Wo kein Wille ist, ist doch ein Weg: Das BMBF zur Befristungshöchstquote
#IchBinHanna hat es wieder getan: Wir haben das BMBF unter Handlungsdruck gesetzt. Am 21. November hatten wir den Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste geteilt, aus dem hervorgeht, dass eine Befristungshöchstquote verfassungskonform umgesetzt werden kann — in der letzten Woche hatte ich bereits hier im Newsletter über die große Bedeutung dieser Nachricht für die Debatte um das WissZeitVG geschrieben. Wie groß die Bedeutung dieser Nachricht ist, zeigt auch die ebenso schnelle wie abwehrende Reaktion des BMBF: Nur eine Woche später sah es sich durch eine Anfrage des Research.Table offenbar in Zugzwang, vehement gegen eine entsprechende Quote im neuen WissZeitVG zu argumentieren. In vielerlei Hinsicht ein bemerkenswerter Vorgang. Nicht nur, weil unsere Initiative erneut innerhalb von kurzer Zeit eine Reaktion des Ministeriums provoziert hat. Sondern auch, weil sich das BMBF jetzt nicht mehr hinter dem Scheinargument der fehlenden Verfassungskonformität verstecken kann und politisch gegen die Befristungshöchstquote argumentieren muss. Wie wir im Folgenden sehen werden, fehlt es den Argumenten, mit denen es das tut, allerdings so eklatant an Überzeugungskraft, dass man nur konstatieren kann: Die Befristungshöchstquote wäre zwar offenkundig ein guter Weg, um das deutsche Wissenschaftssystem aus der Misere der Massenbefristung herauszuführen — aber es fehlt dem BMBF anscheinend einfach der Wille, ihn zu gehen.
Argument 1: Wissenschaftsadäquatheit
Das BMBF lässt in seiner Antwort auf die Anfrage des Research.Table verlauten, eine Befristungshöchstquote sei „nicht wissenschaftsadäquat“. Was aber ist das eigentlich: wissenschaftsadäquat? Gemeint ist vermutlich, dass die (rechtlichen) Rahmenbedingungen im Wissenschaftssystem der Wissenschaft angemessen oder zuträglich sein sollten. Warum aber sollte eine Befristungshöchstquote nicht in diesem Sinne wissenschaftsadäquat sein? Eine Begründung dafür gibt das BMBF nicht.
Nun kann ein Forschungsministerium nicht einfach willkürlich festlegen, was der Wissenschaft tatsächlich dienlich ist und was nicht. Ob etwas die Wissenschaft befördert oder nicht, lässt sich schließlich seinerseits wissenschaftlich untersuchen — und es wäre auch angebracht, entsprechende Untersuchungen zum Fundament der eigenen Wissenschaftspolitik zu machen, statt diese Politik in derart zentralen Fragen ohne die nötige Evidenz zu betreiben. In der Vergangenheit hat das BMBF leider bereits gezeigt, dass es auch vor der Reproduktion empirisch unbelegter Mythen nicht zurückschreckt — zu denken wäre etwa an die unrühmliche Floskel „Innovation durch Fluktuation“, für die es, wie wir inzwischen wissen, keinerlei Evidenz gibt.
Dass Wissenschaft sich auch mit deutlich mehr unbefristeten Stellen im Postdoc-Bereich durchaus produktiv betreiben lässt, zeigt ein Blick ins Ausland. Eine Erhöhung des Anteils unbefristeter Stellen dürfte der deutschen Wissenschaft also keineswegs schaden. Ganz im Gegenteil, denn: Was sicherlich nicht wissenschaftsadäquat ist, ist der Status quo. Befristungen bis ins fünfte Lebensjahrzehnt und die anschließende erzwungene berufliche Umorientierung von Wissenschaftler_innen auf der Höhe ihrer Expertise sorgen dafür, dass Wissenschaft als Beruf in einem Arbeitsumfeld erfolgt, das wissenschaftliche Arbeit systematisch ausbremst, weil die, die sie machen, davon ständig durch Zukunftssorgen und Existenzängste abgelenkt werden. Prekäre Arbeitsverhältnisse begünstigen Machtmissbrauch bis hin zu sexualisierter Gewalt, deren erschreckende Ausprägungen im Wissenschaftssystem in den vergangenen Monaten zum Glück endlich verstärkt in den medialen Fokus gerückt sind (s. dazu etwa der Hashtag #MeTooHistory). Die durch die Befristungen nötigen Versuche, immer wieder neue Anläufe zur Einwerbung von Drittmitteln anzustellen, um die eigene berufliche Existenz übergangsweise zu sichern, stehen in keinem angemessenen Verhältnis zu den Outputs der wenigen Drittmittelprojekte, die es überhaupt zu einer Finanzierung bringen. Forschung braucht Zeit — Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Scheitern und Neubeginnen, Zeit für Umwege und Neujustierungen. Befristungen limitieren diese Zeit — und erzeugen dadurch zahlreiche Fehlanreize zulasten der Wissenschaft.
Die Befristungshöchstquote mit der Behauptung zurückzuweisen, sie sei nicht wissenschaftsadäquat, mutet somit regelrecht absurd an, wenn man bedenkt, dass sie ja gerade ein verlässliches Instrument wäre, um einem offensichtlich wissenschaftsschädlichen Missstand im deutschen Wissenschaftssystem beizukommen, den uns das jetzige WissZeitVG eingebrockt hat: Die Rede ist von der perspektivlosen Massenbefristung, unter der eine Wissenschaftler_innen-Generation nach der nächsten zu leiden hat — und mit jeder Generation leidet auch deren wissenschaftliche Arbeit.
Argument 2: Umsetzbarkeit
Das BMBF behauptet weiterhin, eine Befristungshöchstquote sei nicht praktikabel umsetzbar — „angesichts der enormen Vielfalt an Einrichtungstypen und -größen, ihrer mit unterschiedlichen Anforderungen an Personalstrukturen einhergehenden wissenschaftlichen und organisatorischen Schwerpunktsetzungen, der unterschiedlichen Finanzierungsschlüssel (Grund- und Drittmittel) sowie der unterschiedlichen Arbeitgeberstrukturen“.
Damit hat das BMBF nun aber noch keine plausiblen Gründe benannt, warum das Instrument der Befristungshöchstquote als solches nicht praktikabel sein soll, sondern zunächst nur Aspekte aufgelistet, über deren Ausgestaltung zu diskutieren wäre. Beispielsweise hat niemand verlangt, dass es genau eine Quote für alle Arten von wissenschaftlichen Einrichtungen im WissZeitVG geben muss — denkbar wäre sehr wohl, nach Arten von Einrichtungen zu differenzieren, etwa nach Hochschulen auf der einen und Außeruniversitären Forschungseinrichtungen auf der anderen Seite.
An diesem Aspekt zeigt sich exemplarisch: Der Diskussion über die Ausgestaltung der Quote lässt sich nicht vorgreifen, indem einfach behauptet wird, sie lasse sich nicht praktikabel umsetzen. Daraus, dass das BMBF die Befristungshöchstquote nicht umsetzen will, folgt nun mal nicht, dass sie sich nicht umsetzen lässt. Es muss jetzt darum gehen, zu den offenen Fragen im Hinblick auf die Befristungshöchstquote praktikable Antworten zu finden, statt die Suche nach diesen Antworten von vornherein zu unterbinden.
Argument 3: Kontrolle und Sanktion
Schließlich behauptet das BMBF, eine Befristungshöchstquote lasse sich nicht kontrollieren und auch nicht sanktionieren: Man habe Bedenken „hinsichtlich der Kontrolle der Einhaltung der Quoten sowie angemessener Sanktionen für ein Überschreiten der Quote“. Dieses Argument zeigt, wie komfortabel sich das BMBF in der bestürzenden Verantwortungslosigkeit eingerichtet hat, die das deutsche Wissenschaftssystem ebenso umfassend wie maßgeblich prägt. Übersetzt heißt diese Passage nämlich etwa so viel wie: Wir rechnen damit, dass Arbeitgeber in der Wissenschaft die Befristungshöchstquote regelmäßig überschreiten werden — aber weder trauen wir den Arbeitgebern zu, dass sie darauf mit ausgereiften Personalstrukturen inklusive Personalentwicklungskonzepten reagieren, noch trauen wir uns selbst zu, die Einhaltung der Quote nachzuhalten und zu sanktionieren.
Der letzte Aspekt tritt nochmal deutlicher zutage, wenn es heißt, man sei gegen „die in der Diskussion vorgeschlagene, letztlich ,zufällige‘ Entfristung derjenigen, die nach Überschreiten der Quote ein befristetes Arbeitsverhältnis aufgenommen haben“. Zufällig ist diese Entfristung nur, wenn wissenschaftliche Arbeitgeber weiterhin die Einstellung und Weiterbeschäftigung von Personal jenseits auch nur basaler Professionalisierungsmaßnahmen betreiben. Arbeitgeber, die es zu zufälligen Entfristungen kommen lassen, sind selber schuld, denn sie könnten ja durch entsprechende Konzepte eine sinnvolle Personalplanung machen. Die, die daraufhin erwidern, dass das aufwändig sei, erinnere ich bei dieser Gelegenheit gerne daran, wie irrsinnig aufwändig es ist, ständig neue Arbeitsverträge auszufertigen sowie für eine große Zahl von Beschäftigten immer wieder aufs Neue umständlich zu prüfen, ob, wie und wie lange sie noch nach WissZeitVG beschäftigt werden dürfen.
Diskussion zur Ausgestaltung der Befristungshöchstquote: It’s too late to stop now
Die Diskussion um die Befristungshöchstquote lässt sich nicht mehr aufhalten, und das ist auch gut so — nun wird es Zeit, die Energie in die Debatte über ihre Ausgestaltung zu stecken. Denn letztlich zeigt sich in den Diskussionsbeiträgen des BMBF vor allem eins: Das BMBF benötigt offenbar Unterstützung bei der zielführenden Ausgestaltung der Befristungshöchstquote, weil es ihm selbst am nötigen Vorstellungsvermögen und dem politischen Willen fehlt, eine entsprechende Ausgestaltung voranzutreiben. „Es geht nicht“ ist nun einmal etwas anderes als „wir wollen es nicht“, und das BMBF zeigt mit seinen Argumenten lediglich letzteres. Helfen wir dem BMBF also, indem wir die Befristungshöchstquote weiter diskutieren — und zu den noch offenen Fragen konstruktive Vorschläge machen. Denn eines ist klar: Mit einer unbegründeten Abwehrhaltung kommen wir nicht weiter. Was es braucht, ist eine tragfähige Idee für ein neues WissZeitVG, und wenn die schon nicht aus dem BMBF kommt, dann springen halt erneut wir als Wissenschaftscommunity ein!