KoaV-Zwischenstand: Berücksichtigte #IchBinHanna-Ziele und der Elefant im Raum
Die Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD laufen noch, wichtige Zwischenergebnisse für #IchBinHanna sind allerdings inzwischen bekannt geworden: Erfreulich viele Ziele unserer Initiative finden im Papier der AG Bildung, Forschung und Innovation explizit Berücksichtigung. Das zeigt einmal mehr, wie groß der politische Impact von #IchBinHanna war und ist: Auch die Verhandler_innen der AG sehen den Bedarf für eine grundlegende Reform des deutschen Wissenschaftssystems — und für einen WissZeitVG-Reformprozess mit klarem Enddatum, der nicht erst monatelang stagniert und dann im Sande verläuft wie der letzte Versuch. Ein wichtiger Punkt im Papier ist nämlich, dass der WissZeitVG-Novellierung mit Mitte 2026 eine Frist gesetzt werden soll, die eine weitere Verschleppung unwahrscheinlich macht. Grund zum Aufatmen für #IchBinHanna — und bei Weitem nicht der einzige. Denn auch andere Vorhaben, die das Papier artikuliert, sind zu begrüßen. Im heutigen Newsletter gebe ich einen Überblick über die Punkte, die für ein resilientes Wissenschaftssystem mit guten Arbeitsbedingungen besonders zentral sind und dringend Eingang in den finalisierten Koalitionsvertrag finden sollten — und zeige zugleich auf, an welchen Stellen Fragen offenbleiben und wo noch Luft nach oben ist.
Bessere Arbeitsbedingungen für alle
Bereits der Einstieg des Absatzes „Karrierewege in der Wissenschaft“ liest sich vielversprechend:
„Wir verbessern die Arbeitsbedingungen für Forschende, Lehrende und Studierende nachhaltig, machen Karrierewege verlässlicher und bilden dies in der Förderung des Bundes ab.“
Eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen und verlässliche Karrierewege gehören zu den Veränderungen, die wir mit #IchBinHanna seit Jahren fordern. Zu begrüßen ist zudem, dass hier nicht nur die Arbeitsbedingungen Forschender und Lehrender thematisiert werden, sondern auch die der studentischen Beschäftigten — teils ein blinder Fleck in den Debatten, wobei studentische Beschäftigte schon länger wichtige Mobilisierungsarbeit zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen leisten, etwa mit der Initiative #TVStud. Offen bleibt gleichwohl, wie genau die hier in Aussicht gestellten Ziele erreicht werden sollen. Klar, ein Koalitionsvertrag ist keine Textsorte, die es erlaubt, allzu sehr ins Detail zu gehen — aus diversen Gründen, allein schon aufgrund seiner pragmatisch begrenzten Länge. Dennoch finden sich im weiteren Verlauf des Papiers durchaus detailliertere Formulierungen, und das zu Recht, denn es gibt schließlich einige Einsichten aus der Diskussion der letzten Jahre, die sich hier aufgreifen lassen — darunter die, dass es Mindestvertragslaufzeiten braucht:
„Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion werden wir einführen und Schutzklauseln auf Drittmittelbefristungen ausweiten.“
Wir haben uns auch mit #IchBinHanna für Mindestvertragslaufzeiten ausgesprochen, damit Arbeitsverträge nicht mitten während eines Promotions- oder sonstigen Forschungsvorhabens einfach auslaufen (was mit erheblichen Unsicherheiten für Beschäftigte verbunden ist, ein Einfallstor für Machtmissbrauch darstellt und auch der Forschung nicht zuträglich sein dürfte). Insbesondere für die Postdoc-Phase sind allerdings zusätzliche Maßnahmen erforderlich, dazu gleich mehr. Zuvor aber noch zwei Bemerkungen — eine zu den Mindestvertragslaufzeiten und eine zu den sogenannten Schutzklauseln im obigen Zitat. Bei den Mindestvertragslaufzeiten stellt sich natürlich eine entscheidende Frage: Wie lang sollen sie sein? Promotionen dauern im Schnitt weiterhin über fünf Jahre (s. BuWiK 2025) — drei Jahre sind also definitiv zu kurz, alles unter vier wenig zielführend.
Und für Postdocs darf es nicht bloß darum gehen, deren befristete Verträge länger zu machen, als sie es gegenwärtig sind. Sie brauchen dauerhafte Perspektiven. Die Debatte der letzten Jahre hat gezeigt: Postdocs befristen ist ohnehin nicht überzeugend. Befristete Anstellungsverhältnisse stellen gemessen am allgemeinen Arbeitsmarkt eine absolute Ausnahme dar, die per WissZeitVG zur Regel gemacht wird, ohne dass es dafür eine plausible Begründung gibt. Der Kompromissvorschlag, der die Reformbemühungen der Ampel geprägt hat — Postdocs kürzer befristen und anschließend eine Anschlusszusage anbieten — hatte ausgiebige Zahlendiskussionen zur Folge, die schließlich ohne Ergebnis geblieben sind. Konsequent wäre es, Postdocs aus dem WissZeitVG auszunehmen, wie wir es immer wieder vorgeschlagen haben.
Und schließlich zu den „Schutzklauseln“: Hier dürften die familien- und behindertenpolitischen Komponenten gemeint sein, die bislang nur für Qualifizierungsbefristungen gelten, nicht aber für Drittmittel-Befristungen — dabei geht es z.B. um Vertragsverlängerungen aufgrund von Elternzeit. Aktuell haben wir ein Zwei-Klassen-System zum Nachteil der Drittmittel-Beschäftigten, die von den Schutzklauseln ausgenommen sind. Gut, dass sich das nun ändern soll!
Ein neues WissZeitVG bis 2026 — und weitere gute Vorschläge
Ich habe es eingangs bereits erwähnt, hier noch einmal das Zitat dazu aus dem AG-Papier:
„Wir novellieren das Wissenschaftszeitvertragsgesetz bis Mitte 2026.“
Unsere Initiative #IchBinHanna nahm vor 1391 Tagen ihren Anfang, die Vorgänger-Initiative #95vsWissZeitVG ist sogar noch länger her. Ich verrate sicher kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir ausgesprochen froh und erleichtert wären, wenn der WissZeitVG-Reformprozess bald zum Ende käme. Aber: sein Ergebnis muss sachgerecht sein! Zudem — machen wir uns nichts vor: Auch mit einer richtig guten WissZeitVG-Reform werden nicht alle Probleme von #IchBinHanna auf einen Schlag gelöst sein. Es braucht flankierende Maßnahmen, die zum Glück auch von den Verhandler_innen angedacht sind:
„Mit einer Mittelbau-Strategie straffen wir die Projektförderung, sorgen grundsätzlich für längere Programmlaufzeiten, setzen Anreize für Departmentstrukturen und zur Entwicklung von Stellenprofilen.“
Was es hier bedeuten soll, dass die avisierte Mittelbau-Strategie Projektförderung „straffen“ wird, gibt mir offen gestanden Rätsel auf. Kürzere Projektlaufzeiten können nicht gemeint sein, denn das wäre nicht zielführend und es beißt sich mit der Haltung, die in der Ankündigung von Mindestvertragslaufzeiten zum Ausdruck kommt. Zudem ergäbe sich bei dieser Lesart ein Widerspruch zum folgenden Teilsatz, dem zu entnehmen ist, dass Projekte länger laufen sollen. Das jedenfalls ist erfreulich: Wissenschaft braucht Zeit, der ihr durch knappe Laufzeiten aufgezwungene Zeitdruck schadet ihr.
Weiterhin sehr zu begrüßen sind die in Aussicht gestellten Anreize für Departmentstrukturen und die Entwicklung von Stellenprofilen. Auch der Folgesatz stimmt grundsätzlich zuversichtlich:
„Wir bauen das Tenure -Track- Programm aus und verbessern die Rahmenbedingungen für mehr Dauerstellen.“
Gegen einen Ausbau des TT-Programms ist erst einmal wenig zu sagen (das schreibe ich auch als Inhaberin einer Juniorprofessur ohne TT, als die ich dem Ende meiner wissenschaftlichen ‚Karriere‘ im Alter von 42 entgegensehe). Ebenso wichtig ist aber der zweite Satzteil: Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für mehr Dauerstellen ist längst überfällig. TT führt schließlich erneut auf Professuren — und wir reden in der #IchBinHanna-Debatte ganz wesentlich auch über Stellen neben der Professur. Wie genau die verbesserten Bedingungen für mehr Dauerstellen aussehen sollen, bleibt im Papier allerdings unklar.
Zur Förderung von Wissenschaftlerinnen enthält das Papier ebenfalls Ankündigungen:
„Wir wollen den Anteil von Frauen an wissenschaftlichen Führungspositionen weiter erhöhen — wir unterstützen das Kaskadenmodell und verstärken das Professorinnenprogramm.“
Dass der Anteil an Frauen auf Führungspositionen erhöht werden soll, ist sinnvoll: Professorinnen sind in Deutschland weiterhin rar gesät. Um Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten abzubauen, mit denen Frauen in der Wissenschaft konfrontiert sind, ist es aber auch wichtig, die Bedingungen insgesamt zu verbessern: Programme wie das genannte können helfen; allerdings profitieren Betroffene davon in aller Regel nur punktuell und vorübergehend. Das Gesamtsystem bedarf letztlich einer Umgestaltung, damit seine Rahmenbedingungen insgesamt fairer und Teilhabechancen erhöht werden. Und: Dabei dürfen auch andere benachteiligte Personengruppen keinesfalls aus dem Blick geraten!
Der Elefant im Raum: Was geschieht mit der Postdoc-Phase?
Die berechtigte Begeisterung über die Zwischenergebnisse wird aus Sicht von #IchBinHanna allerdings flankiert von der Verwunderung darüber, dass ein, ja, das entscheidende Thema der Diskussion um die WissZeitVG-Reform gar nicht thematisiert wird: Was soll im neuen Gesetz mit der Postdoc-Phase passieren? Hier waren zuletzt verschiedene Instrumente im Fokus, darunter die Anschlusszusage (die auch Gegenstand des Referentenentwurfs war, wenn auch nach einem zu langen Befristungszeitraum) sowie die Befristungshöchstquote. Beide Instrumente finden keine Erwähnung. Dass die Koalitionäre unserem Vorschlag nicht folgen wollen, die Postdocs aus dem WissZeitVG auszunehmen, lässt sich dem Papier allenfalls indirekt entnehmen (im Satz über Mindestvertragslaufzeiten nach der Promotion). Allerdings steht die Postdoc-Befristung wie oben ausgeführt zu Recht unter hohem argumentativem Druck — sollte die neue Bundesregierung sich entschließen, sie beizubehalten, läge die enorme Begründungslast dafür auf ihren Schultern. Zudem müsste die Regierung in der verfahrenen Diskussion um die Höchstbefristungsdauer einen sachgerechten Vorschlag machen, der den Interessen der Beteiligten nicht fundamental zuwiderläuft. Gemessen am Verlauf der bisherigen Debatten ist nur schwer vorstellbar, wie so ein Vorschlag aussehen sollte.
Weiter so, aber dann nicht stehenbleiben!
Mein Fazit zu den Zwischenergebnissen: Was die AG vorgelegt hat, enthält aus Sicht von #IchBinHanna zahlreiche gute Ansätze, die sich unbedingt auch im finalen Koalitionsvertrag niederschlagen müssen. Offen bleibt die Ausgestaltung von Details, insbesondere bezüglich Mindestvertragslaufzeiten, der Postdoc-Phase und der in Aussicht gestellten Mittelbau-Strategie sowie der Frage, wie genau Karrierewege in der deutschen Wissenschaft verlässlicher gemacht werden sollen. Hier wird die neue Regierung liefern müssen.
Festhalten lässt sich aber schon jetzt: #IchBinHanna wirkt. Unsere Ziele sind nachhaltig in der Politik angekommen. Auch dank aller, die seit Jahren unermüdlich mit uns für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und ein starkes, resilientes deutsches Wissenschaftssystem kämpfen. Es lohnt sich! Nun ist es an der zukünftigen Regierung, die starken Ankündigungen für eine Systemverbesserung im finalen Koalitionsvertrag zu verankern und ihnen Taten folgen zu lassen. Wie auch immer das im Einzelnen aussehen mag, für uns drei Initiator_innen steht eines schon heute fest: Liebe #IchBinHanna-Community, wir bleiben für Euch dran!