4+2 oder zurück zu 6? Weder noch!
Was am 10. Juni 2021 mit unserer Initiative #IchBinHanna begann, ist eine bis heute anhaltende Welle der Kritik an der sechsjährigen Postdoc-Befristung im Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Eine Kritik mit enormer medialer und politischer Resonanz, die die Debatte um Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft grundlegend verändert hat. Seitdem haben sehr viele Menschen und Institutionen extrem viel Zeit, Energie und Nerven aufgewendet, um die Sechs-Jahres-Regelung für Postdocs zu kritisieren.
Und was macht die FDP, die das BMBF leitet, dessen Verantwortung es gewesen wäre, die vielkritisierte Problematik auszuräumen? Sie schlägt am Pfingstwochenende 2024 vor, es beim Status quo der sechs Jahre zu belassen. Nach 1077 Tagen #IchBinHanna-Debatte, 79 Stellungnahmen zum Referentenentwurf, zahlreichen Gesprächen, offiziell und im Hintergrund, unzähligen Social-Media-Posts und Beiträgen in allen möglichen Medien, in denen genau diese Sechs-Jahres-Regelung als unzureichend und schädlich für Beschäftigte und Wissenschaft kritisiert wurde.
Klar ist: Vier plus zwei Jahre sind für Postdocs keine gute Lösung. Klar ist aber auch: Sechs Jahre, wie aktuell, sind es ebenfalls nicht. Es hat deshalb schlicht und ergreifend keinen Sinn, zu fragen, was besser wäre: Beides ist schlecht. Kristin Eichhorn fand gestern auf Bluesky einen treffenden Vergleich dazu:
4+2 vs. 6: Ein falsches Dilemma
Wer sich überhaupt auf die Frage einlässt, ob vier plus zwei oder sechs Jahre besser seien, akzeptiert ohne Not ein falsches Dilemma zwischen zwei schädlichen Optionen und zementiert damit — sofern das Votum dabei für sechs Jahre ausfällt — auch noch den Status quo, der #IchBinHanna überhaupt erst auf den Plan gerufen hat. Zugleich kommt die FDP erneut mit ihrer Blockadehaltung durch.
Besser als das linke oder das rechte Bein gebrochen zu bekommen ist aber offenkundig, überhaupt kein Bein gebrochen zu bekommen. Und besser als vier plus zwei oder sechs Jahre ist eine Regelung, die die Situation der Postdocs tatsächlich verbessert. Und das geht auch, denn wir wissen alle, dass die Varianten vier plus zwei und sechs nicht die einzigen möglichen Alternativen sind. Da gibt es das 2+4-Modell, das den ständigen Personalaustausch für die Institutionen deutlich unattraktiver machen würde — das gilt einmal mehr angesichts des bereits virulenten Fachkräftemangels: Erfolgte nach zwei Jahren keine Anschlusszusage, würde damit auch für die Beschäftigten Wissenschaft als Beruf nach der Promotion in Deutschland noch sehr viel unattraktiver als jetzt schon. Zudem liegen noch weitere Instrumente und Maßnahmen auf dem Tisch, die sich eignen, die Situation der Postdocs zu verbessern — darunter eine Befristungshöchstquote, die die aus dem Ruder gelaufene Befristung von Postdocs effektiv eindämmt, indem sie Arbeitgebern für die Zahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse eine Obergrenze setzt. Hinzu kommt die Maßnahme der Tariföffnung, die auch Gegenstand des Leitungsvorbehalts von Bundesarbeitsminister Heil war (dazu gleich mehr).
Blockademeister FDP
Was wir nicht vergessen sollten: Sowohl der Vorschlag vier plus zwei als auch der, bei sechs zu bleiben, sind das Produkt der Blockadehaltung der FDP, die die klugen und sachgerechten Vorstöße von SPD und Grünen immer wieder systematisch ausgebremst hat. SPD und Grüne haben den Referentenentwurf des BMBF mit der 4+2-Regelung für Postdocs explizit nicht mitgetragen und damit ein klares Signal gesendet, dass ihnen die Beschäftigungsbedingungen der Postdocs in der deutschen Wissenschaft am Herzen liegen.
Es gab gegen den Referentenentwurf überdies zwei Leitungsvorbehalte, aus dem Bundesarbeitsministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium. Die FDP hat sich auch diesbezüglich stur gestellt. Aber: Das Bundeskabinett hat den Referentenentwurf nicht einfach so ins parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gegeben. Der Entwurf ist vielmehr mit einem Zuleitungsschreiben versehen, der deutlich macht, dass das, was strittig ist, nicht einfach ausgeblendet werden darf, sondern weiter Bestand hat — und im parlamentarischen Verfahren noch zu klären ist. Bei Jan-Martin Wiarda ist nachzulesen, wie genau:
„Im weiteren Gesetzgebungsverfahren solle eine Erweiterung der Tarifklausel im WissZeitVG in der Postdoc-Phase geprüft werden, und zwar um die Aspekte Höchstbefristungsdauer und Zeitpunkt der Anschlusszusage.“
Es ist insofern auch grenzwertig, dass das BMBF auf X so getan hat, als sei die Sache bereits gelaufen — dem parlamentarischen Verfahren lässt sich nicht vorgreifen, und das ist auch gut so.
Die SPD scheint stabil zu bleiben — aber was ist mit den Grünen?
Wer die Debatte um das WissZeitVG verfolgt hat, wird von der reaktionären Haltung der FDP wenig überrascht sein. Sehr erfreulich ist hingegen, dass Carolin Wagner von der SPD dabei bleibt, sich im Sinne von #IchBinHanna zu äußern, wie im aktuellen Beitrag von Jan-Martin Wiarda nachzulesen ist. Weniger erfreulich ist jedoch die Veränderung, die sich bei den Grünen andeutet: Wiarda interpretiert das Statement von Laura Kraft zur aktuellen Entwicklung als Tendenz zu einer längeren Befristung als der von vier Jahren. In seinem Blogbeitrag vom 10. April 2024 zitierte er Kraft dagegen noch wie folgt:
“Von einer Einigung kann aber noch keine Rede sein! Im parlamentarischen Verfahren muss insbesondere die Postdoc-Phase unter anderem in Bezug auf die Tarifsperre und die Höchstbefristungsdauer dringend überarbeitet werden.” Als Abgeordnete werde sie sich im Parlament dafür einsetzen.
Es ist zu hoffen (auch im Interesse ihrer eigenen Glaubwürdigkeit als Politikerin), dass Laura Kraft das tut, was sie im April 2024 versprochen hat — und damit auch ihre Partei angemessen vertritt, die sich schließlich immer wieder für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen stark gemacht hat. Dass eine Rückkehr zu den sechs Jahren keine solche Verbesserung darstellt, dürfte auf der Hand liegen, denn es war schließlich erst diese fehlgeleitete Regelung, die die ganze Debatte überhaupt provoziert hat.
Kein Applaus für Komplettversagen
Die Bluesky-Posts von Philipp Krämer und Philipp Stehr bringen wunderbar auf den Punkt, wie die FDP versucht, aus ihrem Komplettversagen in der Sache auch noch Profit zu schlagen:
Wer jetzt darauf hofft, dass wir der FDP dafür applaudieren, von ihrem unzulänglichen 4+2-Vorschlag zum unzulänglichen Status quo der sechs Jahre zurückkehren zu wollen, hofft vergeblich. Wenn die FDP den Wissenschaftsstandort Deutschland an die Wand fahren möchte — sei es mit vier plus zwei oder sechs Jahren Postdoc-Befristung —, dann wird sie das ohne unseren Beifall tun müssen. Die FDP mit ihrer Arbeitsverweigerung durchkommen zu lassen hieße nicht zuletzt, dass das WissZeitVG sich erst einmal längerfristig politisch erledigt hätte. Dafür haben wir nicht gemeinsam mit so vielen anderen Personen und Institutionen so viel investiert, um die Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft zu verbessern!
Es ist nun an SPD und Grünen, zu ihrem Wort zu stehen — und sich gegenüber der renitenten FDP endlich mit ihren konstruktiven Vorschlägen durchzusetzen. Im Interesse von #IchBinHanna — und dem Wissenschaftsstandort Deutschland, der anderenfalls immer größere Schwierigkeiten haben wird, überhaupt noch qualifiziertes Personal zu finden.