Berufungsfähigkeit im Trojanischen Pferd
Warum Professuren und unbefristete Stellen neben ihnen einer klaren Differenzierung bedürfen
In unserer vom BMBF erbetenen, gestern veröffentlichen Stellungnahme zum WissZeitVG-Referentenentwurf benennen Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon und ich eine Reihe von Problemen, die das im Entwurf vorgeschlagene 4+2-Modell für die Postdoc-Phase mit sich bringt — darunter den fortgeführten Mangel an Planbarkeit und Verbindlichkeit, die mangelnde wissenschaftliche Ausgestaltbarkeit des Modells sowie die negativen Folgen für Diversität (zu diesen drei Problemen habe ich im Newsletter bereits hier ausführlich Stellung genommen).
Ein weiteres Problem, das wir benennen, zieht sich schon lange durch die gesamte Debatte und bedarf dringend einer Lösung, damit die WissZeitVG-Reform nicht die bestehenden kontraproduktiven Anforderungen an Postdocs zementiert, statt sie endlich aufzubrechen. Gemeint ist die Vermischung der Voraussetzungen für das Erlangen unbefristeter wissenschaftlicher Stellen und der Berufungsfähigkeit für Professuren. In unserer Stellungnahme halten wir dazu Folgendes fest:
„Da Postdocs mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Praxis nicht damit rechnen können, nach den vier Jahren tatsächlich eine Stelle mit Anschlusszusage zu erhalten, steigt der Druck, innerhalb dieser vier Jahre möglichst so gut aufgestellt zu sein, dass a) die Chance auf eine Stelle mit Anschlusszusage überhaupt besteht, b) die Kriterien für eine Berufung auf eine (Tenure-Track)-Professur erfüllt sind und überdies c) erfolgreich Drittmittel für die eigene mittelfristige Weiterbeschäftigung eingeworben werden können. Obwohl Koalitionsvertrag und Referentenentwurf auf eine Schaffung unbefristeter Stellen neben der Professur zielen, für die Berufungsfähigkeit keine Voraussetzung ist, wird diese in der Praxis zur erwarteten Anforderung werden, da die Beschäftigten sich nicht darauf verlassen können, dass ein Karriereweg auf eine entsprechende Stelle für sie möglich sein wird.“ (S. 3)
Angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit, überhaupt eine Stelle mit Anschlusszusage zu erhalten, droht der Referentenentwurf mit dem 4+2-Modell Berufungsfähigkeit also gleich einem Trojanischen Pferd indirekt erneut als gererelle Anforderung an Postdocs einzuführen: Postdocs könnten es sich in dieser weiterhin äußerst unsicheren Situation gar nicht leisten, einen Mangel an Berufungsfähigkeit zu riskieren, und müssten deshalb weiterhin darauf setzen. Damit wäre die Chance verschenkt, der bisherigen, typisch deutschen Fokussierung auf die Professur mitsamt sämtlicher Fehlanreize und Folgeprobleme endlich zugunsten sinnvoller zusätzlicher Personalkategorien mit sachgerechten Anforderungsprofilen ein Ende zu machen.
Fixierung auf die Professur: Wenn das Pferd tot ist, sollte man absteigen
Eine wesentliche Pointe der #IchBinHanna-Debatte ist, dass es wenig Sinn hat, reihenweise Wissenschaftler_innen der Berufungsfähigkeit hinterherjagen zu lassen, obwohl die Zahl der Professuren, für die diese Berufungsfähigkeit vorausgesetzt ist, in einem eklatanten Missverhältnis zu den in der Folge überaus zahlreichen berufungsfähigen Personen steht. Bis 2030 werden pro Jahr im Schnitt 1.740 Professuren frei, auf die jedes Jahr 12.000 neue Postdocs kommen. 85% der Postdocs werden also in Deutschland keine Professur erhalten. Es erscheint nicht sinnvoll, dass all diese Personen auch zukünftig dennoch auf Berufungsfähigkeit setzen müssen, weil ohne Erfüllung dieser Voraussetzung die Unsicherheit über den dauerhaften Verbleib im Wissenschaftssystem ein gänzlich unzumutbares Ausmaß erlangt.
Wird die Berufungsfähigkeit im neuen WissZeitVG nun durch die Hintertür als weiterhin für alle Postdocs implizit vorausgesetzte Anforderung erneut eingeführt, wird es weiterhin in jeder Generation mehrere hundert über- und fehlqualifizierte Wissenschaftler_innen geben. Das ist sowohl für die Beschäftigten als auch für das System äußerst kontraproduktiv und deshalb nicht vertretbar.
Pferde wechseln auf dem wissenschaftlichen Weg: Durchlässigkeit und Aufstiegschancen
Aus diesem Grund braucht es frühe Anschlusszusagen nach spätestens zwei Jahren, die von wissenschaftlichen Arbeitgebern in der Praxis auch wirklich angeboten werden (das Instrument der Befristungshöchstquote kann zusätzlich dafür Sorge tragen, dass es dazu kommt). Im Rahmen dieser Anschlusszusagen müssen verbindliche Anforderungen für das Erlangen unbefristeter Stellen neben der Professur definiert werden, die nicht einfach mit denen für die Professur zusammenfallen, sondern den Profilen der jeweiligen Stellen angemessen sind. Wie genau die Profile dieser Stellen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Fächerkulturen im Einzelnen ausgestaltet werden sollten, muss Gegenstand der weiteren Debatte sein. Fest steht aber, dass eine Durchlässigkeit hin zur Professur gewährleistet sein sollte. Das heißt u.a., dass Forschung und Lehre auf diesen Stellen in angemessenem Umfang miteinander kombiniert werden sollten (Hochdeputat ist zu vermeiden), um einen Aufstieg auf eine Professur zu ermöglichen, und dass auch diese Stellen wissenschaftlich unabhängig sein müssen.
So sind gleich zwei Probleme des Referentenentwurfs ausgeräumt: die Fortsetzung der nicht zielführenden Praxis, alle Postdocs mit der Berufungsfähigkeit auf dasselbe Pferd setzen zu lassen, obwohl das Rennen für die allermeisten ohne Professur enden wird — und die ansonsten verschenkte Chance, endlich leistungsfähige wissenschaftliche Stellenprofile neben der Professur zu entwickeln und zu etablieren.