Erfolgsgeschichte, zu Ende erzählt? Die Juniorprofessur mit Tenure-Track
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse mit Kettenverträgen und ohne verbindliche Perspektiven auf eine unbefristete Stelle: Seit Beginn von #IchBinHanna wird dieser Missstand allerorten intensiv diskutiert, und mit ihm die Frage, was alledem Abhilfe schaffen könnte — zugunsten der Beschäftigten, aber nicht weniger auch zugunsten der Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen, der Studierenden und letztlich der Wissenschaft selbst. Denn es besteht (nicht zuletzt dank unserer Initiative) inzwischen weitgehend Einigkeit darüber, dass die aktuellen Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft allen Genannten schaden. Diese Diagnose war auch immer wieder Thema bei der Tenure-Track-Tagung 2025, die vergangene Woche in Berlin stattfand. Unter der Überschrift „Das Tenure-Track-Prinzip: Karrierewege und Kulturwandel im deutschen Wissenschaftssystem“ kamen hier Expert_innen aus diversen Bereichen zusammen, um darüber zu diskutieren, wie sich Personalstrukturen in der deutschen Wissenschaft sachgerecht umgestalten lassen. Ich war mit dabei und habe gleich auf zwei Podien mitdiskutiert — direkt im ersten habe ich nach einer eingehenden Würdigung der Erfolgsgeschichte des Tenure-Tracks (TT) kurzerhand vorgeschlagen, ihn abzuschaffen. Aber keine Sorge: Damit meine ich weniger das TT-Prinzip an sich, das — erfreulicherweise! — bei der Tagung immer wieder auch im Hinblick auf unbefristete Stellen neben der Professur diskutiert wurde. Worum es mir tatsächlich geht, ist das strukturelle Chaos der deutschen akademischen Personalstruktur, in das sich die Juniorprofessur mit TT als eines von vielen Elementen eher schlecht als recht einfügt. Was es stattdessen bräuchte, wäre eine grundlegende Neustrukturierung dieser Personalstruktur. Wie genau die aussehen könnte, möchte ich im heutigen Newsletter erläutern. Zuvor aber sollten wir uns die Problematik der Karrierewege noch einmal genauer ansehen, inklusive der Frage, wie Juniorprofessuren mit TT in diesem Zusammenhang zu bewerten sind.
Von Sackgassen und Inkongruenzen: Habil, Juniorprofessur mit und ohne TT, Nachwuchsgruppenleitung, erster und zweiter Postdoc usw.
Wer nach der Promotion in der deutschen Wissenschaft weitermachen will, kann dazu eine ganze Reihe von Wegen beschreiten, die sich sowohl hinsichtlich der Stellentypen als auch der Verbindlichkeit unterscheiden. Dabei hat die Juniorprofessur mit TT, die Postdocs früh eine Perspektive bieten soll, unbestreitbare Vorteile: Dazu zählen ihre Unabhängigkeit und die Möglichkeit, nach einer ‚Bewährungsphase‘ durch Erreichen zuvor vereinbarter Kriterien ohne weiteren Ortswechsel auf eine unbefristete Professur übernommen zu werden. So wertvoll dies ohne Frage ist, ergibt sich im aktuellen System jedoch das Problem, dass unbefristete Professuren — die ja in Deutschland weiterhin praktisch die einzige Option sind, langfristig in der Wissenschaft zu arbeiten — keineswegs alle über Juniorprofessuren mit TT vergeben werden. Es gibt nach wie vor W2- und W3-Professuren, deren Besetzung über den klassischen Weg erfolgt und für die dementsprechend Habilitationen oder ihnen äquivalente Leistungen erforderlich sind.
Wir haben mit #IchBinHanna wiederholt darauf hingewiesen, dass das für Postdocs die Konsequenz hat, sich für einen der Wege entscheiden zu müssen und sich mit der Entscheidung zugleich den anderen Weg zu versperren: Wer habilitiert ist, ist für Juniorprofessuren überqualifiziert und formal davon ausgeschlossen, in entsprechenden Besetzungsverfahren Berücksichtigung zu finden. So nachvollziehbar das Loblied auf die Juniorprofessur mit TT einerseits sein mag, so nachteilhaft ist diese Personalkategorie andererseits für hochqualifizierte habilitierte Mitglieder des deutschen Wissenschaftssystems, auf die jede weitere über eine Juniorprofessur mit TT vergebene W2 oder W3 wie eine Bestrafung dafür wirken muss, Zeit, Energie und Nerven in die Habilitation gesteckt zu haben. Ich kenne eine Reihe von Kolleg_innen, die aus strategischen Gründen den Abschluss des Habilitationsverfahrens hinauszögern, um sich nicht selbst für Juniorprofessuren mit TT aus dem Spiel zu nehmen. Und ich kenne auch welche, die es bereuen, sich habilitiert zu haben, weil sich die Stellensuche in manchen Fächern durch einen Aufwuchs an entsprechenden Juniorprofessuren damit äußerst kompliziert gestaltet.
Wer hingegen nicht auf die Habilitation setzt, muss darauf hoffen, dass ausreichend viele Juniorprofessuren mit TT auf W2 oder W3 ausgeschrieben werden, um auch ohne Habilitation die Chance zu haben, hier zum Zug zu kommen. Denn Berufungskommissionen können zwar habilitationsäquivalente Leistungen eigenverantwortlich anerkennen, wenn sie das wollen. Aber für Bewerber_innen ist es ein beachtliches Risiko, darauf zu setzen, denn es ist ein Leichtes, sie aus formalen Gründen frühzeitig auszusortieren, weil die Kommission keinen großen Aufwand treiben muss, um auf eine entsprechende Anerkennung zu verzichten. Diejenigen, die diesen Weg wählen, stehen zudem unter großem Zeitdruck. Denn Juniorprofessuren haben weiterhin das Problem, dass für ihre Besetzung Höchstgrenzen etwa bezüglich der Zeit seit (Beginn der) Promotion gelten, wobei solche Bedingungen je nach Bundesland und dort geltendem Hochschulgesetz sehr unterschiedlich sind. Während man in einem Bundesland akademisch ‚zu alt‘ sein mag, um eine solche Professur zu erhalten, mag es in einem anderen noch nicht zu spät sein — zumal sich das entscheidende Referenzdatum auch nicht immer zweifelsfrei bestimmen lässt, was eine gewisse Willkür zur Folge haben kann. Das macht die Lage für Bewerber_innen undurchsichtig und verengt ihre Möglichkeiten zusätzlich: Sollte dann doch einmal eine inhaltlich passende Juniorprofessur ausgeschrieben sein, nützt das wenig, wenn das Bundesland, in dem sie vergeben wird, dafür Bedingungen vorschreibt, die nicht (mehr) erfüllt werden können. Hier zeigt sich eindrücklich, was passiert, wenn eine eigentlich gute Idee zu einer Umstrukturierung wissenschaftlicher Personalmodelle im Kleinen führt, deren Sekundäreffekte dann jedoch negativ ausfallen.
TT: Ja bitte, aber für unbefristete Stellen neben der Professur — mit Möglichkeit zur Weiterentwicklung!
Was an Juniorprofessuren mit TT im aktuellen Gefüge von Stellenmodellen zu kritisieren ist, muss aber natürlich nicht zurückschlagen auf das TT-Prinzip als solches. Das habe ich dann auf dem Podium auch zur Klarstellung hinterhergeschoben, nachdem ich für eine Abschaffung von TT votiert habe. Was mich auf der Tagung sehr beeindruckt hat, war die geballte Expertise zu TT und diversen verwandten Themen, die weit über die Implementierung des TT-Prinzips im Rahmen von Juniorprofessuren hinausgeht. Instruktiv ist insofern auch die Definition dieses Prinzips durch die Tagungsveranstalter_innen, die sich explizit nicht nur auf Juniorprofessuren fokussiert:
„Unter dem Tenure-Track-Prinzip verstehen wir spezifische Struktur- und Prozessmerkmale der Personalauswahl und -entwicklung, die sich mit der Einführung der Tenure-Track-Professur etabliert und bewährt haben. Wesentliche Merkmale sind dabei:
befristete Stellen, die bei positiver Evaluation nach einer klar definierten Bewährungsphase in unbefristete und zumeist höherwertige Stellen überführt werden
transparente und strukturierte Auswahl- und Besetzungsverfahren in einer frühen Karrierephase unter besonderer Berücksichtigung des zu erwartenden Potenzials der Bewerber:innen (Potenzialanalyse);
Vereinbarung transparenter Evaluationskriterien zu Beginn der Bewährungsphase;
institutionelle Unterstützung und Begleitung der Beschäftigten in Form von spezifischen Qualifizierungs- und Mentoringangeboten sowie Beratungsgesprächen;
Feststellung der Bewährung durch transparent arbeitende und plural besetzte Evaluationskommissionen anhand der zu Beginn vereinbarten Kriterien.“
Klar ist: Es braucht in jedem Fall mehr unbefristete Stellen neben der Professur, zu denen TT ein aussichtsreicher Weg sein kann. Das Angebot an solchen Stellen sollte in Deutschland massiv ausgebaut werden. Aus der verdienstvollen Arbeit derjenigen, die dazu beigetragen haben, TT in Deutschland zu einem etablierten und tragfähigen Prinzip zu machen, lässt sich für derartige Stellen und ihre transparente, faire Vergabe eine ganze Menge lernen — auch, wenn einige Fragen weiterhin offen sind und nicht alle Probleme gelöst. (Genaueres dazu wird sicherlich auch die geplante Dokumentation zur TT-Tagung festhalten.) Die obige Definition des TT-Prinzips bietet dafür jedenfalls wertvolle Anküpfungspunkte.
Mein Fazit also: Wir brauchen deutlich mehr unbefristete Mittelbau-Stellen für die Postdoc-Phase, gern auch mit TT. Wichtig aber: Die Stellen müssen so ausgestaltet sein, dass aus dem unbefristeten Arbeitsverhältnis heraus eine Weiterentwicklung auf Professuren möglich wird und die Bedingungen für die Entfristung nicht — wie z. T. bisher in den Debatten angenommen — letztlich dieselben sind wie für die Berufbarkeit. So wäre endlich Schluss mit dem unsäglichen Prinzip ‚Up or out‘, das für Beschäftigte in der deutschen Wissenschaft ein immenses Problem darstellt und sie überhaupt erst dazu zwingt, sich für einen der verschiedenen Wege zu entscheiden, was Karrierewege in der deutschen Wissenschaft nicht nur undurchsichtig und unwägbar, sondern auch ausgesprochen unattraktiv macht. Die Erfolgsgeschichte von TT ist somit noch längst nicht vorbei — aber es wird Zeit für ein neues Kapitel.