Die Zahl meiner Texte darüber, warum es dringend eine tragfähige WissZeitVG-Reform braucht, droht inzwischen die Zahl befristeter Arbeitsverträge zu überschreiten, die Wissenschaftler_innen in Deutschland im Laufe ihrer sogenannten wissenschaftlichen Karriere durchschnittlich erhalten. Und das will was heißen! Dies wird deshalb nicht noch ein Text darüber, warum die deutsche Wissenschaft verdammt alt aussähe, sollte eine solche Reform nicht gelingen. Es wird ein anderer Text. Ein Text über den Mut zum Gestalten. Darüber, dass gute Politik unsere Welt besser machen kann, jedenfalls ein bisschen, und manchmal sogar ein bisschen mehr. Und dass sie es bisweilen auch muss, wenn Menschen das Vertrauen in sie nicht verlieren sollen. Es wird ein Text, der anerkennt, dass der hinter uns liegende Weg auch für die politischen Protagonist_innen, die auf ihm unterwegs waren und sind, nicht immer einfach war — und dass es trotzdem nicht zu spät ist, auf der Zielgeraden gemeinsam in die richtige Richtung zu laufen.
Eine gute WissZeitVG-Reform hat viele Gewinner_innen
Viel wurde darüber geschrieben, was Deutschland als Wissenschaftsstandort verlieren wird, wenn die von der Ampel-Regierung versprochene WissZeitVG-Reform zur Verbesserung der Karrierewege scheitert — von mir und vielen anderen. Heute möchte ich den Fokus auf etwas anderes lenken: auf die Frage, was es zu gewinnen gibt, wenn diese Reform im Zuge des parlamentarischen Verfahrens doch noch gelingt. Die Antwort lautet: ein zukunftsfähiges Wissenschaftssystem, das auch in Zeiten des Fachkräftemangels ein so attraktives Arbeitsumfeld ist, dass sich dafür ausreichend viele richtig gute Leute gewinnen lassen. Leute mit vielfältigen Profilen, Hintergründen und Lebensrealitäten, die dann nicht mehr von Zukunftsängsten und Existenzsorgen geplagt werden, sondern sich voll auf ihre Arbeit konzentrieren können. Die damit zugleich die deutsche Wissenschaft durch Diversität bereichern.
Ein gut reformiertes WissZeitVG sorgt dafür, dass die Expertise, die Wissenschaftler_innen mithilfe öffentlicher Finanzierung auf- und ausbauen konnten, der Gesellschaft langfristig zugute kommt. Dass diese Leute einfach einen guten Job machen können in Forschung und Lehre, statt sich ständig zu verbiegen und alle möglichen Fehlanreize des Systems zu bedienen (publish or perish usw.). Tickt nicht mehr ständig die Befristungsuhr und hängt das Damoklesschwert Karriereende nicht mehr über ihnen, können Wissenschaftler_innen ihre Einsichten und Forschungsergebnisse im Interesse des Gemeinwohls auch beherzt öffentlich und öffentlichkeitswirksam kommunizieren, ohne fürchten zu müssen, dass das ihrer Karriere Schaden zufügen könnte. Und nicht zuletzt: Eine gute WissZeitVG-Reform stellt sicher, dass Wissenschaftler_innen aller Karrierestufen sich trauen können, aktiv mitzuarbeiten bei der Bewältigung der Mammutaufgabe, unsere Demokratie zu retten. Unsichere Beschäftigungsverhältnisse machen die, die drinstecken, zusätzlich (und unnötig) angreifbar — und erschweren es daher, den Mut aufzubringen, den es für den Schutz unserer Demokratie dringend braucht.
Eine tragfähige WissZeitVG-Reform würde das deutsche Wissenschaftssystem sehr, sehr viel besser machen. Zunächst einmal für die, die darin arbeiten: So eine Reform hätte zahlreiche positive Auswirkungen auf das Leben derer, die Wissenschaft treiben, aber auch auf das Leben ihrer Angehörigen. Ein gutes neues WissZeitVG könnte die Art, wie Studierende betreut und unterrichtet werden, im besten Sinne revolutionieren: Lehrende, die nicht mehr um die eigene Zukunft bangen müssten, gewännen eine Menge Zeit und Energie, um Studierende bestmöglich zu unterstützen. Das käme auch der Bewältigung des Fachkräftemangels enorm zugute (— zur Erinnerung: die Ausbildung akademischer Fachkräfte leidet bislang ebenfalls unter den prekären Arbeitsbedingungen zahlreicher Lehrender, die immer wieder gezwungen sind, Bewerbungen und Anträge gegenüber der Lehre zu priorisieren, um ihren Lebensunterhalt mittelfristig zu sichern).
Aber eine tragfähige WissZeitVG-Reform wäre noch viel mehr als das. Sie wäre eine Erfolgsgeschichte, die denen, die dieser Tage mit Irritation und Verdruss auf die deutsche Wissenschaftspolitik blicken, wieder Hoffnung und Vertrauen in politische Arbeit schenken würde. Eine gelungene WissZeitVG-Reform wäre ein eindrückliches Beispiel dafür, wie sich mit Politik Missstände effektiv beheben lassen. Wie politische Arbeit einen Unterschied zum Guten machen kann — auch und vor allem, wenn alle Beteiligten dranbleiben und an das Gelingen glauben, selbst wenn die Prozesse zäh und bisweilen zermürbend sein mögen.
Die WissZeitVG-Reform ist ein Marathon, kein Sprint – aber das Ziel ist in Sicht, wir müssen jetzt nur gemeinsam in die richtige Richtung laufen
Wäre ich in der Politik, ich wäre es vor allem aus einem Grund: Weil ich die Hoffnung hätte, einen Beitrag zu leisten zur Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. So, dass sie gerechter werden. Dass sie Werten wie guter Bildung sowie guten Arbeits- und Lebensbedingungen so nahe kommen wie nur möglich. Nun hat die Arbeit in der Politik mit der Arbeit in der Wissenschaft gemein, dass beide Berufsfelder von denen, die sie leisten, unerbittlich alles abverlangen. Wir haben viele Politiker_innen, die an der WissZeitVG-Reform beteiligt waren und sind, in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert, weil der Prozess in die falsche Richtung lief, weil er zäh war und mitunter stillzustehen schien. Ich bin der Überzeugung, dass diese Kritik durchaus berechtigt war. Gleichzeitig möchte ich anerkennen, dass diese Reform auch für die Beteiligten aus der Politik ein Kraftakt war und ist. Ich habe durchaus großen Respekt vor allen, die trotz alledem weiter für die Sache streiten. Die sich unermüdlich engagieren. Die um gute Lösungen ringen. Es wäre bitter, mündete dieses Engagement am Ende in eine Reform, die die Arbeitsbedingungen nicht verbesserte — die 4+2-Regelung wäre eine solche Nicht-Verbesserung. (Warum das mitnichten heißt, zu den 6 Jahren zurückzukehren, habe ich auch schon einmal aufgeschrieben, nämlich hier, und Kristin Eichhorn hat dazu jüngst ebenfalls etwas geschrieben.) Aber es ist noch nicht zu spät, das Ruder herumzureißen. Geeignete Instrumente dafür liegen auf dem Tisch: die Anschlusszusage nach zwei Jahren und die Befristungshöchstquote. (Auch die Aufhebung der Tarifsperre, die zuletzt u.a. Carolin Wagner von der SPD erneut ins Spiel gebracht hat, kann sich positiv auswirken — das aber nur in einer umfassenden Variante ohne Einschränkungen, damit die Aspekte, zu denen Tarifverhandlungen einen echten Unterschied machen könnten, nicht von vornherein ausgeschlossen werden.)
Ich wünsche allen Politiker_innen, die in den kommenden Monaten am parlamentarischen Verfahren zur WissZeitVG-Novellierung beteiligt sein werden, den Mut, die Chance zu nutzen und das deutsche Wissenschaftssystem mithilfe einer starken WissZeitVG-Reform in ein neues Zeitalter zu heben. Denn nicht weniger kann diese Reform leisten: Als Bundesgesetz, das für das Arbeitsrecht in der Wissenschaft eine absolut zentrale Rolle spielt, kann es deutschlandweit die Weichen stellen hin zu einem umfassenden Kulturwandel, mit fairen Arbeitsbedingungen, flacheren Hierarchien (und damit auch mit weniger Potenzial für Machtmissbrauch) und den Voraussetzungen für richtig gute Forschung und Lehre, die unserer Gesellschaft in vielerlei Hinsicht zugute kämen. Und an alle aus der Wissenschaftscommunity, die sich wie ich heute noch einmal durchringen zu Zuversicht und Hoffnung (— dass man sich Hoffnung manchmal machen muss, also sich aktiv dazu entscheiden und daran arbeiten, davon hat mich spätestens Till Raether mit seinem wunderbaren Buch überzeugt): Schreibt Euren Abgeordneten von dieser Hoffnung. Schreibt ihnen, warum es jetzt so wichtig ist, die Versprechen zur WissZeitVG-Reform zu halten. Tragt diese Gedanken in die Sozialen Medien unter dem Hashtag #WissZeitVGVersprechenHalten — am morgigen Mittwoch, wenn das WissZeitVG in die erste Lesung geht, und auch darüber hinaus.
Einmal noch sollten wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die Früchte der jahrelangen #IchBinHanna-Debatte zu ernten. Denn es lohnt sich. Für uns. Für zukünftige Wissenschaftler_innen. Für Studierende von heute und von morgen. Für die Wissenschaft. Für die Gesellschaft. Und nicht zuletzt für die Politik, die hier einmal zeigen kann, dass sie durchaus imstande ist, die Welt zum Guten zu verändern. Liebe alle: Lassen wir diese Chance nicht ungenutzt!