Mit den Füßen abstimmen, wenn die politische Richtung nicht stimmt
Zu den meistgelesenen Ausgaben dieses Newsletters zählt die vom 3. Oktober 2023, in der ich dargelegt habe, warum wir mit unserer Initiative #IchBinHanna der Plattform X (vormals Twitter) (noch) nicht den Rücken kehren. Schon damals gab es gute Gründe, die Plattform zu verlassen, aber es gab auch Gründe, dort zu bleiben. Die, die ich im damaligen Newsletter benannt hatte, drehten sich vor allem um eine Kombination aus Eigenschaften, aufgrund deren X für uns gegenüber anderen Plattformen zunächst weiterhin Vorteile hatte: die Möglichkeiten zu Vernetzung und Austausch für unsere #IchBinHanna-Community, die Reichweiten, die wir mit unseren Inhalten erzielen konnten, und die Erreichbarkeit von Journalist_innen und Entscheider_innen über die Plattform. Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon und ich haben uns die Entscheidung, die Arbeit auf X nicht vollständig einzustellen, dabei nie leicht gemacht. Wir haben sehr regelmäßig darüber diskutiert. Allerdings haben wir X in den letzten Monaten kaum noch genutzt. Und sind inzwischen im Rahmen unserer Diskussionen zu einer Entscheidung gelangt: der Entscheidung, X endgültig zu verlassen. Was die Gründe dafür sind — und was diese Gründe mit der aktuellen Debatte um den Deutschen Hochschulverband (DHV), die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) und das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit zu tun haben: Darum geht’s im heutigen Newsletter.
Bluesky, Mastodon, LinkedIn uvm.: X hat ausgedient
Auch, wenn sich bislang nicht die eine Plattform als Twitter-Ersatz durchgesetzt hat, lässt sich festhalten: Das, was wir über Jahre auf Twitter gemacht haben, geht inzwischen auch ohne das, was davon mittlerweile noch übrig ist. Vernetzung und Austausch finden nunmehr in beachtlichem Umfang auf anderen Plattformen statt, vor allem auf Bluesky, aber auch auf Mastodon und LinkedIn ist in dieser Hinsicht einiges los. Bluesky-Posts sind inzwischen zudem öffentlich zugänglich, erhalten ordentlich Resonanz — und Inhalte von dort werden auch journalistisch aufgegriffen, so z.B. geschehen durch den DLF, der unseren Hashtag #LauteWissenschaft (den wir in erster Linie auf Bluesky genutzt haben) direkt zum Gegenstand einer Sendung gemacht hat. Die Rolle von Journalist_innen kann hierbei im Übrigen kaum überschätzt werden: Wann immer sie Inhalte statt von X von Bluesky und Co. beziehen, schwächt das X und stärkt andere Plattformen. Das ist oft auch problemlos machbar (vor allem, seit Bluesky öffentlich zugänglich ist): Selbst diejenigen, die noch auf X unterwegs sind, spiegeln ihre zentralen Inhalte oft auf die anderen Plattformen — jeder Verzicht auf einen X-Verweis zugunsten eines Verweises auf andere Plattformen hilft hier weiter.
Wer jetzt einwendet, man solle X nicht den rechtsextremen Demokratiefeind_innen überlassen (wie es Jan-Martin Wiarda gestern mit einigen bedenkenswerten Argumenten getan hat), verkennt, dass der Kampf gegen problematische Strömungen auf einer sie privilegierenden Plattform ein Kampf gegen Windmühlen ist: Dies ist kein partizipativer Kontext, in dem wir die Regeln mitbestimmen können. Es ist eine algorithmusbasierte Plattform, und Algorithmen sind nun mal stärker als die Kollektive, die auf sie treffen. Selbst, wenn wir uns den problematischen Tendenzen widersetzen, kommen wir gegen bestimmte Parameter der Ausgestaltung von X nicht (mehr) an. Der Vergleich meiner Impressions auf X zwischen März 2023 und September 2023 etwa sieht so aus: 2,6 Millionen Impressions im März, 495.000 im September. Elon Musk hat uns reichweitentechnisch den Stecker gezogen, womit unser Engagement hier schlicht nicht mehr die durchschlagende Kraft entfalten kann wie früher. Dasselbe gilt für politische Statements, wie wir sie unter #LauteWissenschaft sammeln: X wird deren Lautstärke nicht verstärken, sondern so lange herunterdimmen, bis sie inmitten des Getöses aus Hass, Hetze und Verfassungsfeindlichkeit kaum noch vernehmbar sind. Zur politischen Radikalisierung der Plattform haben auch andere in den letzten Tagen Stellung genommen, die — wie etwa der Bundesverband Deutscher Stiftungen — X deshalb ebenfalls den Rücken gekehrt haben.
Ich habe selbst lange gedacht, ich müsse die immer zahlreicher werdenden Hassnachrichten und Anfeindungen aushalten im Interesse unseres politischen Anliegens. Aber wenn wir #IchBinHanna-Content auf der Plattform posten, setzen wir auch unsere Community diesen Attacken aus. Und stärken zugleich weiter eine Plattform, die im öffentlichen Diskurs zunehmend eine hochproblematische Rolle einnimmt. Die Relevanz von X für die öffentliche Debatte kommt allein dadurch zustande, dass wir sie der Plattform durch unser Nutzungsverhalten verleihen. Wir können die Plattform in wesentlichen, problematischen Aspekten ihrer Ausgestaltung nicht verändern. Selbst mit vereinten Kräften nicht. Deshalb ist es aus unserer Sicht nun an der Zeit, sie zu verlassen: Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon und ich haben entschieden, unsere X-Accounts mit sofortiger Wirkung stillzulegen. Wir werden sie zum Zweck der Dokumentation unserer wissenschaftspolitischen Arbeit weder löschen noch in den privaten Modus umstellen, aber auf X ab sofort nicht mehr posten. Auch per DM sind wir dort nicht mehr erreichbar und bitten stattdessen, uns bei Bedarf per E-Mail zu kontaktieren.
Haltung nicht nur beteuern, sondern auch zeigen: Das bleiben DHV und BBAW unserer Demokratie schuldig
X ist ohnehin nicht der einzige Kontext, bei dem Aussteigen als gangbare Option erscheint, weil politisch etwas in die falsche Richtung läuft. Im vergangenen Jahr habe ich unter dem Hashtag #Ciao_DHV (damals noch auf X) öffentlich dargelegt, warum ich angesichts der in der Sache unangemessenen Haltung des Deutschen Hochschulverbands (DHV) zum WissZeitVG-Referentenentwurf aus dem DHV austrete. Darüber bin ich dieser Tage doppelt froh: Vergangene Woche hatte Kristin Eichhorn in einem Gastbeitrag auf dem Blog von Jan-Martin Wiarda zu Recht Kritik daran geübt, dass gleich mehrere Wissenschaftsinstitutionen klare Abgrenzungen zu demokratiefeindlichen Aktivitäten vermissen lassen. Der langjährige DHV-Präsident Kempen hatte sich am vergangenen Freitag vom Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, von dem ein Mitglied beim Geheimtreffen in Potsdam war, in Räumen der BBAW einen Preis verleihen lassen. Das Netzwerk hat sich bislang von seinem Mitglied nicht distanziert. Der DHV und die BBAW ließen diesen ganzen Vorgang ebenfalls geschehen, ohne sich davon abzugrenzen, wobei gestern dann eine Replik des BBAW-Präsidenten Christoph Markschies auf die Kritik von Kristin Eichhorn im Wiarda-Blog veröffentlicht wurde — dazu, warum die weit hinter allen Erwartungen zurückbleibt, gleich mehr.
Zunächst noch einmal zum DHV. Wenn ich mit Kolleg_innen über den DHV rede, sagen sie oft ungefähr dies: Ja, sie seien da noch Mitglied, obwohl sie im Hinblick auf die politische Positionierung des Verbands skeptisch seien — aber eigentlich seien sie vor allem wegen der Rechtsberatung noch dabei (die kann man etwa bei Berufungen über den DHV in Anspruch nehmen). Das spricht meines Erachtens vor allem dafür, dass wir in Sachen Rechtsberatung für (Neu-)Berufene andere Angebote brauchen. Es ist jetzt aber an allen, die noch Mitglied sind, sich zu fragen, ob sie es mittragen wollen, wenn Kristin Eichhorns Kritik vom DHV als „Dämonisierung“ des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit apostrophiert wird.
Und schließlich zur Replik des BBAW-Präsidenten: Es ist bemerkenswert, dass die Antwort an keiner Stelle konkret den Sachverhalt benennt, der die Diskussion überhaupt erst entfacht hat. Stattdessen tritt darin erstaunlicherweise genau das zutage, was Kristin Eichhorn in ihrem Beitrag kritisiert hat: die Verlegung auf akademische Diskussionen, statt sich politisch zu positionieren. Die BBAW grenzt sich nicht vom DHV ab, der DHV nicht vom Netzwerk Wissenschaftsfreiheit und das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit nicht von Aktivitäten, die unsere demokratische Grundordnung in fürchterlicher Weise unterminieren wollen. Haltung sieht anders aus. Sie fängt damit an, klar zu benennen, was hier Sache ist und was auf dem Spiel steht. Letzte Woche schrieb ich hier im Newsletter, dass wir dieser Tage vor allem auf das schauen sollten, was uns verbindet, nicht das, was uns trennt. Was trennend wirken sollte, ist aber fraglos die Absicht, unsere Demokratie abzuschaffen: Wer sie hat, steht auf einer Seite, auf die wir uns keinesfalls stellen dürfen. Wir reden hier über Positionen außerhalb des demokratischen Spektrums, die auch als solche benannt und markiert werden müssen und zu denen es einer deutlichen Abgrenzung bedarf. Wenn Wissenschaftsorganisationen dabei versagen, hier eine klare und eindeutige Grenze zu ziehen, ist es eben an uns Wissenschaftler_innen, daraus Konsequenzen zu ziehen: Indem wir laut bleiben — und dort, wo wir damit trotz allem kein Gehör finden, auch mit den Füßen abstimmen.