Amrei Bahr ist im Urlaub. Eigentlich war verabredet, dass ich diese Woche als Urlaubsvertretung in diesem Newsletter über die Sackgassen schreibe, in die die Pluralität der Karrierewege in der deutschen Wissenschaft führt. Aber das muss nun ein anderes Mal geschehen, denn am vergangenen Sonntag wurde bekannt, dass sich die Koalition nun endlich — ganze acht Monate, nachdem das zuständige Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seinen Referentenentwurf vorgelegt hat! — in Bezug auf die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) geeinigt habe. Also muss ich nun darüber schreiben — auch wenn es inhaltlich gesehen wenig Neues zu berichten gibt.
Die Vorgeschichte der WissZeitVG-Reform
Die Ampelregierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 vorgenommen, auf die Kritik von #IchBinHanna zu reagieren und das WissZeitVG auf Basis seiner (seit Mai 2022 vorliegenden) offiziellen Evaluation zu reformieren. Nach einem längeren Stakeholderprozess und zahlreichen Gesprächen legten alle drei Parteien vor ziemlich genau einem Jahr ein gemeinsames Eckpunktepapier vor, das aber auf so viel Protest stieß, dass es nach wenigen Stunden zurück in die „Montagehalle“ geschickt wurde. Streit gab es vor allem über die Höchstbefristungsdauer für promovierte Wissenschaftler_innen, die damals von jetzt sechs auf drei Jahre abgesenkt werden sollte.
Im Juni 2023 schließlich folgte der Referentenentwurf, der aus diesen drei Jahren eine Kombination aus 4+2 machte: Nach der Promotion können Wissenschaftler_innen mit der Begründung der Qualifikation noch einmal vier Jahre ohne jede Verbindlichkeit befristet werden; danach ist eine weitere Befristung von maximal zwei Jahren nur noch mit einer Anschlusszusage möglich.
Amrei Bahr, Sebastian Kubon und ich haben in unserer Stellungnahme zum WissZeitVG-Referentenentwurf damals die Probleme aufgezeigt, die dieses Modell mit sich bringt:
1. Das 4+2-Modell bringt keinen Systemwechsel, sondern erhöht nur den Druck auf die individuellen Wissenschaftler_innen:
Eine vierjährige Befristungsphase vor einer Befristung mit Anschlusszusage ermöglicht wissenschaftlichen Arbeitgebern weiterhin, die Arbeitsleistung von Postdocs in ausreichendem Umfang für sich zu nutzen, ohne diese hochqualifizierten Wissenschaftler_innen anschließend in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu übernehmen. Die Arbeitgeber müssen in Zukunft ihr Postdoc-Personal nur alle vier statt wie bisher alle sechs Jahre austauschen. So werden Planbarkeit und Verbindlichkeit nicht erhöht. Erhöht wird stattdessen der Druck auf die Wissenschaftler_innen, die bei gleichbleibend zu geringen Perspektiven auf eine dauerhafte Beschäftigung in der deutschen Wissenschaft noch weniger Zeit hätten, eine der wenigen Professuren oder unbefristeten Mittelbaustellen zu ergattern.
2. Das Modell lässt sich in der Praxis nicht sinnvoll ausgestalten:
Es mangelt in dieser Phase über den langen Zeitraum von vier Jahren somit nach wie vor an Planbarkeit und Verbindlichkeit durch klar vereinbarte Kriterien, deren Erfüllung eine dauerhafte Perspektive in der Wissenschaft bedeutet. […] Innovative Forschungsvorhaben sind in der Regel riskant. Sie erfordern Neuanfänge und Nachjustierungen, und es lässt sich nicht sicher planen, dass sie in vier Jahren gänzlich zum Abschluss gebracht werden können. […] Postdocs wären stattdessen gehalten, inhaltlich auf Sicherheit zu setzen, statt neues Terrain zu erschließen. Ebenfalls problematisch ist das „+2“. Denn selbst dann, wenn es auf Seiten der akademischen Arbeitgeber den Willen geben sollte, nach den vier Jahren noch einem Vertrag mit Anschlusszusage anzubieten, ist die Phase von zwei Jahren deutlich zu kurz für eine sinnvolle Zielvereinbarung.
3. Das Modell verhindert Diversität:
Schon die durch das aktuelle WissZeitVG ermöglichte Befristungspraxis benachteiligt Personen(gruppen), die aufgrund finanzieller, gesundheitlicher, ihre Herkunft oder personenbezogene Merkmale betreffender Faktoren die jahrelange berufliche Unsicherheit bis ins fünfte Lebensjahrzehnt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in eine dauerhafte Beschäftigung in der Wissenschaft münden wird, nicht abfedern können. Es ist nicht erkennbar, wie die im Referentenentwurf vorgesehene Reform der Postdoc-Befristung diese Missstände beheben soll. Stattdessen ist auch in dieser Hinsicht mit einer Verschärfung der Problemlage zu rechnen.
Die bisherige Einigung: Ein Armutszeugnis
Nun war es mit dem seit dem Sommer vorliegenden Referentenentwurf so lange nicht weitergegangen, weil er — anders als das Eckpunktepapier vom März vor einem Jahr — nicht von allen drei Ampelparteien unterstützt wurde, sondern allein vom FDP-geführten BMBF, das ihn vorgelegt hatte. Die Grünen und die SPD hatten sich bereits im Juni explizit gegen den Entwurf positioniert. Zudem gab es Leitungsvorbehalte aus dem Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) und dem Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), die darauf hoffen ließen, dass die Defizite des Referentenentwurfs zumindest noch abgemildert werden könnten.
Das allerdings ist bei der nun vorgesehenen Regelung offenbar mitnichten der Fall. Aus der bisherigen Berichterstattung geht hervor, dass die Koalition beschlossen hat, im Großen und Ganzen mit dem Referentenentwurf des BMBF ins Parlament zu gehen — so bekanntermaßen defizitär, wie er ist. Lediglich die „Erweiterung der Tariföffnungsklausel für die Höchstbefristungsdauer nach der Promotion und den Zeitpunkt der Anschlusszusage“ werde noch geprüft, heißt es im oben verlinkten Research.Table-Beitrag. Dies bezieht sich auf den vor allem von gewerkschaftlicher Seite kritisierten Aspekt, dass im Referentenentwurf zwar die bisher im WissZeitVG verankerte Tarifsperre (also das Verbot, über vom WissZeitVG geregelte Sachverhalte tariflich zu verhandeln) leicht gelockert werden sollte — aber nur einer in einer Art und Weise, die letztlich den Interessen von Gewerkschaften und Beschäftigten zuwiderläuft und insofern keinerlei echte Einflussnahme ermöglicht.
Das parlamentarische Verfahren entscheidet nun über die Zukunft von #IchBinHanna – und der deutschen Wissenschaft
Das allein wäre ein deutlich zu eng bemessener Spielraum für die Parlamentarier_innen, die sich nun bald mit dem Entwurf befassen müssen. Kein Gesetz kommt aus dem Bundestag, wie es hineingeht, lautet eine Binsenweisheit. Mit der Einigung innerhalb der Koalition hätte sich das BMBF unter dem Strich mit einem Entwurf durchgesetzt, mit dem für niemanden etwas gewonnen ist: Der Entwurf hätte Nachteile für Beschäftigte, Professor_innen, Studierende, wissenschaftliche Arbeitgeber; würde er Gesetz, würde das Lehre und Forschung massiv schädigen. Faire Arbeitsbedingungen als Teil eines zukunftsfähigen Wissenschaftssystems sehen anders aus. Alle Kritikpunkte unserer Stellungnahme aus dem Juli 2023 könnten wir heute genauso wieder schreiben.
Immerhin ist vonseiten der Grünen wie der SPD inzwischen zu hören, dass man sich keinesfalls bereits ‚geeinigt‘ habe, sondern die strittigen Fragen um Tarifsperre und Höchstbefristungsdauer der Postdocs dem Parlament übergebe. Im Parlament muss nun deshalb mehr passieren als den mangelhaften Referentenentwurf durchzuwinken, der die Situation für Postdocs nicht nur nicht verbessert, sondern sogar zusätzlich verschlechtert. Alles andere würde eine echte Bedrohung des Wissenschaftsstandorts Deutschland bedeuten.
Dabei sollte man nicht nur die Tarifsperre und die Höchstbefristungsdauer für Postdocs auf den Prüfstand stellen. Hier wurde bereits von verschiedener Stelle argumentiert, dass eine Umkehrung der Formel 4+2 zu 2+4 eine brauchbare Kompromisslösung sein könnte. Darüber hinaus gilt es das Instrument einer Befristungshöchstquote, die die Wissenschaftlichen Dienste ja für verfassungsgemäß befunden haben, noch einmal ernsthaft ins Auge zu fassen. Denn: Um Befristung wirksam einzudämmen, reichen reine Jahreszahlen nicht aus, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Dies gilt umso mehr, als die in ihrer Dauer unbegrenzte Drittmittelbefristung von der Neuregelung des WissZeitVG nicht tangiert wird. Diese könnte und müsste eine Befristungshöchstquote mit einschließen.
Für uns ist es deshalb umso wichtiger, jetzt noch einmal laut zu werden und unsere Position hörbar zu machen, wenn das Gesetz in den Ausschüssen und im Plenum des Bundestages verhandelt wird. Wenn der Referentenentwurf so, wie er jetzt ist, beschlossen wird, hat die Koalition — trotz kleinerer Verbesserungen wie Mindestlaufzeiten, die freilich auch nur Sollvorschriften sind — der deutschen Wissenschaft einen Bärendienst erwiesen. Die wirklich ‚besten Köpfe‘ kehren ihr nämlich längst schon den Rücken und viele andere denken darüber nach. Die Stimmung in der deutschen Wissenschaft ist nicht gut — gerade wegen der prekären Arbeitsbedingungen und dem Mangel an Perspektiven. Zusätzlich zum Parlament müssen jetzt auch Länder und Hochschulen aktiv werden und selbst große Personalstrukturreformen anstoßen, um dieser Tendenz und dem damit einhergehenden Fachkräftemangel in der Wissenschaft entgegenzuwirken.