläge einfach umgesetzt hätte: eine Anschlusszusage nach maximal zwei Jahren — und eine Befristungshöchstquote. Ein Gesetz mit diesen beiden Instrumenten hätte nicht nur die Beschäftigungsbedingungen in der deutschen Wissenschaft enorm verbessert. Es hätte auch eine starke Signalwirkung gehabt, die aktuelle und potenzielle zukünftige Beschäftigte deutlich vernommen hätten: Eine entsprechende WissZeitVG-Reform hätte klar gezeigt, dass wissenschaftliche Arbeit, sei es in der Lehre oder in der Forschung, den beteiligten Politiker_innen sehr wohl etwas wert ist. Leider ist einigen dieser Beteiligten angesichts der desaströsen Entwicklungen durch die versäumte Reform zu spät erst wirklich klar geworden, dass der Wert dieser Arbeit für unsere Gesellschaft (und damit auch die Rolle der Unterstützung guter Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft für die Anerkennung der eigenen politischen Arbeit) kaum überschätzt werden kann.
Zurückspulen auf 2024: Es ist noch nicht zu spät
Klar ist: Das soeben beschriebene Szenario könnte durchaus eintreten — muss es aber nicht. An das Ende eines zähen Reformprozesses kann die Ampel-Regierung jetzt durchaus ein verbessertes neues WissZeitVG setzen, das ein echtes Argument dafür darstellt, in Deutschland Wissenschaft als Beruf zu wählen und weiter auszuüben — und nicht, wie das gegenwärtige Gesetz, ein starkes Argument dagegen. In seinem Update zum WissZeitVG-Reformprozess schrieb Jan-Martin Wiarda in der vergangenen Woche, dass der Referentenentwurf nun ohne eine Einigung im Hinblick auf die beiden vom Bundesarbeitsministerium und vom Bundeswirtschaftsministerium eingebrachten Leitungsvorbehalte ins Parlament gehen könnte. Jan-Martin Wiarda schließt sein Update mit den beiden folgenden Sätzen: „Im dritten Versuch, im Parlament, müsste sich die Ampel auf eine gemeinsame Position einigen. Sonst wird es in dieser Legislaturperiode keine Reform des WissZeitVG mehr geben.“ Warum eine solche Nicht-Einigung keine Option ist — und warum die involvierten Mitglieder der Ampel-Regierung gut daran täten, jetzt alles zu tun, damit es doch noch zu einer Reform kommt, die ihren Namen verdient —, zeigt das oben beschriebene Szenario. Denn selbst, wenn es nicht ganz so oder in abgemilderter Form einträte: Der Schaden, den Deutschland durch eine verkorkste WissZeitVG-Reform nehmen würde, wäre so oder so beachtlich. In Zeiten des Fachkräftemangels können wir uns die deutsche Wissenschaft als unattraktives Berufsfeld nicht leisten, im Gegenteil: Es braucht nun echte Bemühungen, den Wissenschaftsstandort Deutschland zu retten, mit einem tragfähigen gesetzlichen Rahmen, der die gegenwärtig prekären endlich durch faire Beschäftigungsbedingungen ersetzt. Und dabei habe ich die Risiken eines geschwächten Wissenschaftssystems in Zeiten der Bedrohung unserer Demokratie sogar noch außer Acht gelassen. Noch ist es nicht zu spät, die Weichen neu zu stellen für ein starkes deutsches Wissenschaftssystem. Liebes BMBF, liebe Ampel: Seht zu, dass Ihr das jetzt hinbekommt, indem Ihr mit einer sachgerechten WissZeitVG-Reform die Zukunft unserer Wissenschaft — und damit auch die Zukunft Deutschlands — nachhaltig krisenfest gestaltet.