Fördergeldaffäre: Jetzt reicht‘s!
Die politische Sommerpause ist vorbei — dasselbe gilt für die Sommerpause dieses Newsletters. Wir können also mit neuem Elan in den wissenschaftspolitischen Herbst starten — oder? Schön wär’s, denn die wissenschaftspolitische Debatte ist nach dem Sommer leider ziemlich genau dorthin zurückgekehrt, wo sie vor der Pause war: Ich spreche — mal wieder — von der Fördergeldaffäre, die vor einer Woche erneut das Thema einer Sondersitzung des Bildungsausschusses war und gerade zum wiederholten Male einige mediale Resonanz findet. Gibt es in dieser Sache denn nun etwas Neues? Ja und nein. Während nach und nach immer mehr interne Kommunikation aus dem BMBF durch Whistleblower_innen geleaked wird, zeichnet sich die Kommunikationsstrategie des Ministeriums weiterhin durch eine Mischung aus Unfähigkeit und Einfallslosigkeit aus. Für die Sitzung im Bildungsausschuss hatte ich in der Erwartung, dass Forschungsministerin Stark-Watzinger wieder dieselben ausgestanzten Sätze vortragen wird, die wir schon aus ihren Auftritten in diesem Ausschuss, im Parlament und in der Bundespressekonferenz kannten, dieses Bingo vorbereitet:
Und in der Tat konnte man sich beim Verfolgen der Sitzung fragen, ob sich die Ministerin die Bingo-Karte vielleicht selbst ausgedruckt hatte, um sie als Stichwortgeber für ihre Statements zu verwenden — so nah an meiner Prognose waren ihre Äußerungen.
Ich habe in diesem Newsletter verschiedentlich darüber geschrieben, wie besorgniserregend die Fördergeldaffäre ist und wie wenig sich das bislang im politischen Umgang damit widerspiegelt — sei es dem des BMBF oder dem der Koalitionspartner. Zur Erinnerung: Auslöser der Diskussion war, dass im BMBF Anstalten gemacht wurden, das grundgesetzlich verbriefte Recht der Wissenschaftsfreiheit einzuschränken. Ein Angriff auf ein Grundrecht, der aus einem Bundesministerium heraus erfolgt, kann gar nicht genug Entsetzen hervorrufen — das gilt einmal mehr in Anbetracht der politischen Situation in unserem Land, in dem Demokratiefeinde zunehmend an Boden gewinnen (siehe die Wahlen in Sachsen und Thüringen). Wenn die in die Fördergeldaffäre involvierten Akteur_innen denen, die die Demokratie zerstören wollen, nicht den Weg bereiten wollen, dann müssen sie dringend drei Dinge tun: endlich Transparenz über die Vorgänge herstellen; der eigenen Verantwortung gerecht werden; und nicht nur der Wissenschaftscommunity, sondern allen Bürger_innen dieses Landes glaubwürdig darlegen, wie sichergestellt werden kann, dass es zu einem solchen Angriff nicht noch einmal kommen kann.
Indes geschieht von alledem erschreckend wenig. Es wurde inzwischen so viel Korrespondenz geleaked, dass das BMBF, sollte es sich irgendwann doch noch zu mehr Transparenz entschließen, bald gar nichts mehr übrig haben dürfte, das es noch offenlegen kann. Überhaupt ist es bemerkenswert, dass das Ministerium nach den diversen Kommunikations-Fails im Kontext von #IchBinHanna auch in dieser Angelegenheit vor allem durch ein Versagen in bemerkenswerter Ausprägung von sich reden macht. Statt Transparenz herzustellen, wird in regelrecht kindischer Manier eine Anstrengung nach der anderen unternommen, um die Vorgänge, die sich im Ministerium ereignet haben, zu verschleiern. So agiert nur, wer etwas zu verbergen hat — das jedenfalls werden sich viele Vertreter_innen der Presse genauso denken wie zahlreiche Mitglieder der Wissenschaftscommunity.
Ria Schröder (FDP), die sich — wie wir inzwischen wissen — von Staatssekretär Jens Brandenburg zu seinem verlängerten Arm nebst erhobenem Zeigefinger auf X machen ließ, hob die Absurdität in der Ausschusssitzung letzte Woche sogar noch auf eine neue Stufe: Dass der geschassten Staatssekretärin Sabine Döring verboten werde, sich öffentlich zu äußern, sei zu ihrem eigenen Schutz (ab 46:00). Die Verachtung der Autonomie einer Philosophieprofessorin, die nicht umsonst gegen das Redeverbot klagt, weil sie sich aus freien Stücken äußern will, gepaart mit autoritärem Paternalismus und einer besonders schäbigen Form des Gaslightings, die sich in dieser Argumentationslinie Bahn bricht: da kann einem nur angst und bange werden (und man muss dreimal nachsehen, ob all das wirklich von einer Politikerin kommt, die als Liberale verstanden werden will).
Die Bestürzung darüber, dass die Grünen mit der Sache ihren Frieden gemacht zu haben schienen, teile ich mit Jan-Martin Wiarda. Es wird nun umso mehr darauf ankommen, dass die Grünen diesen Eindruck ausräumen, wollen sie das Vertrauen und den Rückhalt ihrer Wähler_innen und Mitglieder aus der Wissenschaftscommunity nicht ganz verlieren. Erfreulich war hingegen das Agieren der SPD, deren Obmann Oliver Kaczmarek bereits in der vergangenen Sitzung des Bildungsausschusses zum Thema klare Kante zeigte und auch dieses Mal den Eindruck erweckte, dass die SPD — anders als die Grünen — die Ministerin nicht einfach aus der Verantwortung entlässt. Eine Möglichkeit, einen ersten Schritt hin zu einer echten Aufarbeitung zu machen, bot der Ministerin Holger Mann, ebenfalls Ausschussmitglied von der SPD, der folgende Frage an sie richtete: „Hätten Sie zum einen in Nachbetrachtung heute anders reagiert auf den Offenen Brief der Lehrenden an der Humboldt-Universität, und zum anderen die Aufklärung der Vorgänge jetzt in den letzten Monaten auch an der einen oder anderen Stelle anders vorgenommen als das passiert ist?“ (ab 01:12:18) Was die Ministerin darauf erwiderte, passt in das die gesamte Sitzung prägende Muster, dass ihre Äußerungen zu den gestellten Fragen mit Antworten im eigentlichen Sinne wenig bis nichts zu tun hatten — und sie versäumte damit zugleich die sich ihr gebotene Chance, Fehler einzuräumen.
Zu Ende ist die ganze Sache nun also immer noch nicht. Am 26.9. wird sie anlässlich einer Großen Anfrage der Unionsfraktion Gegenstand einer Bundestagsdebatte sein; zugleich werden Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss immer lauter. Es wird höchste Zeit, endlich für die längst überfällige Aufklärung der Geschehnisse zu sorgen, indem die Fragen geklärt werden, die sich auch mittels noch so konsequenter Nicht-Beantwortung durch die Ministerin nicht werden in Luft auflösen lassen: Wer hat die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen denn nun angestrengt? Von welchen Vorgängen wusste wann die Ministerin, und welche davon hat sie toleriert, begrüßt oder gar selbst veranlasst? Welche Rolle kam bei alledem Sabine Döring zu, und war es im Lichte dieser Rolle überhaupt gerechtfertigt, sie aus ihrem Amt zu entfernen, zumal auf eine derart ruppige und für sie beruflich so folgenreiche Weise?
Genauso ist es an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen, auch in personeller Hinsicht: Es ist inzwischen Monate her, dass Wissenschaftler_innen in einem Offenen Brief erstmals den Rücktritt der Ministerin gefordert haben. Der Brief trägt inzwischen 3.335 Unterschriften. Die Gründe für einen Rücktritt sind nicht weniger geworden, ganz im Gegenteil. Dass diese Ministerin für das BMBF und die Ampel längst untragbar geworden ist, dürfte allen Beobachter_innen längst klar sein. Umso wichtiger, dass sich die Koalitionspartner von dieser unfähigen Ministeriumsleitung nicht weiter vorführen lassen — ansonsten färbt das ministeriale Versagen mit all seinen desaströsen Konsequenzen auch auf sie ab. Denn abgesehen davon, dass die halbe Wissenschaftscommunity in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu fallen droht, sollte sie sich zum drölfzigsten Mal die immer gleichen Sätzchen der Ministerin anhören müssen, zieht diese ganze Diskussion wichtige Aufmerksamkeit von anderen wissenschaftspolitischen Themen ab.
Je länger die Beteiligten eine Aufklärung vereiteln, desto mehr Schaden richten sie an: am Status von Grundrechten in unserer Demokratie, allen voran dem der Wissenschaftsfreiheit; am Politikvertrauen innerhalb der Wissenschaftscommunity und darüber hinaus; und schließlich an allen anderen wissenschaftspolitischen Themen, die dringend angepackt werden müssen. Ich erinnere hier nur daran, dass es im Bundestag in der vergangenen Woche um den Haushalt ging, kein ganz unerhebliches Thema für die Wissenschaft, um es vorsichtig zu formulieren — und auch die Novellierung des WissZeitVG liegt schon wieder auf Eis, was inzwischen wirklich nicht mehr hinnehmbar ist. Weitere Beispiele für drängende wissenschaftspolitische Themen ließen sich mühelos finden — aber all das wird seit Wochen überschattet durch die Fördergeldaffäre. Es wird im Interesse des Wohl und Wehe der deutschen Wissenschaft allerhöchste Zeit, dass auch die bundespolitische Wissenschaftspolitik sich wieder anderen Fragen zuwenden kann. Auch deshalb sind eine Aufklärung, die diesen Namen verdient, und ein Rücktritt der Ministerin in Anbetracht der sich immer weiter fortsetzenden Kaskade des Versagens in dieser Angelegenheit wirklich überfällig.