Seit dem 10. Juni 2021 ist in der Debatte um Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft nichts, wie es vorher war. An diesem Tag haben Kristin Eichhorn, Sebastian Kubon und ich mit vielen anderen Wissenschaftler_innen #IchBinHanna gestartet — eine Kampagne, die die prekäre Arbeitssituation im deutschen Wissenschaftssystem so öffentlichkeits- und medienwirksam in den Fokus rückte, dass das BMBF ab diesem Zeitpunkt unter großen Druck geriet, was das WissZeitVG und seine aktuelle wie zukünftige Ausgestaltung anbelangt. Da wir dieser Tage insbesondere darüber diskutieren, wie eine Reform des WissZeitVG aussehen sollte, und dabei für die Postdoc-Phase vor allem mit unterschiedlichen Zahlenkombinationen jonglieren, hier noch einmal die Erinnerung: Auslöser der #IchBinHanna-Initiative war das aktuelle WissZeitVG, das für die Postdoc-Phase sechs Jahre Befristung ohne jede Perspektive vorsieht. Diese Regelung vermochte es, eine bis heute medial dauerpräsente, politisch einflussreiche Bewegung anzustoßen. Das liegt nicht zuletzt darin begründet, dass das aktuelle WissZeitVG eine Gesetz gewordene Zumutung für die wissenschaftlichen Beschäftigten ist. Maximal sechs Jahre befristete Postdoc-Phase mit dem anschließenden Rausschmiss als Regelfall waren damals, was sie auch heute sind: skandalös. Ein Armutszeugnis für die deutsche Wissenschaft, die ihre hochqualifizierten Beschäftigten mit derart prekären Bedingungen abspeist, dass sie das allgemeine Arbeitsrecht aus guten Gründen niemals zulassen würde — das WissZeitVG aber ermöglicht sie systematisch.
Wer jetzt also glaubt, ein Beibehalten des Status quo sei immer noch besser als die Diskussion um Zahlenkombinationen, tut gut daran, die vergangenen Jahre etwas aufmerksamer Revue passieren zu lassen. #IchBinHanna hat sich am Status quo entzündet und die Ampel-Regierung hat daraufhin versprochen, diesen Status quo mithilfe eines reformierten WissZeitVG erheblich zu verbessern: durch mehr Planbarkeit und Verbindlichkeit für Postdocs. Klar ist aber: Mit der 4+2-Regelung des Referentenentwurfs, der in dieser Form nun in die nächste Etappe des parlamentarischen Verfahrens geht, ist in dieser Hinsicht überhaupt nichts gewonnen. Denn 4+2 dürfte in der Summe 4 ergeben, wie wir inzwischen gefühlt 1.000 Mal vorgerechnet und erläutert haben. Wer soll unter solchen Bedingungen noch in der deutschen Wissenschaft arbeiten wollen, und das in Zeiten des bereits spürbaren Fachkräftemangels? Erfreulicherweise bietet das parlamentarische Verfahren nun aber die Möglichkeit, hier noch einmal nachzubessern — ein 2+4-Modell in Kombination mit einer Befristungshöchstquote wäre dafür eine aussichtsreiche Lösung. Denn auch, wenn das BMBF aus den Debatten der letzten Jahre erstaunlich wenig gelernt hat, können wir doch damit rechnen, dass das bei vielen Entscheider_innen anders aussieht. Und das Gute: Die sind jetzt am Zug!
Professionelle Social-Media-Kommunikation: Fehlanzeige
#IchBinHanna konnte nicht allein wegen der desaströsen rechtlichen Regelungen wachsen und gedeihen — auch die groteske Social-Media-Kommunikation des BMBF hatte einen entscheidenden Anteil daran. Mit der gleichen Renitenz, mit der das BMBF Verbesserungen des Status quo in Sachen WissZeitVG blockiert, behält es auch seine kommunikativen Fails bei — obgleich die federführende Partei und die zuständige Ministerin in der Zwischenzeit gewechselt haben, ist der Hang des Ministeriums zum Kommunikationsdesaster erstaunlich stabil.
Es wäre ein eigenes Forschungsprojekt wert, diese kommunikativen Fehltritte einmal systematisch auszuwerten und zu analysieren (ich erinnere nur an #ACertainDegreeOfFlexibility oder #ResearchWonderland).
Kommunikations-Fails sind inzwischen zum Markenzeichen eines Ministeriums avanciert, das damit die Scheinwerfer der Sozialen Medien so gleißend hell auf das eigene Versagen auf inhaltlicher Ebene richtet, dass niemand mehr wegsehen kann. Das hat das Ministerium in der vergangenen Woche erneut bewiesen, als es einen in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Post auf der Plattform X abgesetzt hat.
Erstens ist die Reform des WissZeitVG mitnichten „beschlossen“ — das Bundeskabinett hat lediglich entschieden, den Referentenentwurf, der in seiner jetzigen Form auch weiterhin auf Ablehnung vonseiten der SPD und der Grünen stößt, in der umstrittenen Form in das weitere parlamentarische Verfahren zu geben. Man möchte den zuständigen Personen im BMBF beinahe einen Crashkurs zum Thema Gesetzgebungsverfahren empfehlen (und zu Social-Media-Kommunikation ohnehin, erste Lektion: Ratio — wenn ein Post mit 765.000 Views 82 Likes hat und obendrein eine Vielzahl von Replies und Quote-Posts, ist das in der Regel ein Indikator dafür, dass man die eigene Kommunikation nochmal überdenken sollte — und dieser Eindruck erhärtet sich, wenn man die Reaktionen auf den Post im Detail nachliest).
Zweitens ist das, was in dem Sharepic steht, mit Blick auf den Referentenentwurf schlicht falsch. Wir und mit uns viele andere haben immer wieder dargelegt, warum die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft durch die im Referentententwurf vorgesehenen Regelungen insbesondere in der Postdoc-Phase keineswegs verbessert werden. Nur, weil man Unwahrheiten in Sharepics hineinschreibt, werden sie nicht plötzlich wahr. Das BMBF hätte ebenso gut hineinschreiben können „Mit der WissZeitVG-Reform erschaffen wir den Osterhasen, der allen Wissenschaftler_innen in Deutschland Ostereier bringt“ — das wäre nicht weniger falsch gewesen, durch ein entsprechendes Sharepic aber genauso wenig wahr geworden.
Unfähigkeit oder Strategie? Für unseren Umgang damit fast egal
Nun kann man sich fragen, ob es bloße Unfähigkeit ist, die immer wieder zu der verfehlten Kommunikation des BMBF führt, oder ob dahinter eine verquere Strategie steckt (mit der das BMBF sich offenkundig keinen Gefallen täte, im Gegenteil). Für uns, die wir tatsächlich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der deutschen Wissenschaft anstreben, kann das im Umgang damit aber beinahe egal sein. Fest steht nämlich: Ob aus Unvermögen oder mit Hintergedanken, wir lassen das BMBF natürlich nicht damit durchkommen, derartige Unwahrheiten zu verbreiten.
Folgendes gilt es daher festzuhalten — und breit bekannt zu machen, auch über Social Media hinaus: Die Sache mit dem WissZeitVG ist längst noch nicht gelaufen. Wie viel Impact #IchBinHanna hat, haben wir immer wieder gesehen. Dass überhaupt eine Anschlusszusage im Referentenentwurf steht (wenn auch in noch unzureichender Form), ist zum Beispiel ein enormes Verdienst der Bewegung: Selbst in seiner sturen Blockadehaltung konnte das BMBF nicht umhin, dieses Zugeständnis an #IchBinHanna zu machen. Vieles hat sich getan in den letzten Jahren. Scheinargumente, die früher gang und gäbe waren, werden immer seltener vorgebracht. #IchBinHanna bewegt einiges, auch auf der Ebene der Bundesländer und innerhalb der Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Jetzt gilt es, noch einmal gemeinsam laut zu sein und das einzufordern, was letztlich nicht nur Hanna braucht, sondern was auch für eine zukunftsfähige Wissenschaft nötig ist, der nicht das Personal wegläuft: faire Arbeitsbedingungen mit verbindlichen Perspektiven. Wir haben uns in den vergangenen Jahren viel öffentliche und mediale Aufmerksamkeit erarbeitet, und wir sehen an der Berichterstattung der letzten Woche erneut, dass diese Aufmerksamkeit nachhaltig ist. Wir dürfen also sicher sein, dass unser Anliegen auch diejenigen erreicht, die am weiteren parlamentarischen Verfahren beteiligt sind. Lasst uns also nochmal dranbleiben für diesen Endspurt, und unsere Argumente nachdrücklich einbringen: Es lohnt die Zuversicht, dass sie Gehör finden, damit Hanna endlich mit guten Arbeitsbedingungen rechnen kann.