Noch nicht laut genug! Wissenschaft gegen Rechtspopulismus
Eigentlich wollte ich diese Woche über etwas anderes schreiben, aber die Wahlergebnisse der Europawahl haben das in den Hintergrund gerückt. Mit der AfD ist in Deutschland die zweitstärkste Kraft eine Partei, die in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt. Das Oberverwaltungsgericht Münster urteilte unlängst, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz diese Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen und weiter beobachten darf. Laut Pressemeldung des OVG begründet der Senat sein Urteil wie folgt:
„Nach Überzeugung des Senats liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind.“
Auch in anderen Ländern gewinnen rechtspopulistische Parteien weiter an Boden. Eine bestürzende (wenngleich nicht überraschende) Entwicklung, auch für die Wissenschaft. Was der Rechtspopulismus auf Regierungsebene in Forschung und Lehre anrichtet, können wir derzeit u.a. in den Niederlanden beobachten: Mit Maßnahmen einer äußerst restriktiven Asylpolitik soll u.a. die Zahl der internationalen Studierenden verringert werden; auch für internationales wissenschaftliches Personal werden entsprechende Maßnahmen sicherlich nicht folgenlos bleiben. Zugleich werden die regierungsseitigen Ausgaben für Forschung und Lehre massiv eingekürzt. Wer heute mit Kolleg_innen in den Niederlanden spricht, stößt auf blankes Entsetzen angesichts dieser Entwicklungen. Ähnliche Risiken für Deutschlands Wissenschaftsfinanzierung hatte im Februar Hans-Gerhard Husung in einem Gastbeitrag im Wiarda-Blog aufgezeigt. Darüber, welche Auswirkungen ein Wahlsieg der AfD bei den im Herbst anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen hätte, schrieb Nicola Kuhrt vom Research.Table bereits im Januar. Was aber können wir als deutsche Wissenschaftscommunity jetzt tun, damit es in Deutschland nicht so weit kommt — und damit sich entsprechende Tendenzen auch über Deutschland hinaus nicht noch weiter fortsetzen?
Wissenschaft, überleg Dir gut, wen Du mitreden lässt!
Klar ist: Wir müssen auch als Wissenschaftscommunity darauf reagieren, dass Demonstrationen für unsere Demokratie mit Millionen Teilnehmer_innen (auch aus der Wissenschaft), Stellungnahmen usw. wichtig sind und bleiben — aber dass all diese Maßnahmen aller Voraussicht nach nicht reichen werden, um die erschreckenden politischen Entwicklungen auszubremsen. Es braucht mehr als das. Klar ist aber auch: Wir sollten uns zukünftig sehr gut überlegen, welchen Akteur_innen und Positionen wir in der Wissenschaft eine Bühne bieten wollen. Auch in der Wissenschaft muss Schluss damit sein, Diskursräume für diejenigen zu öffnen, die nach dem Eintreten die Einrichtung zerlegen oder gar das ganze Gebäude von innen heraus abreißen wollen — und das, nachdem sie einen Teil von uns Wissenschaftler_innen und einige unserer Studierenden ansatzlos rausgeworfen haben. Die Hybris, den Rechtspopulist_innen argumentativ gewachsen zu sein und sie mithilfe der eigenen Eloquenz und intellektuellen Brillanz entlarven zu können, gehört in der Wissenschaft wie in den Medien endlich über Bord geworfen. Wissenschaftler_innen glauben in diesen Kontexten nach wie vor allzu oft an die Kraft des besseren Arguments. Ich bin Philosophin, ich mache also beruflich was mit Argumenten, und ich bin durchaus überzeugt, dass gutes Argumentieren eine Menge ausrichten kann — nicht nur in der Wissenschaft, sondern sehr wohl auch im politischen Raum. Rechtspopulist_innen aber halten sich regelmäßig nicht an die Regeln redlichen Argumentierens, wie wir sie aus der Wissenschaft gewöhnt sind. Sie bieten alles an rhetorischen Tricksereien auf, was man sich nur vorstellen kann. Wer versucht, dagegenzuhalten, ohne selbst schmutzige argumentative Tricks anzuwenden, kann in vielen Fällen nur verlieren.
Aber es ist nicht nur das. Wer jetzt weiter behauptet, Wissenschaft sei grundsätzlich unpolitisch und müsse neutral bleiben, verschließt nicht nur die Augen vor den Hinsichten, in denen Wissenschaft immer schon politisch war. Wer mithilfe redlicher Argumente dafür einzutreten versucht, Wissenschaft und Politik in der Frage der Demokratie fein säuberlich voneinander zu trennen, droht sich außerdem von Rechtspopulist_innen die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Denn Begriffe wie „Neutralität“, „Objektivität“ und „Wissenschaftsfreiheit“ sind ihnen längst zu Kampfbegriffen geworden, die dazu dienen sollen, die eigene wissenschafts- und menschenfeindliche Agenda durchzusetzen. Auch hier gilt: Die Gegenseite spielt nicht fair. Das ist kein Grund, es ihr gleichzutun, im Gegenteil. Aber es ist ein Grund, die, die die Regeln eines fairen Diskurses systematisch verletzen, schlicht und ergreifend nicht mehr mitspielen zu lassen. Nur so können wir die Normalisierung demokratiefeindlicher Positionen und Talking points stoppen, der viele gesellschaftliche Akteur_innen (auch aus der Wissenschaft) Vorschub geleistet haben, indem sie auch die haben mitreden lassen, die angetreten sind, um den Diskurs als solchen zu zerstören.
Aktiv für unsere Demokratie sein statt nur gegen ihre Bedrohung!
Was es aber auch zu bedenken gilt: Es reicht nicht, dagegen zu sein. Gegen Rechtsextremismus, gegen Menschenfeindlichkeit, gegen die Bedrohung unserer Demokratie. Aus den Sozialen Medien im Allgemeinen und der #IchBinHanna-Diskussion im Speziellen wissen wir: Dagegensein ist einfach. Schwieriger ist es, für etwas zu sein, und zwar gemeinsam, sich auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen und dafür zu streiten, ohne sich dabei auseinanderbringen zu lassen.
Ich hoffe, dass der Erhalt unserer Demokratie, gelebte Mitmenschlichkeit und der Einsatz für Gerechtigkeit das Mindeste sind, auf das wir uns einigen können, in der Wissenschaft und darüber hinaus. Und es gilt nun einmal mehr, das auch im Wissenschaftsbetrieb mit Leben zu füllen. Was vor allem denen von uns, die nicht von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen sind, zu lange zu Unrecht wie eine allgemein geteilte Selbstverständlichkeit schien — dass in unserem Wissenschaftssystem alle willkommen sein sollten und Teilhabechancen verdienen —, sollten wir jetzt explizit machen. Indem wir es sagen, wo immer wir können. Indem wir unsere Rolle als Expert_innen und Multiplikator_innen so ausüben, dass wir unserer Demokratieverantwortung gerecht werden. Indem wir, wo immer es möglich ist, in Vorträgen, in Lehrveranstaltungen, auf Podien, uns zur Demokratie bekennen. Und indem wir alledem Taten folgen lassen, nicht nur auf der großen Bühne, sondern auch im wissenschaftlichen Alltagshandeln. Und vor allem: Es wird Zeit, endlich denjenigen zuzuhören und einen geschützten Raum zu geben, die jetzt zu Recht um ihr Wohlergehen fürchten müssen.
Unsere Demokratie fordert uns heraus. Sie stellt immer wieder unsere Geduld auf die Probe. Nicht immer läuft alles so, wie es wünschenswert oder sinnvoll wäre — das gilt auch für die #IchBinHanna-Debatte. Aber: Diese Demokratie erlaubt es uns, all ihren Unzulänglichkeiten zum Trotz, miteinander um gute Lösungen zu ringen. Sie ermöglicht produktiven Streit. Und sie schützt unser wissenschaftliches Tun. Nach der Europawahl gilt einmal mehr: Wissenschaft muss lauter werden. Deshalb schließe ich heute mit einem Aufruf: Überlegen wir in den nächsten Tagen und Wochen individuell und gemeinsam, wie das geschehen kann und was wir dazu beitragen können — und sammeln wir Ideen, Vorhaben, Initiativen, Äußerungen und Impulse weiterhin unter dem Hashtag #LauteWissenschaft. Als Inspiration für andere und als Zeichen: Dafür, dass wir im Kampf gegen demokratiefeindliche Tendenzen nicht alleine sind!