Für #IchBinHanna ist es (beinahe) die bestmögliche Nachricht in Sachen Koalitionsvertrag: Fast alles, was die zuständige AG in dessen Zwischenergebnissen festgehalten hat, steht nun auch in der finalen Version — mit nur einer Ausnahme (Tariföffnung). Meine Begründung, warum viele Punkte in den Zwischenergebnissen Anlass zur Zuversicht geben, bleibt daher auch für die abschließenden Vereinbarungen zwischen den Koalitionären gültig (vorbehaltlich der Zustimmung der SPD-Mitglieder — das Mitgliedervotum schließt am 29. April). Nach dem Ampel-Koalitionsvertrag ist dies nun der zweite auf Bundesebene, in dem die Kernforderungen und Ziele von #IchBinHanna prominent Berücksichtigung finden. Im Vergleich zu dem der Ampel ist der neue Vertrag zwischen Union und SPD zudem erfreulich detailliert und spezifisch — sogar die selbst gesetzte Frist für den Abschluss der WissZeitVG-Reform (Mitte 2026) hat es in die finalisierte Fassung geschafft. Bei aller berechtigten Kritik daran, dass andere wichtige Themen im Koalitionsvertrag unzureichend thematisiert werden: Das ist ein beachtlicher Erfolg für eine Grassroots-Initiative, der sich auch der harten, unermüdlichen Arbeit vieler Beteiligter verdankt, die seit vielen Jahren gemeinsam mit uns Initiator_innen am Ball bleiben!
Sollte Mitte 2026 tatsächlich ein neues, endlich sachgerechtes WissZeitVG auf dem Tisch liegen, wäre das sehr erfreulich und eine große Erleichterung für viele. Automatisch vom Tisch sind sämtliche #IchBinHanna-Baustellen damit allerdings noch nicht — daran hat mich nach meiner Pendel-Heimkehr Ende der letzten Woche ein Schreiben erinnert, das zu Hause im Briefkasten auf mich wartete und zugleich der Anlass für das Thema des heutigen Newsletters ist. Schon der Betreff des Schreibens — „Abbruch des Besetzungsverfahrens“ — machte klar, womit ich es zu tun hatte. Als Bewerberin um die im nämlichen Verfahren zu vergebende Professur wurde ich darüber in Kenntnis gesetzt, dass das „Verfahren zur Besetzung dieser Professur abgebrochen wurde und die Ausschreibung nicht zu einer Besetzung der Professur geführt hat“. Das Schreiben schließt mit dem Bedauern, mir „keine günstigere Mitteilung machen zu können“. Ja, so schrieb ich bereits letzte Woche auf Bluesky: Das Bedauern teile ich, und mit mir sicherlich alle anderen Bewerber_innen. Außerdem sehr wahrscheinlich die Kommissionsmitglieder, ggf. externe Gutachter_innen, die zuständigen Kolleg_innen in der Uni-Verwaltung — alle haben hier umsonst eine Menge Arbeit investiert. Grund genug, den heutigen Newsletter einem thematischen Dauerbrenner der #IchBinHanna-Debatte zu widmen: Berufungsverfahren in der deutschen Wissenschaft.
Etappe 1: Die Ausschreibung
Aus Bewerber_innen-Sicht beginnt ein jedes Berufungsverfahren mit der Ausschreibung, oder genauer: mit deren Auffinden und eingehender Lektüre. Nun mag es meinem akuten Mangel an Begeisterungsfähigkeit für eine Fortsetzung meiner ‚Karriere‘ in der deutschen Wissenschaft und meiner überschaubaren, aber immerhin noch verbleibenden Perspektive auf meiner W1 geschuldet sein, die mich dieser Tage nur halbherzig nach einschlägigen Ausschreibungen schauen lässt. Gleichwohl bleibt die Zahl vakanter Stellen, zu denen mein Profil passt, selbst mit einer gehörigen Portion Wohlwollen und einer Prise Selbstüberschätzung äußerst überschaubar. Das ist nicht neu und gilt auch nicht bloß für Professuren — als ich während meiner Promotion arbeitslos war, hatte ich bereits größere Schwierigkeiten, auf die mit meiner Sachbearbeiterin vereinbarte Zahl von Bewerbungen pro Monat zu kommen, ohne deren Erreichen ich Sanktionen hätte fürchten müssen. Eine Philosophin kann sich genauso wenig auf wissenschaftliche Stellen in der Physik bewerben wie ein_e Physiker_in auf entsprechende Stellen in der Philosophie, auch wenn all das unter das Berufsfeld „Wissenschaft“ fällt. Das war meiner Sachbearbeiterin gleichwohl schwer vermittelbar.
Jetzt, acht Jahre nach der Promotion, kann ich mich zwar auf Professuren bewerben. Aber ich erlebe auch am eigenen Leib, wie es ist, wenn viele davon nicht mehr in Frage kommen, weil sie als Juniorprofessur mit Tenure Track (TT) vergeben werden (und das paradoxerweise, obwohl ich selber Juniorprofessorin bin): Ich hatte zwischendurch die Illusion, mich durch eine Bewerbung auf so eine W1 mit TT aus meiner TT-losen Situation befreien zu können. Tatsächlich hatte ich entsprechende Vorsingen für solche Stellen, allerdings fanden die ziemlich direkt nach Antritt meiner jetzigen Juniorprofessur statt. Inzwischen — und das ist mir tatsächlich auch einmal explizit so bestätigt worden — bin ich akademisch „zu alt“ für Juniorprofessuren. Es bleiben also nur W2 und W3. Habilitiert bin ich allerdings nicht und bislang auch nicht einmal zwischenevaluiert, die Anerkennung einer Habilitationsäquivalenz bleibt somit wackelig. Keine optimalen Voraussetzungen, denn selbstredend konkurriere ich mit diversen habilitierten Kolleg_innen um diese Stellen.
Zudem lassen sich Professurausschreibungen grob (und nur wenig überspitzt) in zwei Kategorien unterteilen: Da sind die, deren Denomination so breit ist, dass sich bald die halbe Disziplin darauf bewerben kann — gerne auch mit Ansagen wie „das Fach in seiner ganzen Breite vertreten“, „internationale Sichtbarkeit“ usw. So etwas lässt mich direkt innerlich abwinken, denn Bewerbungen in der Wissenschaft sind aufwändig (dazu gleich mehr) und die Chancen dürften hier angesichts der großen Bewerber_innenzahl äußerst gering sein. Oder die Ausschreibung liest sich so spezifisch wie das akademische Porträt einer ganz bestimmten Person, sodass man den Eindruck erlangt, dass schon feststeht, wer die Professur bekommen soll (man selbst ist es nicht). Auch hier denke ich dann: wozu der ganze Bewerbungsaufwand?
Etappe 2: Die Bewerbung – inkl. Berufungsportal zur Hölle
Denn: Anders als in der normalen Arbeitswelt stechen wissenschaftliche Bewerbungen durch ihren obszönen Aufwand heraus. Ich habe im näheren Umfeld mitbekommen, wie Menschen sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bewerben: Umfang und Aufwand der Bewerbung machen hier einen Bruchteil dessen aus, was in der Wissenschaft verlangt wird. Neben dem Anschreiben, das einige Mühe kostet, um die Passung des eigenen Profils zur ausgeschriebenen Professur möglichst prägnant in Worte zu fassen, sind im ersten Verfahrensschritt nicht selten bereits Forschungs- und Lehrkonzepte beizulegen. Wer die gut machen will, muss sich eingehend mit dem Forschungsumfeld vor Ort, möglichen Kooperationen, Modulhandbüchern usw. auseinandersetzen. Das kostet viele Stunden. Wer schon in diesem ersten Schritt mit entsprechenden Konzepten aufwarten soll, weiß aber auch, dass ein Großteil davon gar nicht erst gelesen wird. Das ist bei höheren zwei- bis dreistelligen Bewerbungszahlen schlicht nicht machbar für die Mitglieder der Berufungskommissionen. Denn natürlich liegen der Bewerbung auch noch andere Unterlagen bei: endlose CVs etwa, aus denen u.a. die Drittmittelerfolge hervorgehen, lange Publikationslisten usw.
Im abgebrochenen Verfahren, von dem ich oben schrieb, war der Endgegner aber das Berufungsportal. In solche Portale kopiert man händisch Daten, die eigentlich bereits aus den Unterlagen hervorgehen, ergänzt um Kategorien, die wie Möchtegern-Assessmentcenter-Sprech anmuten (z.B. sogenannte „Karrierehighlights“). Bei dem hier in Rede stehenden Portal war die Zusatz-Challenge, dass ich alle Unterlagen in einer einzigen PDF-Datei hochladen musste (inkl. Schriften, wozu in meinem Fall eine monographische Dissertation zählt, in der Summe also sehr viele Seiten). Leider gab es aber zudem eine strenge Obergrenze für die Größe dieser Datei. Ich habe ungelogen mehrere Stunden damit zugebracht, die Dateigröße so zu verringern, dass die Datei hochladbar wurde, ohne dass das Dokument nur noch aus drei Pixeln pro Seite bestand und vollends unleserlich wurde.
Und das alles in meinem Urlaub und für eine Professur, auf die ich mich gar nicht beworben hätte, wenn der Kommissionsvorsitzende mich nicht dazu aufgefordert hätte. An einem generellen Bewerbungsmangel lag es angesichts der breiten Ausschreibung, die erkennbar an einen internationalen Bewerber_innen-Kreis gerichtet war, sicher nicht. Es war also vermutlich ein Fall von Gleichstellungspolitik für die Tonne: Mittels gezielter Bewerbungsaufforderungen an Frauen mag die Kommission sich die Bewerberinnen-Zahl für die Statistik schöngerechnet haben, während das den Frauen im Verfahren aber überhaupt nichts gebracht hat — im Gegenteil: sie hatten eine Menge unnötige Arbeit.
Etappe 3: Vorsingen oder Vergessen
Mein Glück in diesem Fall: Ich durfte — oder musste! — nicht vorsingen. Richtig bitter (und das schreibe ich aus Erfahrung) ist nämlich dieser Verlauf: wenn man vorsingt, wenn das sogar gut läuft, wenn die Mitglieder des Instituts tolle Forschung machen und richtig nett sind, wenn die Uni top gelegen ist zum eigenen privaten Lebensmittelpunkt — und im Anschluss passiert: nichts. Wissenschaftler_innen, die das immer wieder erleben, gewissermaßen Profis im Enttäuschtwerden, raten oft dazu, sich bloß keine Hoffnungen zu machen. Aber ich konnte nicht anders. Und es ist kein Überdramatisieren, wenn ich schreibe, dass mir in mindestens einem Fall der Umstand, dass es nach dem Vorsingen nichts wurde, regelrecht das Herz gebrochen hat (von Auswirkungen auf Menschen in meinem privaten Umfeld, die über meine ständige Pendelei auch nicht immer Hurra schreien, ganz zu schweigen).
Wie gesagt, bei dem inzwischen abgebrochenen Verfahren blieb mir das Vorsingen erspart. Ganz abgesehen von der Enttäuschung, dass der Bewerbungsaufwand einmal mehr umsonst war, ist das zumindest insofern Anlass zur Erleichterung, als diese Vorsingen erneut mörderisch viel Arbeit machen: einen guten Vortrag konzipieren, der die Ausschreibung und das eigene Profil aufs Vortrefflichste zusammenbringt, und ihn dann zig Mal üben, bis man sicher sein kann, die Zeitvorgabe exakt einzuhalten, sich auf (Fang-)Fragen im Kommissionsgespräch einstellen etc. Ich hatte mit meinen Vorsingen bislang Glück, man war stets freundlich. Gerade von Frauen, die offenbar für die Quote eingeladen wurden, habe ich aber schlimme Geschichten gehört: Sie wurden eingeladen, weil man Frauen einladen musste, und dann gegrillt, damit sie dem favorisierten Kandidaten nicht gefährlich werden konnten. Dasselbe haben mir auch schon Bewerber_innen mit Schwerbehinderung berichtet: Diese Kandidat_innen müssen eingeladen werden — will die Kommission sie sicher loswerden, tut man das offenbar durchaus auch mal, indem man sie so schlecht behandelt, dass sie bloß keine Chance haben.
Viele, denen es geht wie mir und die gar nicht erst vorsingen, berichten von dem Phänomen, die Bewerbung längst schon vergessen zu haben, wenn dann doch einmal eine Absage eintrudelt (sofern das überhaupt je geschieht). Dass zwischen dem Schreiben zum Verfahrensabbruch und meiner Bewerbung über zwei Jahre liegen, dürfte eher die Regel sein als die Ausnahme.
Etappe 4: (k)eine Besetzung
Am Ende bekommt entweder genau eine oder genau keine Person die ausgeschriebene Professur. Der erste Fall ist immer noch der deutlich bessere, aber in beiden Fällen müssen wir uns wirklich fragen: Rechtfertigt es den unglaublichen (Zeit-)Aufwand deutscher Berufungsverfahren, dass dann eine einzelne Professur mit einer Person besetzt wurde? Während zugleich diverse andere berufbare Personen leer ausgehen? Lohnen sich die Hunderten von Stunden, die die Bewerber_innen, Kommissionsmitglieder, Gutachter_innen, Verwaltungsmitarbeiter_innen usw. investieren, und die sich über einen Zeitraum von Monaten, ja, Jahren akkumulieren?
Selbst, wenn das Verfahren nicht scheitert, scheint mir all das nicht gerechtfertigt zu sein. Mein Votum daher erstens: Es braucht mehr unbefristete Stellen neben der Professur, damit nicht alle gezwungen sind, sich auf die raren Professuren zu bewerben — denn oft tun sie das auch aus Mangel an unbefristeten Alternativen. Zweitens: Bitte, liebe Kommissionen, erspart den Bewerber_innen unnötigen Zusatzaufwand durch das Einfordern von Forschungs- und Lehrkonzepten u.ä. im ersten Verfahrensschritt. Drittens: Bitte, liebe Hochschulen, terrorisiert Eure Bewerber_innen nicht mit übermäßig komplex konzipierten Berufungsportalen; es geht nämlich deutlich schlichter. Viertens: Bitte, liebes deutsches Wissenschaftssystem, lass Transparenz über Verfahrensstände walten, statt in vorauseilender Angst vor etwaigen Klagen Deine Bewerber_innen wie Bittsteller_innen zu behandeln, die keinerlei Auskunft verdienen.
Andernfalls sammeln sich nicht mehr nur bei mir, sondern auch bei anderen nicht weiter massenhaft seitenreiche Bewerbungen in Ordern, sondern zunehmend Ausschreibungen, auf die wir uns bewusst gar nicht erst bewerben, weil das Verhältnis zwischen irrsinnigem Aufwand und verschwindend geringer Chance einfach nur grotesk ist. Den schlechten Ruf Deines Berufungssystems, liebe deutsche Wissenschaft, kannst Du Dir in Zeiten des Fachkräftemangels längst nicht mehr leisten — sieh zu, dass Du Dich für eine Verbesserung engagierst, ehe immer mehr aussichtsreiche Bewerber_innen ihr Engagement ganz einstellen!